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Medien: Nachricht, dringend gesucht

Warum am Wochenende und montags die meisten Falschmeldungen erscheinen

Wann wird etwas zur Nachricht, was unter anderen Umständen in den Medien nicht einmal eine Erwähnung fände? Warum sind manche Politiker häufiger vor Fernsehkameras zu sehen als andere? Und wer ist schuld an politischen Parolen: Die Politiker, weil sie wissen, dass prägnant Provokantes mehr Aufmerksamkeit weckt, oder die Medien, weil sie so genannte „Aufreger“ langatmigen Analysen vorziehen? „Die Kraft der Wahrheiten – Gesetze der Medienwelt“ lautet das Thema des „Medientreffpunkts Mitteldeutschland“ in Leipzig.

Ein besonders gutes Beispiel, wie die Medienmaschinerie funktioniert, geben die Medien am Wochenende und montags. An diesen Tagen erscheinen die meisten Falschmeldungen, sagte Hans Leyendecker, Journalist der „Süddeutschen Zeitung“, bei einer Podiumsdiskussion. Meldungen, die Wochen, gar Monate alt sind, werden als neu verkauft, vermeintlich Exklusives erweist sich als „Ente“, noch bevor die Zeitung am Kiosk ausliegt. Und Äußerungen irgendwelcher Hinterbänkler werden verbreitet, die werktags kaum eine Chance hätten, überhaupt nur angehört zu werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

Es kann daran liegen, dass die Redaktionen am Wochenende aus Kostengründen dünn besetzt sind, der auf ein bestimmtes Thema spezialisierte Redakteur nicht da ist und der diensthabende Redakteur glaubt, eine Meldung, die über die Agenturen verbreitet wird, habe tatsächlich Neuigkeitswert. Also kommt die Meldung ins Blatt. Theoretisch hätte sie wegen mangelnder Relevanz, Neuigkeitswert oder Wahrheitsgehalt schon von der Nachrichtenagentur nicht verbreitet werden dürfen. Wilm Herlyn, Chefredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa) zuckt die Schultern: „Auch wir werden weniger Journalisten.“

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Herlyn beklagt den „Wust aus Verlautbarungen“, den die dpa in Form von „Vorabmeldungen“ aus den Redaktionen erhält. Eine Redaktion hat ein Interesse daran, dass die dpa Vorabmeldungen aufnimmt, verbreitet und damit andere Medien herausfordert, diese Vorabmeldung unter Angabe der Quelle zu veröffentlichen. Aufgabe der dpa wäre es, aus dem Wust das wirklich Wichtige herauszufiltern. Doch vieles verbreitet sie mehr oder weniger ungeprüft. Da werde regelrecht Druck gemacht, sagt Herlyn und erzählt, dass Chefredakteure oder Ressortleiter nachfragen, warum die dpa die Vorabmeldung noch nicht über den Ticker geschickt hat.

Weil der Druck immer größer und der Wust immer schlimmer wird, fand kürzlich ein Gespräch mit dreißig Chefredakteuren von Tageszeitungen statt, erzählte Herlyn in Leipzig. Am Ende habe sich die Runde darauf geeinigt, künftig selektiver vorzugehen. Nicht jede Vorabmeldung ist es wert, veröffentlicht zu werden. Wieso es dennoch passiert, erklärt sich mit dem Druck, der auch von anderer Stelle ausgeübt wird. Die Redaktionen gieren danach, dass die Agenturen so oft wie möglich ihre Vorabmeldungen verbreiten, denn nur so wird ihr Medium von anderen Medien zitiert. Es ist eine regelrechte „Zitierwut" ausgebrochen, seitdem das Institut Medien-Tenor regelmäßig Rankings aufstellt, welches Medium das meistzitierte ist. Solche Rankings seien „ein großer Quatsch“, sagt Leyendecker, denn jedes Zitat werde gewertet, unabhängig von der Qualität und Richtigkeit der zitierten Meldung.Die Position im Zitate-Ranking sei längst kein Beleg für die Qualität eines Mediums.

Wie Politiker die Medien instrumentalisieren, erklärte die sächsische Grünenpolitikerin Antje Hermenau. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass mediale Präsenz, sei es durch gezielt platzierte Zitate, Interviews oder Talkshowauftritte, die Durchsetzungskraft eines Politikers innerhalb seiner Fraktion stärke. Gern nutzten die Politiker die nachrichtenarme Zeit am Wochenende, um in die Medien zu kommen. Für jene, die es zudem beherrschen, in der vom Fernsehen vorgegebenen Zeit von einer Minute und dreißig Sekunden ihre Argumente so pointiert zu formulieren, dass die Äußerung zum „Aufreger“ wird, erhöht sich die Chance, auch vor die Kameras zu kommen. Das verstärkt die Tendenz, Parolen zu verbreiten.

Nur indem sich Medien Verbündete in anderen Redaktionen suchen, könne es gelingen, diesen Teufelskreis der Unmeldungen und nutzlosen Zitate zu beenden, glaubt Leyendecker. Eine Anregung, wie Zeitungen und das Fernsehen den gewonnenen Platz an nachrichtenarmen Wochenenden besser nutzen könnten, gab eine weitere Podiumsdiskussion zur Frage, wie man mit Parolen, insbesondere aus dem rechtsradikalen Lager, umgehen sollte. Kritisiert wurde, dass Medien zu sehr ereignisorientiert berichten würden. Die Ursache dafür sei der mangelnde redaktionelle Raum für tiefer gehende, nicht an die Tagesaktualität gebundene Analysen, sagte Wolfgang Storz, Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“. Ein Grund mehr, die Zeitungsausgaben an ereignisarmen Wochenenden für gründlich recherchierte Berichte zu nutzen, die dem Leser ermöglichen, die Nachrichten der Woche richtig einzuordnen.

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