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Oliver Pocher: Absichten eines Clowns

Vor kaum zwei Jahren scheint er erledigt. Als seine Show scheitert und mit ihr das Prinzip des ewig Kindlichen, dem man jeden noch so derben Scherz verzeiht. Oliver Pocher, Familienvater, Ehemann, besinnt sich. Er versucht es nun erwachsen – und seriös.

Horst Heldt, Sportdirektor von Schalke 04, wird in wenigen Stunden seinen Cheftrainer entlassen. Er wirkt erschöpft, überlebensgroß zugeschaltet ins Studio der Fußballshow Samstag Live! des Bezahlsenders Sky. Das Gesicht eine Krise, die Haare strähnig. Nicht die beste Voraussetzung, um auf Oliver Pocher zu treffen.

Das kann ja lustig werden.

Doch Pocher steht einfach nur da, an der Seite seiner Co-Moderatorin Jessica Kastrop. Und er sagt erst mal: nichts. Die Einstiegsfrage überlässt er ihr, zwölf Jahre Sportjournalistin, früher ntv und „Bild“. Sie hat sich seit Montag auf diese Sendung vorbereitet. Ihre Arbeit ist die Zähmung des Zufalls, Pocher soll für die Leichtigkeit sorgen, die ihr abgeht.

Was ist da eigentlich los bei Schalke 04? Kastrop spricht, Heldt spricht. Pocher hört zu, fragt dann, den Blick auf seine Moderationskarte: „Christoph Metzelder hat gerade, ich zitiere, von einer ,Scheißsituation’ gesprochen, für den Verein. Können Sie das bestätigen?“ Es geht dann um die Trainerfrage, um Eitelkeiten und Spieler, die nicht mehr mitziehen. Da muss Pocher, in der etwas vorgebeugten Haltung des demonstrativen Nachbohrers, natürlich nachbohren: „Was ist dran an den Gerüchten?“

Zwei Fragen in fünf Minuten. Kein Witz, keine Pointe. Im Grunde also: kein Pocher. Er, sonst blonde Aufdringlichkeit, sonst kaum zu überhören, überrascht diesmal damit, dass er verschwindet.

Als Heldt sich verabschiedet, ist Sascha Rinne ein Stockwerk über dem Studio sichtlich zufrieden. Rinne, langer Kerl, Typ Dressman, gelernter Hotelfachmann, seit sieben Jahren der Mann hinter Oliver Pocher, hat die Eröffnung der Show im Vip-Raum verfolgt. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Stapel Karteikarten, auf denen er in gehetzten Großbuchstaben jede Bewegung im Studio notiert. Was gut ist und was schlecht. Er beobachtet Pocher genau. Nun sagt Rinne: „Genau deshalb sind wir hier. Das war sein Auftrag, endlich mal Relevanz reinbringen. Jetzt könnte Olli die Sendung eigentlich abmoderieren.“ Kein Witz. Der Manager lehnt sich auf der Couch zurück, die Show läuft jetzt, wie er es sich vorgestellt hat.

Fast 14 Jahre macht Pocher jetzt Fernsehen, eine Truman Show, deren Hauptdarsteller jedoch genau weiß, dass er eine öffentliche Figur ist, weil er sich das selbst ausgesucht hat.

Er übte schon auf dem Schulhof

Oliver Pocher wusste früh, dass er vor die Kamera muss, egal wie. Im Vollpubertätsalter bewunderte er, aufgewachsen in Hannover, Otto Waalkes, spielte dessen Filme nach. Zu Hause war es eher nicht so witzig. Die Eltern sind Anhänger der Zeugen Jehovas. Für den Sohn bedeutete das: kein Geburtstag, kein Weihnachten. Als Jugendlicher musste Pocher an den Wochenenden mit dem „Wachtturm“ von Tür zu Tür ziehen. Die Orte für seine Witze fand er außerhalb des Elternhauses. „Er hat schon in der Schule für das Fernsehen geübt“, erinnert sich einer seiner Lehrer der Realschule Isernhagen. „Es gab dort eine Ecke auf dem Pausenhof, die er als Bühne nutzte, wo er Sprüche klopfte, über jeden, der vorbeikam.“ Im Grunde hat Pocher später im Fernsehen nichts anderes gemacht, die Republik in seinen Pausenhof verwandelt.

