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NETZ IM BILD: An ihren Grenzen

Global, modern, kommunikativ – so sind die Piraten. Oder etwa nicht? Ein Essay über internationale Vernetzung

Der Satz sitzt: „Wir vernetzen uns mit allem und jedem, der uns etwas anzubieten hat“, sagt der Pirat Christopher Lauer bei einer Pressekonferenz im Oktober und erstickt damit alle Nachfragen im Keim. Lauer ist gerade von einer Island-Reise zurückgekehrt, mit einigen Parteigenossen hat er sich dort mit Jón Gnarr, dem Reykjaviker Oberbürgermeister von der Besten-Partei, getroffen und den Ausbau Islands zu einem sicheren Datenhafen begutachtet. Lauer antwortet unwirsch, wenn man ihn fragt, wie sich eine mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand realisierte Reise zu einer Partei, die keine Piratenpartei ist, in ein Land, wo es noch keine Piratenpartei gibt, in ein systematisches Konzept internationaler Vernetzung einfügt. Ganz nach dem Motto: Das muss gar nicht passen, die Agenda setzt sich selbst, die Piraten sind allzeit kommunikationsbereit, reden mit jedem, der mit ihnen reden will. Punkt.

Man kann sich damit zufriedengeben – damit und mit dem Befund, dass die Piraten international aktiver als jede andere politische Bewegung von vergleichbarer Größe und vergleichbarer Jugend sind. Im sechsten Jahr nach der Gründung der ersten Piratenpartei in Schweden listet die Seite der „Pirate Parties International“ beachtliche 62 nationale oder regionale Parteien. Piraten gibt es in Argentinien und Nepal, in Norwegen und Südafrika. Sie machen in Brüssel gegen die Vorratsdatenspeicherung mobil und protestieren weltweit gegen das plurilaterale sogenannte Anti-Piraterie-Abkommen „Acta“, mit dem Urheberrechtsverletzungen international unter harte Strafen gestellt werden sollen. Allein aufgrund ihres sicheren Zugriffs auf technische Möglichkeiten scheinen die Piraten in Fragen der internationalen Vernetzung schlicht besser als alle Mitbewerber.

Aber ist besser auch gut genug? Um diese Frage beantworten zu können, muss man den Möglichkeitssinn aktivieren und sich eine zweite, simulakre Bewegung vorstellen: eine, die den De-facto-Piraten in allem gleicht, die die Internationalisierung aber deutlich rücksichtsloser und prioritärer betreibt; deren nationale Führungsriege im Netz ein wenig weniger (nämlich nicht ausschließlich) in deutscher Sprache über deutsche Innenpolitik, deutsche Medien und nicht zuletzt: deutsche Piraten schreibt.

Wer nur diese Möglichkeit denkt, der gibt sich mit den existierenden Piraten schnell nicht mehr zufrieden. Deren inzwischen wohlbekannte Holzhammerargumentation, wonach eben das geredet wird, was die Redner reden möchten und man ihnen dabei nicht reinreden soll, reicht dort nicht mehr, wo man sich auch andere Protagonisten eines neuen Medienbewusstseins in der Politik vorstellen kann. Solche, die in jeder Hinsicht weniger provinziell veranlagt sind als die Genannten. Die Fragen, die sich dann stellen, sind drängender, als es zunächst scheint: Was wäre, wenn die real existierenden Piraten die semantische Dimension ihres eigenen Tuns gnadenlos unterschätzen? Ist der Weg einer allein technischen Modifizierung von Kommunikationsprozessen tatsächlich der richtige? Müsste der, der Vernetzung ernst nimmt, Kommunikation nicht auch programmatisch verändern, und nicht nur in der Programmierung?

Natürlich, jaja, kann man das Netz bei aller Emphase für eine erträumte „nicht nur technische“ Kommunikationssensibilität in der Piratenpartei nicht komplett abgelöst von nationalen Dimensionen betrachten. Wer als Mitglied einer jungen Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt oder als Bundesvorsitzender die Partei der Stunde anführt, der twittert nun mal bevorzugt mit und über Parteimitglieder, Medien und Politiker anderer Parteien. Schon klar. Aber ist es – bei aller Freiheit des Einzelnen – deshalb auch richtig, das Medium Netz im überwältigenden Gros der eigenen Kommunikationsakte auf gewohnte, außerhalb seiner liegenden Bezugssysteme wie Staaten, Länder, Parlamente und eben nationale Parteiprogrammatik zu verkleinern?

