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Medien: Muss ich brennen?

Eine 29-Jährige testet „Neon“, die Zeitschrift für unter 30-Jährige

Das Erstaunen erwachsen zu sein, packt mich immer noch manchmal. Wenn ich am Flughafen stehe und ganz alleine einchecke zum Beispiel. Wenn ich mit einem (geliehenen) Auto, das mehr als 60 PS hat, über die Autobahn donnere oder mit Kreditkarte zahle. Mein Gott, bin ich … cool! denke ich dann mit diesem freudigen Flittern im Bauch. Was ziemlich kindisch ist. Ich bin jetzt 29. Weiß ich, wie Erwachsensein geht? Muss ich das überhaupt entscheiden? Unentschlossenen wie mir soll jetzt „Neon“ helfen. „Neon“ ist eine neue Zeitschrift, die gemacht wird von den Redakteuren von „Jetzt“, der ehemaligen Jugendbeilage der „Süddeutschen“. Diesmal wollen die Redakteure aber für ein wenig Ältere, für 21- bis 30-Jährige, schreiben – probeweise. Wenn die Zielgruppe will, geht es weiter nach dem ersten Heft. Will ich?

Nach den ersten Seiten will ich erstmal. Ich mag Heike Makatsch und lasse mir gerne den „Soundtrack ihres Lebens“ erklären, anhand von Songs und damit verbundenen Erinnerungen. Ich wollte auch immer schon wissen, wie eine Autopsie gemacht wird („Knacken Sie mit einer Knochenschere die Rippen durch, so dass sich der Brustkorb wie ein Käfiggitter abnehmen lässt“). Wilde Welt heißt der erste „Neon“-Teil mit Ich-der-Leser-Geschichten, Promi-Interviews und netten Abstrusitäten. Später folgen die Teile Sehen, Fühlen, Wissen, Kaufen und Freie Zeit. 180 Seiten umfasst die Ausgabe, was haargenau reicht für eine Bahnfahrt zwischen Hamburg und Berlin. Ist ja schon mal was.

Manchmal zucke ich allerdings zusammen und blättere schnell weiter, ehe ich mich alt fühle, so am oberen Rand der Zielgruppe. Denn ganz ist „Neon“ noch nicht raus aus den „Jetzt“-Kinderschühchen. Auf Seite 13 will ein Junge Stuntman werden – Männer werden übrigens ziemlich oft noch „Jungen“ genannt. Es gibt Tipps für Umzüge, für Berufseinsteiger und gegen GEZ-Kontrolleure. Weniger einfallsreich sind die üblichen Erklärungsversuche zu Fremdgehen, Orgasmen und Geschlechterunterschieden. Das Nette ist, dass „Neon“-Autoren Floskel-Vermeider sind und deshalb sogar tausendfach Geschriebenes noch lesbar ist.

Eigentlich sollten wir erwachsen werden. Das ist das Leitmotiv der Zeitschrift. Aber: warum eigentlich? Es klingt da etwas mit, das mich ein bisschen zweifeln lässt an den Motiven der Ex-„Jetzt“- und jetzigen „Neon“-Redaktion, die zum größeren Teil ja auch schon älter ist als die Zielgruppe. Sie macht sich damit verdächtig, Vergangenem hinterherzutrauern, ihre verlorene Jugend zu feiern: eine ganz private, trotzige Ich-bin-gar-nicht-so- alt-Party. Als werde automatisch spießig, wer erwachsen wird.

Ich habe Angst um mein Herz, das früher brannte, schreibt Matthias Kalle in seiner Kolumne. Noch so eine Feuer-Stelle taucht im Interview mit Franka Potente auf, die jetzt in L. A. lebt und bewusst ein tolles Leben in Berlin hinter sich gelassen hat. Sie hatte sich an ihrem erfolgreichen Selbst überfressen (eine klarsichtige Frau? Ich bitte zu bedenken: Sie hat Tom Tykwer gegen Elijah Wood eingetauscht!). Frau Potente jedenfalls sagt übers Heiraten: „Diese Rituale töten auch ganz viel und löschen das Feuer.“ Stellt sich die Frage: wozu Feuer, eigentlich?

Heißt Jungsein brennen müssen? Kann man das Brennen nicht hinter sich lassen wie Akne und einen unverqualmten Blick auf die Dinge gewinnen, ohne Prinzipien sausen zu lassen? Ist doch das Beste am Älterwerden, dass uns nicht mehr jede böse Erfahrung Brandwunden zufügen kann. „Neon“ scheint anderer Ansicht zu sein, wie es überhaupt zu vielem die Meinung gleich mitliefert.

„Neon“ ist gegen Umweltverschmutzung, gegen Dekadenz und für Projekte der Initiative „Gesicht zeigen“. Der wichtigste der 100 wichtigen Deutschen ist Sven Giegold aus dem Attac-Koordinierungskreis. Und im Kosmetikteil werden vor allem Natur- und Apothekenprodukte empfohlen. Jaha. Man traut sich kaum, dagegen was zu sagen. Aber insgesamt hat die Auswahl doch etwas allzu Pädagogisches.

Weiß ich nach dem ersten „Neon“, wie Erwachsensein geht? Immer noch nicht. Ich habe aber dann nachgedacht und entschieden: Man ist jung, solange man das Älterwerden genießt. Man kann ja trotzdem „Neon“ lesen.

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