Pocher hat aus mehreren kleinen Talenten mehr gemacht als andere aus einem großen. Er war Comedian, Sänger, Parodist, Außenreporter für Stefan Raab und bei Wetten, dass..? Er wurde damit ein Star. Es ist eine Jajaja-Karriere. Doch: „Ein Fernsehmann“, sagt Hans Meiser, „muss auch mal Nein sagen können.“

Hans Meiser hat Pocher entdeckt. 1999 suchte er in seiner damaligen Talkshow einen neuen Moderator für den Musiksender Viva, bei dem sich Pocher mehrfach erfolglos beworben hatte. „Ich kann mich noch erinnern, dass da ein kleiner, blonder, hyperaktiver, schmalbrüstiger junger Mann auf der Bühne plötzlich irgendwelche Verrenkungen macht“, erzählt Meiser, „und ich dachte nur, was ist denn in den gefahren, ist der vom Teufel besessen?“ Mit einer „Back Street Boys“-Parodie gewinnt Pocher den Viva-Job. Beißt sich fest, quatscht sich nach oben. Er, schmerzfreier Dampfplauderer, moderiert alles weg, was ihm vorgesetzt wird.

Schließlich, vielleicht zwangsläufig, meldet sich 2007 die ARD, meldet sich Harald Schmidt. Pocher soll dem alten Mann der späten Nächte eine Frischzellenkur verpassen. Es wird eine gegenseitig vorangetriebene Dekonstruktion zweier TV-Alphatiere, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Schmidt, manierierte Selbstgefälligkeit im intellektuellen Frühherbst, zerlegt Pocher öffentlich in dessen Einzelteile aus Ordinärkomik und Spätpubertät. Die beiden schleppen sich durch unwürdige Szenen einer gescheiterten Ehe einem Ende entgegen, an dem Schmidt Pocher als „adipöses Ex-Talent“ bezeichnet.

Pocher wechselt zu Sat1. Wenn es mit Schmidt nicht geht, geht es vielleicht allein. Ein Irrglaube.

Am nächsten Morgen, einem Sonntag, sitzt Sascha Rinne im Frühstückssaal des Kempinski Hotels Airport München und wartet auf Pocher. Seit Jahren findet hier in der Lobby der Sport1 Doppelpass statt, der Fußballstammtisch: Jörg Wontorra, Thomas Helmer, Weißbier. Rinne hat die „Bild am Sonntag“ in den Händen, Pflichtlektüre. Er überfliegt die Seiten, bleibt im Fernsehprogramm hängen. Triumphgrinsend deutet er auf die Spalte, in der die Gäste der heutigen Sendung angekündigt sind. Oliver Pocher, steht dort. Und dahinter das Wort Sky. „Ganz am Anfang“, sagt Rinne, „da saß er einmal hier beim Doppelpass und hat den Podolski nachgemacht, heute sitzt er hier, und in der Bauchbinde oder der Fernsehzeitschrift steht: Oliver Pocher, Sky. Oder Oliver Pocher, Moderator. Da steht nicht Comedian oder Quasselstrippe.“

Es ist dieses Wort hinter dem Komma, das wichtig ist. Sich einen Namen machen, das bedeutet auch, in der Öffentlichkeit über den Teil dahinter zu verfügen, ihn selbst zu gestalten. Denn was dort steht, kann den Namen davor entweder aufwerten oder mit einem faden Beigeschmack versehen. Pocher muss da nicht weit schauen. Seine Frau Alessandra, früher Sandy Meyer-Wölden, hat dort das Wort Schmuckdesignerin stehen. Ein Stigma. Wie It-Girl oder Bohlen-Ex. Im Zirkus Fernsehen trägt man Titel wie diese als Krone oder Narrenkappe.