Ohne Simulakrum, also ohne eine vorgestellte, ähnliche Piratenpartei, wird sich nie letztgültig sagen lassen, ob diese internationale Bewegung tatsächlich weiterkommt, wenn sie prioritär international kommuniziert. Nationale oder regionale Parlamentspolitik wäre so ja gar nicht zu machen. Es lassen sich aber immerhin, wenn man lange genug über die Möglichkeit des ganz und gar Anderen nachdenkt, andere Möglichkeiten denken: etwa die Möglichkeit einer Piratenpartei, deren Netzwerk ebenso sehr ein semantisches wie ein technisches ist und die bewusst daran arbeitet, dass bestimmte bedeutsame Enden nicht völlig veröden; kurz: die Möglichkeit einer Piratenpartei, die gezielt einen nationalen Diskurs ausdünnt, um einen internationalen Diskurs zu verdichten.

Warum das nötig ist? Vielleicht ja, weil auch die avanciertesten technischen Lösungen nichts daran ändern können, dass jede Zeiteinheit jedem Akteur nur einmal zur Verfügung steht. Hier wird die Frage nach etwas, was in der Realität nicht geschieht, grundsätzlich: Es ist die Frage danach, welche Bedeutung Piraten Medien beimessen, deren Sinndimensionen sich nicht decodieren lassen, aber ebenso wichtig für gelingende Kommunikation im Netz sind wie Forenarchitektur und LiquidFeedback, zum Beispiel (Fremd-)Sprache. Wer die real existierenden Piraten mit dem Anspruch verfolgt, dass sie über neue Techniken hinaus kommunikationssensibel sein sollten, wird den Eindruck nicht los, hier mit Protagonisten geschlagen zu sein, die ihr in jeder Hinsicht bedeutsames Anliegen – mediengerechte politische Normen für eine vernetzte Welt – nur von einer Seite durchdrungen haben. Eine simulakre Piratenpartei bestünde daher im Idealfall nicht (wie die tatsächliche) zu einem überragenden Teil aus verfahrenstechnisch interessierten Bastlern, sondern hätte auch noch ein paar Leute an Bord, die nicht nur fragen, wie man es technisch ermöglicht, möglichst viele Leute möglichst effektiv zu beteiligen, sondern auch, wie eine solche Beteiligung aussehen müsste, um dauerhaft Strukturen zu stabilisieren, die mehr bedeuten, als nur, dass sie möglich sind.

Um damit die Sehnsucht nach einem Simulakrum abschließend in die aufkeimende Sehnsucht nach einer gänzlich anderen Piratenpartei zu überführen: Es bräuchte eine Piratenpartei, in der „Bedeuten“ nicht nur ein zufälliges Nebenprodukt versuchter Prozessoptimierung wäre, sondern Ziel aller Bemühungen. Dass es derzeit überhaupt keine Sensibilität für den höheren Wert bestimmter Kommunikationen gegenüber anderen zu geben scheint, zeigt eben die internationale (Nicht-)Vernetzung der Piraten. Wo von allen Mitgliedern der Führungsebene der deutschen Piratenpartei auf Twitter und/oder Facebook fast ausschließlich national kommuniziert wird, zeigt sich – Islandreisen hin oder her – ein demonstratives Desinteresse an internationalen Beziehungen. Das wird in dem Moment kritisch, in dem man sich in Erinnerung ruft, wie bedeutsam diese Beziehungen für eine Partei der Netze sein sollten.

Was genau eine Umorientierung hin zu einer stärkeren Bedeutung von Bedeutung, die notwendig eine stärkere Gewichtung des Internationalen nach sich zöge, den Piraten an Erfolg, Misserfolg, Chancen und Gefahren bringen würde, darüber lässt sich indes keine Aussage treffen. Es steht sogar zu befürchten, dass die Piraten sich mit einem stärkeren Nachdenken darüber selbst den jugendlichen Schneid abkaufen könnten: Wer zu lange darüber nachdenkt, was denn nun – eher lang- als kurzfristig – ein „Angebot“ ist, für dass es sich zu „vernetzen“ lohnt, der kommt vielleicht nicht mehr zu so fetzigen „Mit allem und jedem“-Aussagen wie der eingangs zitierte Christopher Lauer. Die Frage ist nun, ob man zugunsten eines höheren Reflexionsgrades die Arroganz der heutigen „Anything goes“-Piraten missen will. Wäre eine Piratenpartei, die die Bedeutung des (internationalen) Diskurses noch vor der Maschine betont, die ihn ermöglicht, überhaupt noch sie selbst? Wäre das einer Gruppe angemessen, die, wenn sie nach diskursiven Prozessen gefragt wird, fast immer die Bedeutung des Apparats und seiner Gesetze für selbige betont? Wäre das noch die charmante Parallelwelt der Technik-Nerds? Kurzum: Wäre das noch ein Simulakrum, ein Ähnliches? Nein, vermutlich nicht. Aber gerade darin wäre es ein interessantes Projekt. Ein anderes.

Der Text ist ein Auszug aus Friederike Schilbach (Hrsg.): Die Piratenpartei. Bloomsbury Taschenbuch, 120 Seiten, 7,95 Euro. Weitere Autoren sind u.a. Juli Zeh und Frank Schirrmacher, im Handel ab dem 26. November.

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