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Medien: Noch schnell Kartoffelbrei für Geena

Nervosität im Adlershofer TV-Studio kurz vor dem Start des ersten Fernsehduells

Von Joachim Huber

Beide hatten es sehr eilig, vom Parkplatz ins Fernsehstudio zu gelangen. Herausforderer Edmund Stoiber schien gar die Pressetribüne zu übersehen, auf der sich Dutzende Fernsehteams, Fotografen und Presseleute zum Empfang postiert hatten. Erst auf laute Zurufe drehte sich Stoiber in Richtung Journalisten und riss die Hand zum Gruß hoch. Das passierte Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht. Er fasste die Presse gleich ins Auge, winkte mehrfach und war nach wenigen Augenblicken im Studio in Berlin-Adlershof verschwunden. Schröder kam kurz nach 19 Uhr, knapp eine Viertelstunde nach dem Herausforderer. Stoiber rollte im 7er-BMW heran, der Kanzler im VW-Phaeton.

Vielleicht waren die Duellanten auch ein wenig überrascht. Auf den letzten Metern zum Studio kamen sie an Plakaten vorbei. Schröder und Stoiber sahen sich darauf an, über ihren Köpfen schwebten eine leere Sprechblase, darunter stand: „Der Einzige, der etwas Neues zu sagen hat, ist nicht dabei.“ Die Plakate hatte die FDP aufgestellt, deren Kanzlerkandidat Guido Westerwelle nicht zum Duell eingeladen worden war. Ein vorwitziger FDP-Ortsvorsitzender hatte es bis ins Pressezentrum geschafft. Unter dem Vorwand, er dürfe mit Genehmigung von RTL-Informationsdirektor Hans Mahr einen Würstchenstand aufbauen. Noch ehe es zum Aufstellen kam, hatte er sich ein Hausverbot eingehandelt. Die FDP vom Vorsitzenden bis zum Ortsvorsteher blieb draußen vor der Studiotür.

Der Schauplatz war vom Bundeskriminalamt quasi versiegelt worden. Einige Journalisten fühlten sich an den Bush-Besuch erinnert. Die Sicherheitsvorkehrungen waren so streng, dass selbst Anwohner nach ihrer Akkreditierung gefragt wurden. Durchgelassen wurden sie trotzdem und setzten sich dann in kurzer Hose und Feinripp in den Liegestuhl, um das Spektakel zu genießen. Für alle Fälle standen auf dem Flugplatz Schönefeld zwei Hubschrauber bereit, einer für jeden Duellanten.

Früh waren sie gekommen, Schröder und Stoiber. In getrennten Räumlichkeiten wurden sie geschminkt, das Studio wurde ihnen nacheinander gezeigt. Diese Aufgabe hatte Regisseur Volker Weicker übernommen, der die Übertragungen beider Duelle verantwortet. Auf ihn wirkten beide Teilnehmer „relaxed, aber sehr konzentriert“. Weicker, eigentlich berühmt und gerühmt für seine Live-Regie bei Sportübertragungen, sah seine Aufgabe am Sonntagabend ganz nüchtern: „Eine neutrale Darstellung der Diskussion, kein Showduell, kein Klimbim.“ Volker Weicker hatte sich kein einziges Duell in einem US-Wahlkampf angeschaut: „Das brauche nicht nicht.“ Ein echter „Mr. Cool“.

Die Senderleute waren erkennbar nervös, die Sat 1-Mitarbeiter mehr noch als die RTL-Leute. Peter Limbourg, N-24-Chefredakteur und einer der beiden Moderatoren, ließ sich vor Duell-Beginn im Pressezentrum gar nicht blicken. RTL-Journalist Peter Kloeppel lenkte sich ab, indem er seiner Tochter Geena den heiß begehrten Kartoffelbrei am reich gedeckten Buffet mit Spezialitäten aus 16 Bundesländern besorgte. Die Nervosität rührte, verständlicherweise , von der Premieren-Situation her, aber auch von der Sorge, dass die feste Statik der Duell-Anlage dem Ereignis – bei allem Informationsanspruch – Bewegung und Gegenbewegung, Emotion und Spannung rauben würde. Zumal den Parteistrategen andere Dinge wichtiger waren als den Fernsehleuten. „90 Sekunden Redezeit sind in diesem Medium eine Ewigkeit“, sagte Mahr, „selbst ein Beitrag in den ARD-Tagesthemen dauert nicht länger.“

Große Furcht herrschte bei den Fernsehmachern freilich auch, dass sich die Zuschauer rasch langweilen und das Programm wechseln würden. Bis zu zehn Millionen Zuschauer sollten für RTL und Sat 1 drin sein, so lautete die Erwartung. Keine Rekordquote, auch keine Höchstpreise bei den Werbespots kurz vor dem Duell. Immerhin ging der Marktführer im deutschen Fernsehen, RTL, wie selbstverständlich davon aus, dass er bei der Quote vor Sat 1 liegen würde.

Viele der rund 700 Gäste im Pressezentrum hatten ganz andere Sorgen. Parteipolitiker wie die Generalsekretäre Franz Müntefering (SPD) und Laurenz Meyer (CDU) dachten über die Wirkung nach, die der neue RTL-Mitarbeiter und frühere WDR-Intendant Friedrich Nowottny auf die einfache Formel brachte: „Schröder kann nur verlieren, Stoiber nur gewinnen.“ Wie viele von den angekündigten Promis aus dem nichtpolitischen Bereich tatsächlich nach Adlershof gekommen waren, ließ sich im Getümmel allerdings nicht erkennen. Klar wurde nur, dass die Politprofis und Promis in verschiedenen Welten leben. Mehr als ein politischer Korrespondent rätselte später, ob er dem Model Nadja Auermann wirklich begegnet war.

Um 20 Uhr 30 waren alle Gedanken- und Gesellschaftsspiele gespielt. Das erste Fernsehduell auf deutschem Boden hatte begonnen.

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