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Das Konzept von „Die Runde Ecke“ ist einfach: Menschen erzählen auf der Bühne aus ihrem Leben.

© Tsp

Neuer Medientrend: Der "kleine Mann" kehrt zurück

Geschichten, die das Leben schreibt, und Bürgertalks: Das Fernsehen hat den "kleinen Mann" wiederentdeckt.

Ich bin 30 Jahre alt, aber unter meinem Bett wohnt ein Monster. Wieso? Kann ich nach Vietnam fahren und mein Patenkind besuchen, mit dem Motorrad? Mein Krebs, meine Krankheit, tut immer so, als würde er Tschüss sagen, und dann kommt er um die Ecke und sagt: Kuckuck! Drei Fragen/Geschichten, die das Leben schreibt. Drei Menschen, eine Bühne, ein Mikrofon – das TV-Format „Die runde Ecke“ ist eines der spannenderen TV-Projekte der vergangenen Jahre.

Erstaunlicherweise sucht es zurzeit einen neuen Sender. Und würde dabei ziemlich gut in die Zeit passen. Immer mehr Medien haben angekündigt, sich vermehrt um die ganz normalen Menschen kümmern zu wollen, Themen aufgreifen zu wollen, die den viel beschworenen „kleinen Mann“ von nebenan betreffen – gerade auch in Zeiten von Fake News, Politikverdrossenheit, Lügenpresse und Glaubwürdigkeitskrisen. Ob Sat1 mit der „Akte“ von Claus Strunz, WDR und ARD mit Bürgertalks und Publikumsdebatten bei Bettina Böttinger und Sandra Maischberger oder auch n-tv mit seiner neuer Sendung „Jetzt Knippertz“, wo verstärkt normale Bürger zu Wort kommen. „Wir sehen es als eine unserer wichtigsten journalistischen Aufgaben an, Angebote zu schaffen, die helfen, den Dialog zwischen den Menschen und der Politik zu intensivieren“, sagt n-tv-Chefredakteurin Sonja Schwetje. Hierzu zählt neben „Jetzt Knippertz!“ auch die neue Reportage-Reihe „Nah dran!“, die ab dem 24. April bei n-tv zu sehen sein wird.

„Das ZDF beleuchtet in seinen Informationssendungen schon immer, was die Gesellschaft bewegt, und lässt dabei die betroffenen Menschen zu Wort kommen", sagt ein ZDF-Sprecher. "Zuletzt begleitete die ‚ZDF.reportage‘ in der Reihe ‚Armes reiches Deutschland‘ Menschen, die von Kinder- und Altersarmut betroffen sind, Multijobber und Mittelstandsfamilien mit Abstiegsängsten." Auch in den ZDF-Formaten zur Bundestagswahl sollen im Zweiten vielfach Bürger zu Wort kommen.

Ähnlich tickt der WDR mit der Sendung „Ihre Meinung“ mit Bettina Böttinger, bei der 100 Zuschauer mit Politikern und Experten regelmäßig zu einem bestimmten Thema diskutieren. Bürger sollen sagen, was sie von der Politik erwarten. Menschen wieder mehr nach ihrer Lebenswirklichkeit befragen, das Credo von Bettina Böttinger bei diesem Bürgertalk, könnte auch Motto von „Die runde Ecke“ sein.

Menschen lieben Geschichten

Lebenswirklichkeit hat ja nicht nur mit Politik zu tun. „Menschen lieben Geschichten, sie hören zu und erzählen selbst. Unser Job ist es, die guten zu finden und die Erzähler so zu begleiten, dass es für alle Beteiligten zu einer runden Sache wird“, sagt Patrick Neumann, einer der drei Macher des aus Klubabenden in Köln, Berlin und Koblenz entstandenen Formats. Pro Woche melden sich fünf bis zehn neue potenzielle Erzähler bei der „runden Ecke“. Albträume, Krebs, Familienbande – wovon die Geschichten handeln, ist letztlich egal, Hauptsache, die Geschichten sind wahr und werden vor Studiopublikum frei vorgetragen. Beruhend auf der Sehnsucht der Menschen nach Authentizität.

Das Konzept ist stupende einfach: Menschen stellen sich hin und erzählen aus ihrem Leben, moderiert vom früheren Radiomoderator Patrick Lynen. Dem war die Idee zur Sendung in den USA in einer Bar gekommen, wo sich ganz normale Menschen auf der Bühne präsentierten. Die Faszination des Erzählens über sich selbst ist schnell zur Faszination des Zuhörens übergegangen. „Wir hatten auch schon eine BVG-Busfahrerin, die herzergreifend aus dem Alltag plaudert“, sagt Neumann über die deutschen Stand-ups. „Und einen Regisseur aus Kreuzberg, der bei einem Unfall sein Bein verlor, sich nicht ans ärztliche ,Geht nicht‘ hielt nun wieder radelt.“

Warum nicht im RBB?

Im WDR wurde die zweite Staffel im Nachtprogramm versendet, danach abgesetzt. Noch hat sich kein anderer Sender zur Fortsetzung entschlossen. Warum nicht so etwas auch fürs Hauptstadt-Programm? Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) mit seiner neuen Intendantin Patricia Schlesinger und dem Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus hat gerade eine Programmreform angeschoben, um sein Fernsehprogramm flotter zu kriegen. Im Visier auch: ein jüngeres Publikum. „Die Runde Ecke“ hat bereits den Roten Salon der Volksbühne komplett gefüllt. Es spreche sich herum, sagt Neumann, wie das Format mit den Menschen umgehe. Über 60 neue Geschichten für zwei weitere Staffeln wurden wieder gesammelt. Aktuell gebe es beim RBB keine Planungen für ein speziell auf den kleinen Mann ausgerichtetes Format, teilte ein RBB-Sprecher mit.

Manchmal müssen Fernsehsender einfach zu ihrem Glück gezwungen werden. Zum Glück kann man Dorothee Krüger jederzeit auf Youtube weiter zuzuhören, jener jungen Frau mit dem Monster unterm Bett.

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