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Medien: Mielke darf nicht sterben

Wie Medien einem Promi-Ossi ans Leder wollen: der ZDF-Film „Die Nachrichten“ / Von Michael Jürgs

Auch dem Zonengreis Mielke, Abgottvater aller graumiefigen Stasibüttel, hat Alexander Osang im Drehbuch für „Die Nachrichten“ eine tragende Rolle auf den Leib geschrieben. Mielke ist sympathisch und darf bis zum Ende mitspielen, denn Mielke heißt der Hund des ehemaligen NVAOffiziers, der in Gestalt des grandiosen Henry Hübchen orientierungslos gewendet Tage und Nächte im Plattenbau totschlägt.

Eine allgemeine Kritik über den ZDF-Fernsehfilm, der am Montag gezeigt wird, ließe sich zwar so mit dem journalistischen Trick 13 beginnen, einen Sach-bloß-Effekt zu erzielen, doch die Verfilmung von Osangs Roman „Die Nachrichten“, eine der seltenen Pretiosen literarischer Deutschlandreisen nach der Wende, wäre andererseits gemein wie folgt zu beschreiben:

Ein Ossi in Hamburg, der passend aussieht wie ein angepasster Wessi, trifft bei einer Vernissage unter Prosecco schlabbernden Reichtussis die Frau seines Lebens. So etwas soll ja mitunter schon passiert sein, hüben wie drüben. Manchmal wird sogar was fürs Leben daraus. 1,4 Prozent aller in Deutschland geschlossenen Ehen beruhen laut Statistik auf Ost-West Beziehungen. Im alltäglichen TV-Programm würde „Mann trifft Frau/Frau trifft Mann und was wird bloß daraus?“ als Einfall gelten und für neunzig Minuten auf den besten Sendeplätzen reichen. Motto: Und sie erkannten sich Schweiß treibend, Gestammel austauschend, bei anschwellenden Geigenklängen etc.

Der Zoni (Jan Josef Liefers) in Hamburg ist Nachrichtensprecher beim Fernsehen, soll aufsteigen zum Moderator des „Abendjournals“ und ist deshalb plötzlich einer der wenigen Prominenten aus dem nahen Osten, die es im fernen Westen geschafft haben. Was ihn interessant macht für ein Porträt sowohl im „Spiegel“ als auch in einem Provinzblatt seiner ehemaligen Heimat. In der Mann-Frau-Geschichte beginnt jetzt eine weitere Geschichte, die der Jagd nach des Ossis Stasiakte. Bis zur Klärung des Verdachts wird er vom Sender genommen, treibt es derweilen mit jener Frau, die ihm den Durchblick nahm, auf Sylt, kann sich partout nicht daran erinnern, jemals unter dem Decknamen „Pankow“ ein Stasispitzel gewesen zu sein. Auch im wirklichen Leben fehlt ja den meisten der ehemaligen IMs, ganz so wie einst ihren Kameraden aus dem anderen untergegangenen Reich, jedwede Erinnerung an die eigene Vergangenheit.

Wie es ausgeht, soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Mielke darf nicht sterben! – weil in diesem Wissen sonst ein Zuschauer umschaltet und einen trotz teils missglückter Szenen merk- und denkwürdigen Film versäumt. Denkwürdig, weil die Geschichte lakonisch, unsentimental, undeutsch erzählt wird. Merkwürdig, weil hin und wieder mitten im prallen Ablauf Beckett auf Godot wartet. So zum Beispiel, als der Moderator in einem Nachtclub einer dunkelhäutigen Nutte die Stasi erklären will und sie nur Bahnhof versteht, also das, womit sich VW-Betriebsräte auf Fernreisen die Zeit vertrieben.

Denn auch ganz anders, so wie im Folgenden ließe sich beschreiben, was Alexander Osang, einem der drei besten deutschen Reporter – die anderen beiden sind dem Verfasser dieses Artikels bekannt – und Regisseur Matti Geschonneck gelungen ist: Fast alle vom Autor erfundenen Figuren leben. Er ist ihnen als Reporter schon einmal begegnet. Alle sind erkennbar wirklich und bleiben es sogar in unwirklich anmutenden Landschaften drüben. Welcher Wessi kennt Städte wie Neubrandenburg oder Eisenhüttenstadt oder Riesa? Hier lernt er sie kennen. Möchte man da leben? Gott soll schützen. So einfach, einfach so, mag erklärt werden, warum die Einheit nicht angekommen ist in den Köpfen, geschweige denn in den Herzen.

Außer um Liebe und Verrat und Erpressung und Rufmord geht es im Fernsehfilm der Woche um die Macht der Presse. Meist werden die Vertreter eines prinzipiell ehrenwerten Berufsstandes als aufrechte Kämpfer gegen finstere Gestalten vorgeführt – korrupte Politiker, eiskalte Manager, geheime Verschwörer – die ihre Karriere aufs Spiel setzen, damit das Gute siege. Meist liegt dies unerträglich kitschig nah, denn meist sind die Guten nicht so gut und die Bösen nicht so bös, und überhaupt wird meist gedruckt, was sich gut verkauft.

Insofern sind „Die Nachrichten“ politisch nicht korrekt, aber korrekt in fast allen Details des real existierenden journalistischen Alltags. Der schmierige Provinzschreiber hat nicht weniger Charakter als die berühmte harte Reporterin des Nachrichtenmagazins aus Hamburg. Beide Jäger von Sensationen sind bestechend im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Der eine spendiert seinem Informanten Bier am Zonen-Treffpunkt Trinkerbude, die andere legt im Umschlag die Tausender auf den Tisch und geht unter vollem körperlichem Einsatz dem Chef der einst nach Gauck benannten Behörde um den dicken Bauch. Beide wollen nämlich nur eins: den Skalp des Promi-Ossis.

Es steckt nicht nur Wahrheit in dieser ironischen deutschen Geschichte, die auch in Wirklichkeit ohne die Gabe ironischer Weltbetrachtung nicht zu ertragen wäre, obwohl Ironie, wie der Kenner weiß, dem Ossi an sich eher fremd ist. Es spielen vor allem Schauspieler mit, geprägt durch Biografie Ost oder Leben West, die Momenten des Films Augenblicke verleihen – Jan Josef Liefers, Uwe Kockisch, Dagmar Manzel, Henry Hübchen, Nina Kunzendorf, Udo Samel, Thomas Thieme und Marie Gruber.

Es gibt zwar auch Einstellungen, die weit unter dem Anspruch bleiben, Realität in der Medienbranche zu spiegeln. Wäre eine Konferenz beim „Spiegel“ so schnarchig wie die gezeigte, wäre ein Intendant so einspurig wie der auf dem Tretrad, wäre also die Welt so simpel, hätte ein Reporter namens Alexander Osang nicht so viele verrückte Kolumnen in der „Berliner Zeitung“ und so viele wunderbare Reportagen im „Spiegel“ schreiben können.

Ist Osang eigentlich ein Ossi?

Ja, ist er.

Sach bloß…

„Die Nachrichten“: ZDF, Montag, um 20 Uhr 15

Michael Jürgs war Chefredakteur des „Stern“ und hat Sachbücher wie „Die Treuhändler – wie Helden und Halunken die DDR verkauften“ und, gemeinsam mit der Leipziger TV-Moderatorin Angela Elis, „Typisch Ossi, typisch Wessi“ eine „längst fällige Abrechnung unter Brüdern und Schwestern“ geschrieben.

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