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Netzwelt: Die Alpha-Blogger

Etablierte US-Medien stellen sich auf die Konkurrenz aus dem Internet ein. Die "Huffington Post" hat es geschafft in die Top Ten der amerikanischen Zeitungsportale aufzusteigen.

Im Kampf um Sieg oder Niederlage gibt es keine Nebensächlichkeiten. Vier Wochen ist es her, dass Hillary Clinton die wichtige Vorwahl im US-Bundesstaat Pennsylvania gewann. Bei einer Niederlage hätte sie die Nominierung Barack Obama überlassen müssen. Clinton profitierte von einer abfälligen Äußerung ihres Konkurrenten über angeblich verbitterte Kleinbürger mit Arbeiterklassenhintergrund, die sich in ihrer wirtschaftlichen Not an Waffen, Religion oder Vorurteile klammerten. Ein Statement, das sein Image als elitärer Salonliberaler festigte und Clinton ermöglichte, ihren Wahlkampf fortzusetzen. Enthüllt hatte den Fehltritt nicht etwa ein Profijournalist, sondern ein Obama-Fan. Mayhill Fowler, einer 61-jährigen Hobbyautorin, gelang die Exklusivmeldung. Sie ist eine von 1800 Bürgerjournalisten, die die Internetseite OffTheBus.net mit aktuellen Informationen aus dem Wahlkampf beliefern.

Die Seite gehört zur „The Huffington Post“, dem wohl einflussreichsten Alternativmedium Amerikas. Damit hatte sich die in den 1990ern vom rechten ins linksliberale Lager gewechselte Publizistin Arianna Huffington 2005 ein Forum geschaffen, das sie und ihre politischen Freunde mit Blog-Einträgen bespielten. Oft belanglos, stets lautsprecherisch und immer tendenziös: Wer noch nicht wusste, wie Hollywood und Ostküsten-Intellektuelle zur Schwulenehe, zum Recht auf Waffenbesitz und zum Irakkrieg standen, war hier richtig. Ernst nahm das kaum jemand.

Inzwischen schickt sich das Online-Experiment an, den etablierten Medien Konkurrenz zu machen. Im Februar dieses Jahres besuchten 3,7 Millionen Menschen die Seite, die damit in die Top Ten der US-Zeitungsportale vorstieß. Die Betreiber selber melden über zehn Millionen Besucher und kündigten an, neben den Blogs das redaktionell betreute Angebot zu stärken. Die „Huffington Post“ entwickelt sich zur zentralen Informationsquelle für Millionen Amerikaner, und auch die Politik kommt nicht mehr an ihr vorbei. Als Obama sich nach öffentlichem Druck von seinem Ex-Pastor distanzieren musste, tat er dies in der „Huffington Post“.

Interaktivität und Responsivität, also die Möglichkeit, in Echtzeit auf Informationen zugreifen und unmittelbar darauf reagieren zu können, haben den Mythos des Internets als egalitären Mediums begründet. Die „Huffington Post“ und viele andere Polit-Blogs machen sich dies zunutze und versuchen gar nicht erst, objektiv zu sein. Nicht solide Recherche, sondern das Wissen der Masse steht im Vordergrund. Die Grenzen zwischen den Konsumenten und den Produzenten von Nachrichten verschwimmen – Journalismus wird zur Gemeinschaftserfahrung. Kritiker werfen den Graswurzelchronisten vor, Vermutungen und Halbwahrheiten ungeprüft ins Netz zu stellen und professionelle Standards zu vernachlässigen. Vertreter der Blogosphäre bestreiten dies nicht, vertrauen aber auf Transparenz und die Selbstkontrolle der Gemeinschaft. Außerdem hat auch die Glaubwürdig etablierter Medien gelitten. So machte selbst die „New York Times“ im Vorfeld des Irakkriegs nicht gerade durch unabhängige Recherche auf sich aufmerksam.

Nachdem sie lange einfach ihr gedrucktes Produkt ins Netz stellten, haben die meisten Zeitungen die Zeichen der Zeit erkannt und dazugelernt. Allen Untergangsszenarien zum Trotz rechnen die meisten Experten daher auch damit, dass die großen Zeitungen fortbestehen werden – als multimediale Nachrichtenorganisationen. „Zeitungen werden sich verändern, nicht sterben“, verkündete der australische Medienmogul Rupert Murdoch vor zwei Jahren in einer Rede vor einem britischen Branchenverband. Seine Überzeugung untermauerte der streitbare Visionär jüngst mit dem kostspieligen Kauf des US-Traditionsblatts „Wall Street Journal“, das er seitdem radikal umbaut. Doch das identitätsstiftende Moment, das die Funktion der gedruckten Massenmedien für moderne Gesellschaften ausmachte, ist passé. An die Stelle der einen Öffentlichkeit, die ohnehin immer nur eine imaginäre war, treten zersplitterte Zielgruppen und Gemeinschaften mit ihren jeweils ganz eigenen Wahrheiten. Über 70 Jahre ist es her, dass Egon Erwin Kisch dem resoluten Medienkritiker Karl Kraus vorwarf, sich nur an der Vergangenheit zu orientieren. Kraus habe den „Federstiel gegenüber der Schreibmaschine“ gepriesen, „die Laterna magica gegenüber dem Kino“, und dabei übersehen, dass ein ganz anderes Zeitalter angebrochen war. Und er riet dazu, sich auf die Bedürfnisse der großen Massen einzustellen, ohne die Prinzipien der bürgerlichen Bildungstradition über Bord zu werfen. Eine Aufforderung, die aktueller denn je erscheint.

www.huffingtonpost.com

Leonard Novy

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