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Medien: Naiv im Hinterzimmer

Journalismus, Politik und ein Film, der nicht aufklärt

Journalismus ist hektisch, das ist ein Klischee, aber für die meisten Journalisten auch Realität: Täglich Hunderte von Nachrichten lesen und rasch verstehen, Kameras an richtigen Stellen aufstellen, wichtige O-Töne auffangen: Für langes Überlegen bleibt wenig, manchmal auch gar keine Zeit. Und nicht alle nehmen sie sich wenigstens ab und zu, um über Abhängigkeiten nachzudenken, die eigenen blinden Flecken und den Sinn der eigenen Arbeit. Der SWR-Chefreporter Thomas Leif ist einer von denen, die das dankenswerterweise öfter auch öffentlich tun. Leif machte sich mit investigativen Reportagen einen Namen; das von ihm mitgegründete „Netzwerk Recherche“ hat sich die Förderung dieser Art Journalismus auf die Fahnen geschrieben. Sein jüngster Film über „Hinterzimmer und Strippenzieher“, den er zusammen mit Julia Salden gedreht hat und der am Mittwoch im NDR lief, will aufklären über die Kumpanei zwischen Journalisten und denen, die sie überwachen sollen, über die angebliche Macht der Hintergrundkreise, in denen sie sich austauschen, wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind. Doch leider zeigen sich die Autoren als Blinde, die die Farbe erklären möchten.

Der Film schwirrt – zur Musik von Helmut Dietls Zeitungspersiflage „Kir Royal“ – von unbewiesenen bis falschen Behauptungen: „Feierabend. Für viele beginnt erst jetzt das wahre journalistische Leben“ oder „Kaum ein gesellschaftlicher Termin wird ausgelassen“. Und ausgerechnet Franz-Josef Wagner, Autor der schrägen täglichen „Bild“-Kolumne, wird mit der Bemerkung geadelt, der schere sich nicht um die Meinung von Kollegen und Politikern, der gucke Politik im eigenen Wohnzimmer. Zu Wagners Selbstaussagen nickt Autor Leif ausgiebig und beflissen.

Leider ist der Film nicht ebenso voll von guten Fragen an all die Korrespondenten, Spin-Doktoren und Politiker: Journalisten oder Trappisten, wie seht ihr euch? Hättet ihr’s für euch behalten, wenn euch einer unter dem Siegel der Hintergrundkreisverschwiegenheit die US-Angriffspläne für den Irak genannt hätte? Einmal fällt der Satz „Wir verhandeln hier geheime Dinge.“ Wie geheim und was? Kein Nachhaken. Was die Sprecherin eines Hintergrundkreises da sagt, ist einfach zu schön, um die These vom wahren Journalismus im Hinterzimmer zu stützen; so einen Satz recherchiert man sich nicht kaputt. Der Film hätte aufklären können, aber er umgibt schlichtes Handwerk, denn das ist Journalismus vor allem, mit Mystifikationen. Das mag Journalisten schmeicheln, die sich für wichtig halten – sollte Leif darunter sein? –, aber es nützt Lesern, Zuschauern, Bürgern gar nichts. Sie sind danach schlechter informiert als zuvor. Die Autorin Andrea Dernbach, stellvertretende Politikchefin des Tagesspiegels, ist Mitglied von „Vino rosso“, einem Hintergrundkreis deutscher und ausländischer politischer Journalisten in Berlin.

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