Den Narren will Pocher endlich hinter sich lassen. Es ist keine zwei Jahre her, da schien er erledigt. Im März 2011 wurde die Oliver-Pocher-Show auf Sat1 wegen unzureichender Quoten eingestellt.

Der Versuch, eine eigene Late Night an seinen Namen zu binden, war der monatelang andauernde, peinlich zähe Abstieg eines Fernsehtalents, das noch vor gar nicht allzu langer Zeit als legitimer Samstagabenderbe galt. Der neue Gottschalk, hieß es da. Mindestens.

Denn Pocher ist ein hervorragender Gast. Wenn er kommt, kracht er in die Sendung, dröhnend, knallchargierend, unberechenbar. Ein Gastgeber aber ist er nicht. Schon in seiner ersten Sendung verhebt er sich im Talk mit seinem Stargast, der Sängerin Shakira. Sie sagt, sie rede öffentlich nicht gerne über Sex und Religion. Er sagt: „Dann machen wir Sex im Dom.“ Humor ist, wenn er trotzdem lacht.

Mit der Show ist auch das Prinzip Pocher gescheitert. Der ewig kindliche Clown, dem man jeden noch so derben Scherz verzeiht, weil er selbst mit Mitte 30 noch immer aussieht, als könnte er das nächste Gesicht auf der Brandt-Zwieback-Verpackung werden. Die Frage nach einer Zukunft für Pocher ist deshalb auch die Frage danach, wie einer, der im Fernsehen aufgewachsen ist, jetzt im Fernsehen erwachsen werden kann.

Rinne legt die Zeitung beiseite und beginnt, die Idee vom neuen Pocher zu erklären: „Nach dem Ende der Late Night auf Sat1 haben wir uns selbst hinterfragt. Es war nicht unbedingt das Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein, aber wir haben das analysiert in vielen langen Gesprächen. Und haben gesagt: Das Richtige wäre jetzt, einfach breiter zu werden.“ Die Marke optimieren, neu ausrichten.

Rinne verfällt gerne in astreines Marketingsprech. Pocher, das ist auch sein Produkt. Und es musste wieder konkurrenzfähig werden. Wo also gehört er hin, mittlerweile 34, Familienvater, Ehemann? Oder, wie Rinne es formuliert: „Wir haben uns gefragt: Okay, Olli, was sind deine Stärken?“

Die Antwort darauf ist eine naheliegende: Fußball. Pochers große Leidenschaft, die er auch in den Jahren zuvor immer mal wieder im Fernsehen ausleben durfte. Mal als Nationaltrainer Sansibars, mal als Vortänzer einer Hobbyfußballtruppe, die den großen FC Bayern herausforderte. Pocher hat jedes große Turnier seit 2004 begleitet, sein Song „Schwarz auf Weiß“ wird noch immer bei jedem Tor der Nationalelf gespielt. Als Anhänger von Hannover 96 fährt er selbst zu Auswärtsspielen nach Hoffenheim. Im August 2011 fängt er bei Sky an. Narr Pocher und König Fußball. Ein erster Schritt.

Auf RTL darf Pocher in unregelmäßigen Abständen unter der Aufsicht Günther Jauchs dessen Sendung „5 gegen Jauch“ präsentieren. Die beiden haben sich während seiner Zeit bei Schmidt kennengelernt. Jauch ist Pocher-Fan und Pocher-Mentor. Aber warum eigentlich? Jauch: „Er ist in der Lage, das Publikum zu unterhalten. Egal, ob in der Werbepause oder in der Sendung. Er ist angstfrei und kann sehr gut mit Livesituationen und Druck umgehen. Typen wie er sind in der Medienlandschaft rar.“ Eine Produktbeschreibung, die sich Sascha Rinne selbst nicht besser hätte ausdenken können. Das Jauch-Gütesiegel.

Nun füllt Pocher an diesem Freitag Jauchs angestammtem Wer-wird-Millionär?-Sendeplatz mit seiner eigenen Show. „Alle auf den Kleinen“. Eine, so sieht es aus, einmalige Sache. Die sogenannte Eventshow war eigentlich schon für 2011 angekündigt worden. Derzeit ist auch keine weitere Ausgabe geplant. So bleiben die RTL-Events vorerst Ausflüge, während der Fußball zum Alltag geworden ist.

