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Der kleine Junge  (Vojta Vomácka) versteckt sich in einem Koffer.

© MDR/Ufa Fiction

"Nackt unter Wölfen": Passion vom Ettersberg

So funktioniert überzeugendes Fernsehen: Das KZ-Drama „Nackt unter Wölfen“ entdeckt in der Heldengeschichte von der Rettung eines Häftlingskindes das nackte Entsetzen.

Das KZ Buchenwald ist zuerst einmal das Symbol für tausendfachen Mord. Es ist aber auch ein mythischer Ort für siegreichen Widerstand der Kommunisten gegen die Nazis. Oder Stätte ideologischer Verdrängung? Nico Hofmanns und Stefan Kolditz’ blutige TV-Rekonstruktion des DDR-Bestsellers „Nackt unter Wölfen“ entdeckt in der Heldengeschichte von der Rettung eines Häftlingskindes das nackte Entsetzen. Eine Befreiung?

Es ist das Schlussbild. Die Kamera zeigt das Gesicht des Darstellers Sylvester Groth, der den Lagerältesten Krämer spielt. Draußen versuchen die befreiten Häftlinge ihr Glück zu begreifen. In Groths verschlossener Miene gibt es nichts als Heldendämmerung zu sehen. Es gibt keine Banalität des Bösen, aber auch keine Banalität des Guten, nur Entsetzen in dieser filmischen Auseinandersetzung der führenden deutschen TV-Filmemacher mit dem berühmten, 1958 erschienenen Buchenwald-Roman „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz. Der war von 1937 bis 1945 Häftling auf dem über Weimar gelegenen Ettersberg gewesen.

Zwei Tage vor Karfreitag begeht die ARD mit diesem aufwühlenden Film den Passionstag. Wann wurde im öffentlichen Fernsehen zur Hauptsendezeit 120 Minuten lang so schonungslos Erniedrigung („Welche Hure hat dich in die Welt geschissen“), Verspottung (reife Männer im Häftlingspyjama reißen sich kindisch beflissen die Mützen vom Kopf, wenn die SS-Flegel auftauchen) und, alles verdüsternd, der Sadismus der Folter bis an die Grenze der Ertragbaren gezeigt?

Aus der Verstandesreserve gelockt

Regisseur Philipp Kadelbach, Drehbuchbuchautor Stefan Kolditz und Ufa-Fiction-Produzent Hofmann stehen für eine Kunst, den medial abgestumpften Zuschauer aus der Verstandesreserve zu locken und die Sinnlichkeit eines Stoffes körperlich erfahrbar zu machen. Die Bombentragödie „Dresden“ beschrieb nicht nur das Liebesverhältnis zwischen einer Deutschen und einem alliierten Flieger, sondern die Grausamkeit des Erstickungstodes. Das Kriegstrauerspiel über die sinnlose Opferung der Jugend „Unsere Väter, unsere Mütter“ war keine hinterherkluge Reflexion über das Soldatentum, sondern eine Art Live-Schaltung in die sterbenden Seelen verzweifelnder Menschen, die orientierungslos auf die Grenzen ihrer leidenden Körper zurückgeworfen werden.

Wer heute den Apitz-Roman liest, spürt zwischen den Zeilen die inneren Verletzungen, die besserwisserische Genossen den inhaftierten Genossen zugefügt hatten. Hofmanns Ufa-Fiction-Produktion hat sich für Apitz’ Werk als Grundlage entschieden. Die Geschichte vom jüdischen Knaben und seiner mutigen Rettung trotzt jeder kommunistischen Vereinnahmung, weil in ihm Widerstand gegen die Parteidisziplin aufscheint. Diesen Knaben, der Stefan-Jerzy Zweig (Vojta Vomácka) heißt, hat es gegeben, aber die Umstände seiner Einlieferung, die Story mit dem Versteck im Koffer an den SS-Wachen vorbei sind historisch so wenig belegbar wie sein von Apitz als Triumph geschilderter Auszug durch das KZ-Tor auf den Schultern der Befreiten.

Kadelbach und Bildgestalter Kolja Brandt lassen zwar nicht vom Koffer, machen aber „das Judenkind“ (Lagerjargon) mit Kamerablicken in das ernste Gesicht nicht zum niedlichen Maskottchen, sondern zum Spiegel von Sehnsucht und Hoffnung. Man begreift als Zuschauer ohne viele Worte: Da ist die Seele der Buchenwald-Gefangenen, letzter Grund allen Widerstands, überwältigender als alle Dialoge über Taktik und Parteidisziplin,deshalb von der SS so grimmig gejagt. So funktioniert überzeugendes Fernsehen.

„Nackt unter Wolfen“, Mittwoch ARD, 20 Uhr 15. Direkt im Anschluss, 22 Uhr: „Buchenwald – Heldenmythos und Lagerwirklichkeit“. Doku.

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