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Neue TV-Serie: Aufstand der Aussätzigen

In den USA ist die Musical-Comedy „Glee“ bereits ein Hit. Jetzt kommt sie nach Deutschland. Doch mit Disneys kitischigem "High School Musical" hat die Serie gar nichts gemeinsam.

Irgendwann in Folge drei, als der Glee- Club mal wieder zu scheitern droht, diesmal aber wirklich, da fällt dem erfolglosen Sängertrupp ein, weshalb es sich weiter zu kämpfen lohnt: die Nase von Barbra Streisand! Hätte die Sängerin damals auf ihre Berater und Plattenmanager gehört, wäre der Monsterzinken längst umoperiert. Doch die Streisand widerstand. Und ihr Makel wurde zum Markenzeichen.

Sie haben alle einen kleinen Makel in diesem Showchor, dem Auffangbecken für Außenseiter an der fiktiven McKinley Highschool. Zumindest eine Eigenheit, die ihnen das Leben im System Schule zur Hölle macht: Da sind der Rollstuhlfahrer, die stotternde Asiatin, der ungeoutete Schwule, die dicke Schwarze, die Streberin. Im Kastenwesen der Highschool stehen sie ganz unten, wenn es gut läuft, kommen sie irgendwie durch die Schulzeit, ohne auf der Toilette in die Kloschüssel getunkt zu werden.

„Glee“ handelt davon, wie sie es trotzdem nach oben schaffen können. Lehrer Will Schuester verfolgt einen Plan: Er will ein paar der vermeintlich coolen Schüler überreden, dem Chor beizutreten. Erst versucht es Schuester mit Argumenten, als die keine Wirkung zeigen, schiebt er einem großgewachsenen Schönling Marihuana unter und erpresst ihn damit.

In den USA ist die Serie des Senders Fox ein Riesenerfolg. Bei den Golden Globes, die Sonntagnacht in Los Angeles vergeben werden, ist „Glee“ fünf Mal nominiert, vier Emmys gab es bereits, dazu ein Vorsingen im Weißen Haus, einen Gastauftritt bei den „Simpsons“ und einen bei Oprah Winfrey. Die verstand phasenweise ihr eigenes Wort nicht, weil zu viele Fans im Studio lärmten. Diesen Sonntag startet „Glee“ nun auch in Deutschland mit der Pilotfolge auf RTL, die weiteren laufen immer montags auf SuperRTL.

Der Erfolg war nicht absehbar, im Gegenteil. Als ein Programmverantwortlicher von Fox die erste Folge sah, fluchte er: „Was zur Hölle ist das? Ich möchte sofort aus dem Fenster springen.“ Bei „Glee“ wird ständig gesungen, getanzt, geküsst. Auf den ersten Blick vermutet man einen Abklatsch von Disneys kitschiger „High School Musical“-Reihe. Doch „Glee“ ist ganz anders. Ironischer. Zügelloser. Böser. Hauptdarsteller Cory Monteith hat es neulich so formuliert: „Glee“ sei wie das „High School Musical“, dem in den Magen gehauen und das Geld fürs Mittagessen geraubt wurde.

Da ist der herrlich verkorkste Lehrkörper. Die Trainerin der Cheerleader treibt ihre Schutzbefohlenen sadistisch zu Höchstleistungen („Ihr glaubt, das ist hart? Ich habe Hepatitis. Das ist hart“). Die Vertrauenslehrerin kämpft mit Keimphobie. Der Werkkundelehrer muss seinen Traum aufgeben, einmal per Anhalter durch Europa zu reisen. Er hat beim Holzsägen beide Daumen verloren.

Neben Kritikerlob generiert „Glee“ in Amerika vor allem Dollars. Wegen der durchschnittlich elf Millionen Zuschauer, aber auch wegen der klugen Verwertungskette. Die Lieder aus der Serie – zumeist Coverversionen bekannter Popsongs oder Musicalnummern – werden zeitnah zur TV-Ausstrahlung als Singles veröffentlicht. Innerhalb eines Jahres landeten 75 Lieder in den US-Charts.

Ganz wenige Popmusiker verweigern ihre Zustimmung, wenn die Anfrage kommt, ob einer ihrer Songs in der Serie verwurstet werden darf. Zum Beispiel Coldplay, deren Hit „Viva la Vida“ für die Pilotfolge vorgesehen war. Die „Glee“-Verantwortlichen erzählen diese Anekdote heute sehr gerne, weil sie letztlich doch ein gutes Ende nahm: Als die Musiker später eine Folge sahen, schickten sie sofort eine Entschuldigung. Jetzt haben die Produzenten lebenslangen Zugriff auf sämtliche Coldplay-Songs.

Andere Musiker reißen sich darum, persönlich in der Serie auftreten zu dürfen. Britney Spears spielte schon mit, Lady Gaga folgt bald, Gwyneth Paltrow tanzte im Kunstregen zu Rihannas „Umbrella“. Alle Darsteller singen selbst, auch das ein Unterschied zur Disney-Konkurrenz.

Zwischen den Songs hadern die Schüler mit ihrem Teenagerleben, rauchen Gras, verzweifeln am Zölibat, sorgen sich um die Zukunft. Auffällig oft erwähnen sie ihre MySpace-Seiten, nie aber Facebook, was daran liegen mag, dass Fox wie MySpace zum Imperium Rupert Murdochs gehört. Ansonsten wirkt „Glee“ erfreulich wirklichkeitsnah. Erfinder Ryan Murphy („Nip/Tuck“) hat in der Serie eigene Mobbingerfahrungen verarbeitet. Umso mehr nervt der moralische, sehr fragwürdige Zeigefinger. Denn die Botschaft lautet leider nicht: Auch die Schwachen haben es verdient, anständig behandelt zu werden. Sondern: Die Schwachen sollen sich gefälligst anstrengen, dann haben sie auch eine Chance. Schubst die Schwuchtel auf dem Pausenhof nicht mehr kopfüber in den Müllcontainer! Sie kann singen und tanzen!

Im „Glee“-Universum ist jeder für sein Glück selbst verantwortlich, vielleicht ist der Gedanke ein bisschen zu amerikanisch, vielleicht wird er hierzulande zynisch wirken. Trotzdem hat die Serie schon eine deutsche Fangemeinde, bevor überhaupt die erste Folge gesendet wurde. „Gleeks“ nennen sich die Verehrer, sie sehen sich auf Augenhöhe mit den „Trekkies“ und den „Twilighters“ und wollen auch auf den Plot Einfluss nehmen. Neulich haben sie eine Protestkampagne angedroht, als das Gerücht umging, der schnulzige Teeniestar Justin Bieber bekomme einen Gastauftritt. Auch in der „Glee“-Welt hat Toleranz ihre Grenzen.

„Glee“; Die Pilotfolge läuft am Sonntag um 14 Uhr 40 auf RTL, die Folgen werden montags um 20 Uhr 15 bei SuperRTL ausgestrahlt.

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