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Nach dem Erfolg der "Landlust": Auf Beton ist nicht gut kuscheln: Das Magazin "Stadtlust"

Das Magazin "Landlust" erzielt regelmäßig neue Rekordauflagen, viele Verlage ahmen den Erfolgstitel nach. Nun gibt es die erste urbane Version namens „Stadtlust“ - doch mehr als die Sehnsüchte von Dörflern bedient sie nicht.

Wie umgehen mit hässlichen Kaugummiresten auf innerstädtischen Gehwegen? Logisch: einfach mal mit wasserfesten Farben bemalen, zum Beispiel ein Gesicht drauf zaubern oder bunte Muster oder ein Pferd mit Blättern im Maul. Schwupps ist die Straße wieder ein kleines bisschen schöner geworden. So steht es in „Stadtlust“, dem neuen Magazin, das uns die angenehmen Seiten des urbanen Lebens präsentieren möchte.

Klingt erst mal nach einer cleveren Idee – nicht das Kaugummiaufhübschen, sondern der Versuch, vom Erfolg des Überfliegertitels „Landlust“ zu profitieren und dessen Konzept auf die Lebenswelt Stadt zu übertragen. Wann immer sich in den vergangenen Jahren über Auflageneinbrüche in den Printmedien erschrocken wurde, durfte die „Landlust“ aus dem kleinen Landwirtschaftsverlag Münster als bestes Argument gegen Endzeitstimmung herhalten: Seht nur, Gedrucktes kann immer noch Erfolg haben. Die Auflage liegt bei sensationellen 1,1 Millionen und damit deutlich vor der des „Spiegel“. Andere Verlage haben längst nachgezogen und eigene Titel mit Namen wie „Landidee“, „Liebes Land“ oder „Landleben“ auf den Markt geworfen, mittlerweile gibt es mehr als 30 Klone. Und obwohl keiner davon auch nur annähernd die Verkaufszahlen des Originals erreichte, geht das Kopieren munter weiter: Gerade erst folgte „Das Schönste vom Land – Lust auf Sommer“.

Jetzt also „Stadtlust“ aus der WAZ-Women Group, die auch „Frau im Spiegel“ verantwortet. Schließlich gibt es doch zig Millionen Menschen, die aus freien Stücken und liebend gern in der Großstadt leben – und viele weitere, die von einem aufregenden Metropolenleben träumen, ihre Flucht aus der Provinz sicher bereits planen. Da drängt sich die Frage auf: Wie konnte man eine solch riesige Zielgruppe bisher bloß unbedient lassen?

Wer „Stadtlust“ liest, weiß warum. Die aktuelle Ausgabe verrät etwa, wie man mit einem Strauß Blumen seinen Esstisch verschönern kann. Dass sich Katzen auch in Wohnungen wohlfühlen, solange man sie ausreichend beschäftigt und am besten zu zweit hält. Dass es sich in Hinterhöfen nett entspannen lässt – und dass es tatsächlich Menschen gibt, die am Rand von öffentlichen Gehwegen auf eigene Faust Pflanzen in die Erde setzen. Was dagegen konsequent ausgeblendet wird, sind: Hektik, Gewusel und alle Aspekte des Stadtlebens, die nerven können, aber auch Abenteuer versprechen. Gepriesen wird nicht die Fülle an Weggeh-, Ausprobier- und Kennenlern-Möglichkeiten, die eine Stadt nun mal bietet, sondern die Schaffung von Wohlfühlnischen. Damit ist „Stadtlust“ leider keine Erwiderung, sondern bloß die Wiederaufbereitung von „Landlust“-Themen in neuem Kontext.

Das Magazin kann auch als Warnung dienen

Die Themen der aktuellen Ausgabe: Strandbars, Tangotanzen, Guerilla-Gärtnern, Yoga-Trends und die Nachricht, dass Liebespaare Vorhängeschlösser an Brückengeländern anbringen, als Zeichen der Verbundenheit. Der Städtetrip ins Ausland führt in die angesagte Metropole Istanbul. Als „der neue Trendsport“ wird das Balancieren auf einem Seil zwischen zwei Bäumen gepriesen, wogegen man natürlich alles nichts sagen könnte, wäre das Heft vor fünf Jahren erschienen.

Ein bisschen wirkt es so, als hätten sich ein paar ehemals junge Leute zum Brainstorming hingesetzt, und jede erstbeste Idee, die da einfiel, musste zu einem Artikel verwurstet werden. Fast möchte man Mitglied dieser Redaktion werden und für kommende Ausgaben Themen wie „Neuer Megatrend: Großstädter mögen Gartenlauben“ oder einen Report über die geheimen Szeneläden H&M und Douglas vorschlagen, auch eine Geschichte über Elektroroller. Doch halt, auf der letzten Seite der aktuellen Ausgabe gibt es eine Vorschau aufs nächste Heft, Elektroroller sind schon eingeplant.

In einem Interview mit dem Hamburger Trendforscher Peter Wippermann erfährt der Leser, dass Städte heutzutage besser Optimismus ausstrahlen sollten, um attraktiv zu wirken, dass Grünflächen im urbanen Raum enorm wichtig seien und Carsharing definitiv Zukunft habe. Das ist übrigens derselbe Peter Wippermann, der über den Erfolgstitel „Landlust“ treffenderweise sagt, er besitze keinerlei News-Wert, sondern mystifiziere die Natur und berichte über verschwundene Traditionen. Was einem Großstädter beim Durchblättern aber nicht zwangsläufig auffallen muss.

Dies ist vielleicht die größte Leistung von „Stadtlust“: Indem wir Städter beim Lesen feststellen, wie wenig die Wohlfühlinhalte mit unserer eigenen Lebenswirklichkeit übereinstimmen, kann uns das Magazin auch als Warnung dienen. Davor, die Versprechungen der „Landlust“ allzu ernst zu nehmen, gar mit der Realität zu verwechseln. Die „Landlust“ ist eben vor allem deshalb so begehrt, weil sie uns die Plüschversion eines Landlebens vorgaukelt. Geschichten über saftige Wiesen und glückliche Menschen gibt es reichlich, über Zeckenbisse, prollige Dorfjugend und miese Internetverbindungen nichts.

Wie die „Landlust“ den Städter träumen lässt, wird „Stadtlust“ die Sehnsüchte von Dörflern bedienen. Man möchte sich allerdings nicht vorstellen, welche Traumata einem „Stadtlust“-Abonnenten aus der Provinz wiederfahren, falls er eines Tages tatsächlich umzieht und dann zum Beispiel in seiner neuen Heimat Berlin-Kreuzberg anfängt, die Kaugummiflecken auf dem Bordstein zu bemalen. Vielleicht besser mit der Wohnungskatze beginnen.

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