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Bei den Nachbarn des Toten versuchen die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär, links) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt, r) hinter die Fassaden zu blicken.

© WDR/Martin Menke

Neuer "Tatort": Auf tödliche Nachbarschaft!

Hilfe, mein Nachbar wohnt nebenan. Die Kölner "Tatort"-Kommissare ermitteln am Maschendrahtzaun

Nachbarn hat jeder, und jeder hat seine Erfahrungen mit seinen Nachbarn. Das Verbindende gehört zu diesem Verhältnis genauso wie das Trennende, das Hinschauen wie das Wegschauen. Schon das musikalische Intro zum „Tatort: Nachbarn“ markiert die Spanne: Zum Wohlfühlsong „Happy“ von Pharrell Williams werden Szenen glücklichen Familienlebens hochgezogen, gefolgt von einem Brummi-Fahrer, dem ein Mensch vor den Laster fällt. Er überfährt ihn, und was nach einem Selbstmord aussehen sollte, war ein Mord: Werner Holtkamp wurde erschlagen, zu Hause, im eigenen Bett.
Die Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) also ermitteln in einer Einfamiliensiedlung, wo die Zypressen strammstehen und der Wohlstand sehr bürgerliche Züge trägt. Holtkamp, der geschiedene Mittvierziger, lebte allein und zurückgezogen, aber nicht so allein und zurückgezogen, als dass er sich nicht zum Querulanten entwickelt hätte.

Der Tote war allen Nachbarn verhasst

Besonders mit seinem Nachbarn Leo Voigt (Werner Wölbern) liefert er sich einen erbitterten Streit über Grundstücksgrenzen. Leo Voigt, von seiner Frau für einen anderen verlassen, hat seine Stieftochter Sandra (Claudia Eisinger) und deren Tochter Mira (Lena) großgezogen. Seinen Brennstoffhandel hat er verkauft, um für Sandra und Mira alles nur Menschenmögliche zu tun: „Eine kleine Familie, wo einer auf den anderen aufpasst.“ Jens Scholten (Florian Panzner) ist der Vater von Mira und lebt mit seiner Familie direkt nebenan. Leo Voigt hat sein Studium bezahlt und greift ihm auch bei seinem neuen Hifi-Laden finanziell unter die Arme. Das Ehepaar Anne und Frank Möbius (Birge Schade und Stephan Grossmann) ist nur noch auf dem Papier ein Paar. Frank Möbius arbeitet im Außendienst, ist er im häuslichen Innendienst, dann kümmert er sich um seine Echse. Seine Frau Anne suchte Nähe und Trost beim Nachbarn Holtkamp, schnell finden die Kommissare ihren Bittzettel an Holtkamp: „Wirf mich nicht weg“. Ballauf und Schenk erkennen, klar, ein Mordmotiv, und sie erkennen nach und nach, dass jeder Nachbar ein Motiv hatte, Holtkamp tot zu sehen. Das Buch von Christoph Wortberg (spielte lange Jahre den Frank Dressler in der „Lindenstraße“) errichtet einen wahren „Maschendrahtzaun“ an menschlichen Beziehungen und fragilen Verbindungen. Das Miteinander ist so kompliziert wie komplex, und weil das so ist, findet dieser „Tatort“ hier seine wahre Stärke: Zwar lässt der Mord die äußere (Schutz-)Schicht kollabieren, trotzdem halten die Voigts, Möbius’, Scholtens ihre Haltungen und Rollen aufrecht, ihre Geheimnisse mit aller Macht weiter geheim. Für die Kommissare ist das wie eine Mauer, die sie durchbrechen müssen. Sie erscheinen wie Störenfriede in einer Nachbarschaft, die sich besser mit dem Mord als mit seiner Aufklärung zu arrangieren scheint. „Was soll das sein: die Wahrheit?“, werden sie gefragt, also bekommen sie Märchen von Grimmscher Qualität aufgetischt. Regisseur Torsten C. Fischer führt seine Kommissare durch ein Schichtenlabyrinth, er lässt Bilder vom kleinen Glück und vom großen Unglück entstehen. Nur ganz selten wird das Dramulettchen „Hilfe, mein Nachbar wohnt nebenan“ aufgeführt, wird die Symbolik von der Isolation des Einzelnen übergroß. Autor Wortberg und Regisseur Fischer tarieren Verhältnisse und Nachbarn sorgsam gegeneinander und miteinander aus. Jede Figur hat ihre Berechtigung, jeder Mensch sein Gewicht: „Nachbarn“ rutscht nicht auf dem Schleim aus, den so viele Familienfilme anrühren. Dieser „Tatort“ ist fern vom Kitsch, und wenn er sich ihm nähert, dann wirkt das durchs Leben beglaubigt.

Auch Kommissar Schenk hat Ärger mit dem Nachbarn

Einen ganz hübschen Nebenstrang gibt es auch: Kommissar Schenk liegt mit seinem Nachbarn überkreuz: „Mein Nachbar will Krieg, er bekommt Krieg.“ Der hält sich auf seinem Balkon einen kreischigen Papagei. Das schafft auch Erleichterung und Witz im nicht kleinen Einfamilienhaussiedlungs-Drama. Bär und Behrendt sind so konzentriert wie selten in ihrem „Tatort“-Krimi. Die Empathie ihrer Kommissare passt, Mord hin, Mord her, das verzweifelte Festhalten am Glück und an jedermanns/jederfraus Suche nac seinem Anteil am Glück spiegelt sich in ihrer Fahndung.
Das Nachbarn-Ensemble besticht. Ob Werner Wölbern als Familienfanatiker Leo Voigt (fürsorglich sogar in der Verzweiflung) oder Birge Schade als frustrierte Ehefrau Anne Möbius (voller Hoffnung, dass sie die Liebe findet, die sie sucht) – hier wie auch in sonstiger Darstellung werden Ängste sorgsam verpackt und innere Konflikte überspielt. Perfektion der Existenz bedeutet Perfektion der Anstrengung. Die Schauspieler machen ihre Figuren besonders, weil individuell.
Ganz, erst ganz am Ende wird der „Tatort“ ein wenig „lindenstraßig“, was nur die alte Mutter-Beimer-Weisheit bestätigt: Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt.

„Tatort: Nachbarn“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

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