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Das berühmte Bild von 1972 aus dem Vietnamkrieg, das für Facebook zu viel Nacktheit zeigte.

© dpa

Netzwerk zensiert Zeitung: Facebook schaut weg, wo wir hinschauen müssen

Facebook löscht bei "Aftenposten" ein Vietnamkriegs-Bild von 1972 - und macht es sich und uns damit zu leicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Joachim Huber

Facebook hat die Norweger auf die Tanne getrieben. Selbst Ministerpräsidentin Erna Solberg erkennt auf Zensur: Das soziale Netzwerk bremse die Meinungsfreiheit aus.

Tatsächlich hat Facebook seine Richtlinien über angemessene Fotos angewandt. Norwegens größte Zeitung, „Aftenposten“, hatte das Foto des Mädchens Kim Phuc gezeigt, das während des Vietnamkrieges als Neunjährige nach einem Napalmangriff nackt und vor Schmerz schreiend aus ihrem Dorf flüchtet. Dieses Foto hat ikonographischen Rang, es gehört zu den Symbolbildern dieses Krieges.

Das interessiert Facebook nicht. Nach dessen Regeln dürfen Bilder von nackten Genitalien nicht gezeigt werden. Also wurde die Profilseite von „Aftenposten“ gelöscht. Regel ist Regel, Facebook ist Facebook.

Ja, der allgegenwärtige Filter unterscheidet nicht zwischen Kinderpornographie und Kriegsfotografie. Darüber kann, darf und muss sich aufgeregt werden. Facebook, mittlerweile mit das größte publizistische Unternehmen der Welt, muss seine universellen Regeln verfeinern, individualisieren, es braucht Angemessenheit und Abwägung statt Arroganz und Autorität. Die Welt ist multireligiös, multikulturell, multilingual – und kein Algorithmus aus Kalifornien.

Ein ganzer Krieg auf zwei Fotografien

Aber, und da kommt eine weitere, vielleicht noch wichtige Frage herauf. Das Bild von Kim Phuc stammt von 1972, seine weltweite Verbreitung hat die Meinung der Welt über den Vietnamkrieg mindestens so stark beeinflusst wie jene Aufnahme, da Saigons Polizeichef einem gefesselten Vietkong in den Kopf schießt. Ein ganzer Krieg auf zwei Fotografien.

Derartige Bilder sind wahrlich keine Exklusivitäten jenes Krieges. Solche Szenen gibt es auch aus Syrien oder aus den vom „Islamischen Staat“ beherrschten Regionen oder, oder, oder. Wer will sie zeigen, wer will sie sehen? Das Foto des dreijährigen ertrunkenen Jungen Ayla Kurdi am Strand wurde zum Symbolbild der Flüchtlingskrise. Der Junge war angezogen, sein Gesicht war vom Kameraobjektiv nicht erfasst.

Drama und Trauer wurden begleitet von der Diskussion, ob der Junge im Bild gezeigt werden durfte, ob seine Menschenwürde nicht verletzt, missbraucht, ja, ob er nicht ein zweites Mal, dieses Mal jedoch von den Medien, ums Leben gebracht wurde. Da schwingt neben Respekt und Sensibilität auch der Horror des Lesers/Users/Zuschauers mit, solche Gewalt ertragen zu müssen.

Nur geschauter Horror hat Wirkung

Das Pendel ist von 1972 bis heute in die Richtung geschwungen, dass die Berichterstattung über Kriege und Katastrophen mehr und mehr auf die Bilder von getöteten und toten Menschen verzichtet. Anschauung wird vermieden, Imagination ist gefragt. Aber: Vorgestellter Horror hat nicht die Dimension des geschauten Horrors.

Krieg live? Der Tod in Nahaufnahme? Nicht Blutlachen, sondern verblutende Menschen? Nein, aber Bilder von einer Bann- und Strahlkraft wie jene von Kim Phuc und Ayla Kurdi. Wer sie nicht zeigt, wer sie nicht sehen will, der nimmt sich und der Welt, was zu ihm und zur Welt gehört: Gewalt und Gräuel von Menschen an Menschen.

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