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„Newtopinianer, ich bin’s.“  Für Besucher gibt es rechts vom Tor eine Klingel.

© dpa

"Newtopia": Billig-Fernsehen aus der Scheune

Das Konzept ist vielversprechend, doch die Pioniere sind eine Ansammlung von Unsympathen und Egomanen: Unser Autor hat sich eine Woche "Newtopia" angesehen.

Candy, Politikwissenschaftler, arbeitsloser Kunsthistoriker. 44. Kein fester Wohnsitz. 5000 Euro für seinen verfilzten Schopf schlägt er aus. Das gerettete Haarteil, optisch ein Brechmittel. Für Candy aber ein wichtiges und unverzichtbares Attribut. Ein Gradmesser für die Toleranz seiner Umwelt. Conny, Architektin, 45. Eher metaphysisch, psychisch und seelisch gepolt. Kennt alle tiefen Wahrheiten des Universums. Grundsatz: Eins und eins sind nur im blöden Kapitalismus zwei. Liegt, sitzt und steht dauernd irgendwo rum. Tut wenig. Labert dafür um so mehr. Hans, Fitness-Trainer, 30. Mag kein Fleisch. Sieht sich selbst als Sexobjekt. Wenn ihm was nicht passt, wird er gewalttätig. Drei Personen. Drei von 15 Pionieren. Angetreten, eine neue, vielleicht bessere Gesellschaft zu gründen. Ein Jahr lang leben sie in einer Scheune. Umgeben von unkultiviertem Land. Startkapital 5000 Euro.

Keine Gesetze. Basisdemokratie. Es gibt Regeln für das Nominieren. Wer rausfliegt. Wer neu reinkommt. Mehrere Kameras nehmen auf. Gestartet ist das Format mit 2,80 Millionen Zuschauern. Marktanteil 10,0 Prozent.

Jetzt hat „Newtopia“ circa 1,5 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von rund 6,2 Prozent. Selbst für das quotenentwöhnte Sat1 ein Reinfall. Es wird heftig runderneuert und renoviert. Das Original – „Utopia“ – in Holland ein riesiger Erfolg. In den USA gnadenlos gefloppt und nach acht Wochen abgesetzt. Gute oder schlechte Aussichten für Deutschland? Je nach Standpunkt. Die Grundidee – 15 Menschen entwickeln eine neue Gesellschaft – ist spannend. Ausbaufähig. Aber genug TV-Stoff für täglich rund 50 Minuten Sendezeit? Fünf Tage die Woche? Ein Jahr lang?

Ansammlung von Unsympathen

Das größte Hindernis sind die Pioniere. Eine Ansammlung von Unsympathen und Egomanen. Wenn etwas nicht nach den eigenen Vorstellungen läuft, gibt’s Probleme. Dann wird geheult. Mit dem Ausziehen gedroht. Verbal deftig ausgeteilt. Die Königin der miesen Stimmung – Conny. Sie stört alles. Dass in der Scheune eine Küche und ein Bad gebaut wird. Das billige Essen. Die fehlenden biologischen Nahrungsmittel. Die marktwirtschaftlichen Regeln von Peymand und Derk. Beim Osterfest stören sie sogar die Soft-Getränke für die Kinder. Die Gruppe ist pleite. Aber Conny meckert und jammert nur. Keine eigene Idee zum Geldverdienen. Kein Vorschlag.

Candy wollte am Anfang kein „Newtopia“ sondern ein „Sextopia“. Freie Liebe. Freier Sex. Gruppenkuscheln. Sonst wollte das keiner. Trotzig und beratungsresistent zieht Candy aus. Baut sich sein eigenes Domizil. Mit Material der Gruppe. Sonst macht er nichts für die Gruppe. Die Studentin Karolina hasst Fleisch. Ist Veganerin und kümmert sich besonders um die Hühner. Als Zigarettenentzug droht, flippt die Nachhaltigkeits-Kämpferin aus.

Es fehlen positive Bezugspersonen

Eigentlich ist das gesamte TV-Personal geeignet, dramatische Verwicklungen und Stress-Situationen zu kreieren und zu bevölkern. Empörungsgenuss – ein sehr starker Impuls für Medienkonsum. Aber hier sind einfach zu viele negative Helden in der Scheune. Es fehlen positive Bezugspersonen. Auch die Redaktion von „Newtopia“ arbeitet alles andere als positiv. Abgeliefert wird uninspiriertes Billig-Fernsehen. Es werden keine Geschichten erzählt. Es fehlt der rote Faden. Es fehlt Spannung. Verschiedene Gespräche werden aneinander geschnitten. Persönliche Entwicklungen werden ignoriert. Zeitliche oder örtliche Einordnungen gibt es auch nicht. Dafür werden krasse Ausbrüche oder Verbal-Attacken bis zum Überdruss wiederholt. Die Musikauswahl – banal. Geht’s ums Geld, kommt „Money“ von „Pink Floyd“.

Fazit: Sat1 will mit „Newtopia“ quotenmäßig seine Vorabend-Performance verbessern. Dazu braucht es andere Pioniere. Eine bessere Redaktion. Viel Geduld und einen langen Atem.

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