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Weiß, wovon er spricht. Claus Ruegner wurde in Brasilien geboren, er lebt seit rund 30 Jahren in Rio de Janeiro.

© Thilo Rückeis

Öffentlich-rechtliche Sicherheit in Rio: Claus Ruegner passt auf ARD und ZDF auf

Claus Ruegner arbeitet während der Olympischen Spiele in Rio als Sicherheitsbeauftragter von ARD und ZDF.

Vielleicht will einer aus dem Team ja eine Favela besuchen, aus reiner Neugier zum Beispiel. Oder weil er dort drehen möchte. Claus Ruegner wird ihm dann schon sagen, ob er dort einigermaßen sicher ist oder ob dort nur Leute hingehen, die sich für besonders harte Burschen halten und Nervenkitzel mit blanker Dummheit verwechseln. „Es gibt Gebiete, in denen herrschen Milizen, die zum Beispiel Schutzgeld erpressen“, sagt er. „Und dann gibt’s welche, in denen sich Drogengangs bekriegen. Beide Areale sind rechtsfreie Räume, dort greifen normale Gesetze nicht.“

Weiß er doch alles, deshalb arbeitet er ja für ARD und ZDF bei den Olympischen Spielen. Deshalb haben sie ihn für die Zeit der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vom 4. bis 21. August doch als Sicherheitsbeauftragten engagiert. Claus Ruegner, den Mann mit der rauchigen Stimme und dem wachen Blick, der mal in Darmstadt ein paar Semester Architektur studiert hat, aber seit rund 30 Jahren in Rio lebt.

„Die Touristen“, sagt er, „kennen ja nur 20 Prozent der Stadt.“ Dort tobt zwar noch nicht der Bandenkrieg, aber Ruegner sagt auch: „In Rio ist es um zwölf Uhr mittags gefährlicher als in Hamburg auf der Reeperbahn um Mitternacht.“ Wohl wahr: Im vergangenen Jahr wurden in Rio 1202 Menschen umgebracht. In ganz Deutschland waren es im gleichen Zeitraum 296.

Vielen Ausländern genügt auch das sichere Rio für einen unerwünschten Nervenkitzel. Den müssen sie nicht noch durch empörtes Palaver vergrößern. „Wenn man bedroht wird“, sagt Ruegner, „sofort alles hergeben, Geld, sonstige Wertsachen. Nicht diskutieren.“ Möglich, dass man sonst seinen letzten Diskussionsbeitrag geleistet hat.

Und dann ist da ja die Sache mit den Handzeichen, noch ein wichtiger Tipp von Ruegner, gut für die Gesundheit. Wer loben möchte und deshalb Daumen und Zeigefinger zum O formt, wie es Taucher machen, der übermittelt in Brasilien eine obszöne Geste. Der gereckte Daumen, das ist die Geste für Anerkennung.

Claus Ruegner ist in Brasilien geboren

Claus Ruegner, in Brasilien geboren, Eltern Deutsche, die nach Brasilien ausgewandert sind, ist die wichtigste Anlaufstelle für die 500 ARD- und ZDF-Mitarbeiter bei den Olympischen Spielen, wenn es um Sicherheit, Fragen der kulturellen Besonderheit oder Hilfestellung bei Zwischenfällen geht.

24 Stunden am Tag im Einsatz, sieben Tage die Woche, von morgens bis abends im Hauptpressezentrum, danach mobil überall, wo er sich sonst aufhält. Diebstahl, Raub, Autounfall, logistische Hilfe bei Krankheiten, alles seine Gebiete, bei denen er mit Rat und aktiver Hilfe bereitsteht. Wenn jemand einen Unfall gebaut hat und schockiert und hilflos anruft, spult Ruegner das Standardprogramm ab. „Bleiben Sie ruhig.“ – „Wo ist es passiert?“ – „ Gehen Sie zur Polizeistation xy“, die üblichen Fragen und Ratschläge. Ist jemand verletzt, muss er dafür sorgen, dass der oder die Betroffene ins nächstgelegene oder bestmögliche Krankenhaus kommt. Wenn nötig, fährt er auch selber hin. Auf jeden Fall: „Ich entscheide, was zu tun ist.“

Aber er hat Grenzen. „Ich bin kein Sicherheitsexperte“, das betont er. Bei Mord, Entführung und Terror endet seine Einsatzfähigkeit. Dann übernehmen die Spezialisten, dann greift der ganze Apparat ein. Deutsches Konsulat, Deutsche Botschaft, Bundeskriminalamt, dann schwebt auch der Sicherheitsbeauftragte des ZDF in Rio ein. Der hatte im Vorfeld das gesamte Sicherheitskonzept ausgearbeitet, Ruegner hatte allerdings mitgearbeitet.

Sie kennen ihn ja, bei ARD und ZDF. Er war schon 2014 Sicherheitsbeauftragter der Sender, bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Seine Referenz waren damals schon 25 Jahre Erfahrung als Aufnahmeleiter, umfangreiche Mitarbeit für das ZDF-Studio Rio, aber auch Einsätze für Sender anderer Länder. Ruegner machte in Deutschland sein Abitur, aber Anfang der 80er Jahre zog er wieder nach Brasilien.

Am 1. Juli begann sein Vertrag als Sicherheitsbeauftragter, er endet am 30. September, und so lange läuft Ruegner permanent mit aufgeladenem Handy und allen nötigen Unterlagen durch die Gegend. Er hat die Nummern aller Mitarbeiter, er hat sämtliche Papiere, die für seine Arbeit notwendig sind. „Rund um die Uhr verfügbar“ – das klingt nach Knochenjob, Augenringen und ständiger Überforderung.

Bei der WM 2014 waren gestohlene Handys das Hauptproblem

Wenn Claus Ruegner von 2014 erzählt – Anforderungsprofil auch damals: rund um die Uhr verfügbar –, dann klingt das nach Easy Living, nach entspanntem Feierabend, nach großer Gelassenheit. „Oft hat tagelang das Handy nicht geklingelt. Und in der ganzen Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft gab es gerade mal 25 Vorfälle, die ich bearbeiten musste. Das meiste davon waren gestohlene Handys.“ Dazu kamen: ein Raubüberfall, bei dem ein brasilianischer Mitarbeiter nachts vor seinem Haus abgepasst wurde, zwei Autounfälle ohne Verletzte und drei bis vier Krankheitsfälle, darunter eine Mittelohrentzündung, und diverse Telefonate, bei denen sich der Anrufer schlicht verwählt hatte.

Da ist er doch ganz anderes gewohnt. Als er mal mit seinem Team einen Dreh in Venezuela hatte, als sie in einer Favela drehen wollten, da stand plötzlich ein Typ mit einer Waffe vor ihnen. Alles war eigentlich abgeklärt, ein Gewährsmann hatte die Vorarbeit geleistet, Sicherheit schien garantiert zu sein, aber das war in diesem Moment blanke Theorie. Die raue Praxis waren ein Gewehrlauf und ein grimmiges Gesicht. Ruegner reagierte schnell: „Sofort weg hier.“

Und wenn ein ZDF- oder ARD-Team nicht gerade auf die Idee kommt, in einem der kriminellen Zentren von Rio zu drehen, wird das seine dramatischste Erinnerung bleiben.

Und im Übrigen bedeutet Sicherheitskoordinator nicht, dass er auch noch der Reise-Helmut mit den Super-Tipps ist. „24 Stunden, 7 Tage“ klingt gut, aber diese Offerte hat Grenzen. „Ich habe es nicht so gerne, wenn mich morgens um drei jemand am Telefon fragt, wo es in Rio die besten Caipirinhas gibt.“

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