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Medien: Nach dem Schock

Wie die Stiftung Warentest mit dem fehlerhaften „Finanztest“ zur Riester-Rente umgeht

Von Hardy Prothmann

Hermann-Josef Tenhangen sieht überraschend frisch aus für einen, der seit Tagen Stress und in der vergangenen Nacht nur zwei Stunden geschlafen hat. Der Chefredakteur der Zeitschrift „Finanztest“ wirkt sogar ein wenig erleichtert. So wie jemand, dem etwas Schlimmes passiert ist und der ahnt, das es noch schlimmer hätte kommen können.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, zwischen vier und fünf Uhr in der Früh, konnten endlich die korrigierten Tabellen zur Riester-Untersuchung ins Internet gestellt werden: „Wir haben übers Wochenende so lange gerechnet, bis wir zufrieden waren und sagen konnten, jetzt stimmt alles." Damit war der größte Teil des Albtraums, der die Institution Stiftung Warentest für eine Woche schüttelte, erstmal vorbei.

Begonnen hatte das „Unglück“ zwei Tage nach der Pressekonferenz zum aktuellen Septemberheft, das 260 000 Abonnenten erhalten hatten, sich „sehr gut an den Kiosken verkaufte“ und ein „Renner“ zu werden versprach. Die Allianz hatte der Verbraucherschutzorganisation in einem eher „konzilianten“ Brief mitgeteilt, dass die Bewertung von 374 Riester-Produkten teilweise fehlerhaft erscheine. Der zuständige Projektleiter Finanzdienstleistungen, Axel Kleinlein, rechnete nach und rechnete und rechnete, bis er den Fehler gefunden hatte, der für den größten Fauxpas in der Geschichte der Stiftung Warentest gesorgt hat: Rund 60 Produkte waren wegen unzulässig hineingerechneter Kosten entschieden zu schlecht bewertet worden. Die Geschäftsführung entschloss sich zum ersten Mal in der 38-jährigen Geschichte der Stiftung Warentest, das Heft zurückzurufen, und ging an die Öffentlichkeit.

Und die reagierte prompt, zumindest die Presse. Teilweise fair, teilweise hämisch. Immerhin galten die Qualitätsurteile der Stiftung über getestete Produkte von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ bislang als letztgültige Wahrheit – auch für die Presse. Denn die Stiftung leistet sich ein Recherche- und Qualitätsmanagement, das in der deutschen Presselandschaft einmalig ist.

Neben den Redaktionen „test“ und „Finanztest“ gibt es Fachabteilungen, die von Mathematikern, Volkswirten, Chemikern, Ingenieuren und anderen Wissenschaftlern gebildet werden. Die „vergleichenden Waren- und Dienstleistungsuntersuchungen“ der rund 60 wissenschaftlichen Mitarbeiter über technische Geräte, Lebensmittel oder Finanzprodukte sind das Rohprodukt, aus dem die Artikel entstehen. Die Ergebnisse dienen den Produktherstellern dazu, sich das Gütesiegel anzuheften, wenn sie „sehr gut“ oder „gut“ lauten; lauten sie nur „befriedigend“ oder gar „mangelhaft“, fürchten sie die Urteile wie der Teufel das Weihwasser.

Die Struktur der Stiftung erinnert an eine Behörde: Tenhagen ist Chefredakteur und gleichzeitig Abteilungsleiter der Redaktion. Gleichgestellt ist ihm Peter Schütt, Abteilungsleiter Finanzdienstleistungen. Er ist derjenige, in dessen Abteilung der Sündenfall eintrat. Hubertus Primus ist als Bereichsleiter Publikationen für alle Printprodukte verantwortlich und gleichzeitig Chefredakteur von „test“. Und über allem wacht der Vorstand.

„Die Redaktion kann die Testergebnisse nur nach Plausibilitätskriterien nachvollziehen“, sagt Peter Schütt. Viel zu komplex sei die mathematische Materie, deswegen gebe es auch die Aufgabenverteilung. Hier die Wissenschaft, dort die Redaktion, die die Ergebnisse in für den Verbraucher verständliche Artikel umsetzt. Bei „Finanztest“ werden die Untersuchungen im eigenen Haus gemacht, bei „test“ an Prüfinstitute vergeben.

Um die vergleichenden Studien „wasserdicht“ durchzuführen, erfolgt ein langer Weg durch mehrere Instanzen. Das mit Sachverständigen, Verbraucherschützern und Vertretern der Versicherungswirtschaft besetzte Kuratorium berät die Stiftung bei Untersuchungsvorhaben. Hat das Gremium einem Projekt zugestimmt, wird ein beratender Fachbeirat einberufen, der mit Sachverständigen, Verbraucherschützern, Wissenschaftlern und Anbietern besetzt ist und Vorschläge zur Untersuchung einbringt. Wie wichtig diese Vorarbeit ist, zeigt sich daran, dass es sich die Vorstände der Versicherungen oft nicht nehmen lassen, persönlich daran teilzunehmen. Soweit möglich werden die Vorschläge für die Untersuchungsmethode umgesetzt: „Allerdings nur, wenn sie vernünftig und nicht interessengeleitet sind“, sagt Tenhagen. Danach verarbeiten die Redakteure, die eng mit den Wissenschaftlern zusammenarbeiten, die Ergebnisse.

Angst vor einem „ramponierten Image“ ist weder Tenhagen noch Schütt noch Primus so recht anzumerken: „Wenn man der Sache etwas Positives abgewinnen will, dann muss ich unser erfolgreiches Krisenmanagement hervorheben“, sagt Primus. Das sofortige Eingeständnis des Fehlers, der offene Umgang mit der Presse, die Benachrichtung der Abonnenten und die Remission der Hefte sind eher unüblich, wenn kein juristischer Zwang vorliegt. „Für mich ist das wie bei Rückrufaktionen der Auto-Industrie, das tut weh, aber letztlich stärkt es das Vertrauen“, sagt Primus. Der materielle Schaden ist hoch genug: Die Kosten für die Briefaktion, den Abdruck der korrigierten Tabellen in der nächsten Nummer und das Einstampfen der fehlerhaften Hefte schätzt er auf bis zu eine halbe Million Euro. Geld, das man nun einsparen muss.

Worauf niemand eine Antwort hat, sind die Konsequenzen aus dem Fehler: „Wir müssen jetzt alle Einzelheiten dokumentieren, die zu dem Fehler führten und daraus unsere Schlüsse ziehen, damit sich das nicht wiederholt“, sagt Tenhagen. Er weiß, dass die Verlässlichkeit der Informationen das größte Kapital der Stiftung ist. Hier liegt das eigentliche Schock-Potenzial, das „Finanztest“ und die Stiftung noch einige Zeit beschäftigen wird: die Angst vor dem Wiederholungsfehler.

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