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Abgehört: Non, sagt Monsieur le Président

Die Pressefreiheit im Sarkozy-Frankreich: Weil immer mehr Telefongespräche von Journalisten belauscht werden, gerät der Quellenschutz in Gefahr.

Von Anna Sauerbrey

Wie die Einbrecher in das gesicherte Bürogebäude im 20. Arrondissement von Paris gelangten, ist noch unklar. Sicher ist, dass sie in den Redaktionsräumen der französischen Nachrichtenwebsite Rue89 Unterlagen durchwühlten und rund 20 Computer mitgehen ließen. Ein Ereignis, das normalerweise wohl nur eine kurze Meldung wert wäre. Doch seit dem Sommer sind die französischen Medien empfindlich. Einer der gestohlenen Computer gehörte Pierre Haski, dem Rue89-Journalisten, der in der Bettencourt-Affäre recherchiert. In Frankreichs prominentestem Polit-Skandal geht es um Steuerhinterziehung und illegale Parteifinanzierung durch die Erbin des L’Oréal-Konzerns, Liliane Bettencourt, eine der reichsten Französinnen überhaupt. Und dann ist Pierre Haski nicht der erste mit der Affäre befasste Journalist, dem der Rechner gestohlen wird. Bereits im Oktober kamen die Computer dreier Journalisten von Mediapart abhanden, der Website, die die Affäre ins Rollen gebracht hatte. Auch ein Redakteur von „Le Monde“, der brisante Dokumente zur Affäre veröffentlicht hatte, wurde bestohlen.

In den Redaktionen wird spekuliert, ob der französische Inlandsgeheimdienst DCRI dahinterstecken könnte. Richtig glauben mag es keiner, Belege fehlen. Sicher ist: Der DCRI hat in Sachen Bettencourt-Affäre wiederholt die Telefonrechnungen von Journalisten ausgewertet, um Informationslecks in Behörden und Regierung ausfindig zu machen – und damit gegen den Quellenschutz verstoßen, der seit Januar in Frankreich Gesetz ist.

Ist diese ungewöhnliche Häufung enttarnter Quellen Grund zur Sorge um die Pressefreiheit im Frankreich von Präsident Nicolas Sarkozy? Nein, meint der Journalist Jean-Michel Thénard. „Die Presse wurde in Frankreich immer wieder überwacht“, sagt er. Thénard ist seit Jahrzehnten im Geschäft, er arbeitet für das Enthüllungs- und Satireblatt „Canard Enchaîné“. „Das Neue ist aber, dass es heute eine Leichtigkeit geworden ist, jeden Schritt und jeden Anruf eines Journalisten zu überwachen. Heute muss niemand mehr Wanzen installieren.“

Diese neue Leichtigkeit scheint eine verführerische Wirkung zu haben. Laut Zahlen, die dem „Canard“ vorliegen, haben die Anfragen der Sicherheitsbehörden an die Telefonanbieter allgemein zugenommen. 28 000 detaillierte Abrechnungen wurden demnach seit Anfang des Jahres angefordert. 25 Prozent mehr als noch 2009. Gerade veröffentlichte der Radiosender France Info zudem ein vielsagendes Dokument aus dem Hause François Fillons. Darin ruft ein hochrangiger Mitarbeiter des Premierministers die Sicherheitsdienste zur Ordnung und erinnert daran, dass das Gesetz es verbiete, sich direkten Zugriff auf Telefonrechnungen und Einzelverbindungsnachweise zu verschaffen.

Das entsprechende Gesetz wurde 1991 erlassen und soll Lauschangriffe und die Verwendung von Telefondaten begrenzen. Seither muss eine unabhängige Kommission jeden Zugriff genehmigen. „Aber die Politik hat die Kommission instrumentalisiert“, meint Thénard. Mehrfach haben sich Geheimdienst und Polizei ohne die Genehmigung der Kommission die Telefonrechnungen von Journalisten schicken lassen und sich dabei auf den Artikel 20 des Gesetzes berufen. Darin wird der übliche Genehmigungsweg außer Kraft gesetzt für den Fall, dass „nationale Interessen“ berührt sind.

Präsident Sarkozy will mit alldem nichts zu tun haben, auch wenn der „Canard“ ihm wiederholt vorgeworfen hat, von den Spionageaktionen gewusst zu haben. Er, Monsieur le Président, habe wahrlich Besseres zu tun, als sich mit den Telefonrechnungen von Journalisten zu befassen, sagte Sarkozy indigniert in einem Interview nach der Regierungsumbildung. Anlass zum Eingreifen sieht der Präsident aber offenbar auch nicht, obwohl die Schnüffelpraxis schon Auswirkungen zeigt. „Seit Jahren herrscht unter Informanten im politischen Milieu erhöhte Vorsicht“, sagt „Canard“-Journalist Thénard. „Viele unserer Quellen haben inzwischen verstanden, dass es gefährlich für sie sein kann, mit Journalisten zu sprechen. Richtig wichtige Dinge erzählt kaum jemand mehr am Telefon.“ Gerade deshalb sei es wichtig, dass die französische Justiz die Fälle rund um die Bettencourt-Affäre möglichst bald aufkläre und klare Richtlinien erlasse.

Die Richter werden dazu Gelegenheit haben. „Le Monde“ hat Klage gegen Unbekannt eingereicht. Und auch der „Canard“ wird vor Gericht stehen. Er wurde vom Chef des Inlandsgeheimdienstes verklagt, wegen Verleumdung. Verloren habe die Zeitung aber bislang selten, sagt Jean-Michel Thénard. Anna Sauerbrey, Paris

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