Am Abend vor seinem Auftritt beim Doppelpass, noch eine halbe Stunde bis zum Beginn der Samstag-Live!-Übertragung, schaut Pocher bei den Kollegen von Sport1 vorbei, ein kleiner Raum, wenige Türen neben dem Studio. Drei Tische, ein halbes Dutzend Bildschirme, auf denen die Stimmen zum Spiel übertragen werden, schweißnasse Interviews. Hier entscheiden sich die Themen für die Sendung am nächsten Morgen.

Erst war es eine Schnapsidee

An einem Schreibtisch neben der Eingangstür sitzt Jörg Wontorra, 64 Jahre Leben, 40 Jahre Fernsehen, alter Hase, ein Gesicht wie eine Tropfsteinhöhle, als wäre es über die Jahre ständig im Scheinwerferlicht geschmolzen und wieder erkaltet. Wontorra, das verrät seine Körpersprache, steht unter Druck.

Als er Pocher sieht, öffnet sich seine Miene für eine dieser, mit fauchendem Gelächter unterlegten, Verbrüderungssekunden, die es so nur in Kneipen und unter Fernsehmenschen gibt. Pocher möchte wissen, was wichtig wird am nächsten Tag. Seine Vorbereitung. Sachlich, schnell, ohne große Schnörkel, fast charmant. Es ist nicht seine Show hier.

Pocher: „Gibt es irgendwie eine strittige Szene?“

Wontorra: „Das Foul von Josué, den Ibisevic überlassen wir euch heute Abend.“

Pocher: „Machen wir dann Stevens, wenn Schalke heute wieder nicht gewinnt?“

Wontorra: „Und am Ende die Bayern.“

Pocher: „Die sich jetzt in eine Krise reinspielen.“

Wontorra: „Noch ist nichts entschieden.“

Pocher: „Wir können uns ja ein bisschen die Spannung schönreden.“

Wontorra: „So machen wir das.“

Bis morgen. Wontorra schließt die Tür. Er hat Pocher in den Doppelpass geholt, eine Schnapsidee zu jener Zeit. „Damals kam er noch als Gaukler zu uns“, sagt Wontorra jetzt. „Mittlerweile sehe ich ihn als Sportmoderator mit Unterhaltungswert. Neudeutsch nennt man das, glaube ich, Sportstainment.“ Ja, ja, sein Kopf wippt, das trifft es ganz gut. Er lässt ein Lachen folgen, das von Raucherhusten kaum zu unterscheiden ist, danach Blick zurück: „Es gab am Anfang von den Hardcore-Gästen den ein oder anderen Vorbehalt. Das hat sich aber immer dann gelegt, wenn sie ihn mal zwei Stunden in der Sendung erlebt haben.“ Er nimmt sich ein paar Sekunden Bedenkzeit, als müsste er den nächsten Gedanken ganz in Ruhe formen, sagt dann: „Er hat gelernt, dass Fußball die ernsteste Sache der Welt ist.“ Da lacht Wontorra nicht.

Rinne hat sich seinen Stuhl vor einen der Monitore hinter den Publikumsreihen gezogen. Sonntag, kurz nach 11 Uhr. Die Übertragung läuft. Hier kann er besser sehen, was keine zehn Meter Luftlinie von ihm entfernt passiert. Er sieht sein Produkt, das nur spricht, wenn es von Wontorra direkt angesprochen wird. Was sagst du dazu, Olli? Dann sagt der Olli was dazu.

Wontorra macht jetzt die Bayern, über den Bildschirm läuft das Handspiel Jérôme Boatengs, dazu die Frage: Elfmeter oder nicht? Er beugt sich zu Pocher: „Unser Analyst ist in diesem Fall, wie sonst auch: Oliver Pocher. Er hat bisher immer alles richtig gemacht.“

Zehn Meter entfernt richtet sich Rinne im Stuhl auf: „Siehste“, sagt er, „siehste! So weit haben wir es schon geschafft.“

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