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Medien: Oma, wie war dein Orgasmus?

Ohne Altersbeschränkung: Der Film „Mathilde liebt“ erzählt vom Liebesleben der 65-Jährigen

„Das ist der tollste One-Night-Stand, von dem ich je gehört habe“, ist die Reaktion von Tochter Bea. Enkelin Mascha trat in der Oper auf, Oma Mathilde hatte eine Karte übrig, verschenkte sie kurz vor Vorstellungsbeginn, und schon sitzt Carlo samt Hund neben ihr im Parkett. Es folgt: gemeinsame Heimfahrt, er repariert den tropfenden Wasserhahn, sie serviert weißen Tee („beruhigend am Abend“), dann heißer Sex und Mathildes erster Orgasmus. Nein, es ist kein One-Night-Stand. Es ist: Mathildes große Liebe.

Kühne Exposition. Und leider konventionelle Ausführung. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Nachbarn tuscheln, die Kinder sind entsetzt, die 15-jährige Enkelin predigt: „Betrügen ist das Allerletzte.“ Denn immerhin gibt es da ja noch Hannes (Elmar Wepper), den rüstigen Hausfreund, der im Garten hingebungsvoll die Hecke schneidet und Mathilde zum Geburtstag rote Handfesseln schenkt. Und Ehemann Kurt, 15 Jahre lang an den Rollstuhl gefesselt und dann an Herzinfarkt verschieden, ist erst kurz unter der Erde. Seine Witwe trauert nicht sehr.

Eine „unwürdige Greisin“ hätte Bertolt Brecht sie wahrscheinlich genannt. Doch Greisin ist etwas hoch gegriffen. Gerade mal 65 wird diese Mathilde sein, die Christiane Hörbiger hingebungsvoll spielt, sehr attraktiv, auch beim Sex sieht man nur Gesichter, Hände, glatte Haut, nichts, was man nicht sehen darf, Falten oder welke Haut. Alles fernsehgerecht, eher jugend- als altersfrei. Das Ganze als „Liebe im Alter“ zu verkaufen, ist in einer rapide alternden Gesellschaft ohnehin ziemlich vermessen. Und andererseits – immer mehr Fernsehzuschauer werden älter – quotenmäßig naheliegend. Längst hat das Kino, jetzt auch das Fernsehen erkannt, dass im älteren Publikum die Zukunft liegt. Zahlenmäßig zumindest.

Doch mit der Zeit ändert sich auch das Generationenbild. Diese Senioren fahren Tandem im Gebirge, tanzen auf der Schülerdisko der Enkel und jetten für ein Rendezvous nach Wien. Unpassend finden es nur die spießigen Kinder, wenn die Mutter sie nach dem Orgasmus befragt, und die Enkel kommen und fragen um Rat, wie das so ist mit der ersten Liebe, und Oma möge doch bitte mal den Freund begutachten, sie habe doch einen guten Geschmack bei Männern. Nicht das ganze Leben, aber einen guten Teil davon haben sie noch vor sich, Mathilde und Carlo und Hannes und ihr Freundeskreis, und heiraten deshalb erneut, flirten, und wenn es in der Brust schmerzt, denken sie, es ist ein Herzinfarkt, und dabei ist es doch Liebeskummer.

„Mathilde liebt“, ein Fernsehfilm des 1957 geborenen österreichischen Regisseurs Wolfram Paulus, nach einem Drehbuch von Matthias Glasner und Judith Angerbauer, verhandelt Fragen, die ebenso ein jüngeres Publikum beschäftigen. Es geht um Verantwortung oder Freiheit, Schuld oder Egoismus, Betrug und wahre Liebe. Darf man das Leben einfach so genießen, ohne Hintergedanken, ohne Rücksichten auch? Darf man es vielleicht umso mehr, wenn man sein Leben lang für Familie, Freunde und den kranken Mann gesorgt hat? Belohnung am Lebensabend, ein freies Leben, wie es die eigenen Kinder und Enkel längst selbstverständlich führen? Oder doch lieber Rücksicht, Erziehung, gesellschaftliche Norm. „Du hast dein ganzes Leben lang für andere geliebt“, argumentiert Carlo (verführerisch melancholisch, geheimnisvoll und immer schön braun gebrannt: Michael Mendl), der selbst seine schwerkranke Frau nicht verlassen will und doch von Mathilde nicht lassen kann. „Jetzt stehst du selbst einmal im Zentrum. Genieße es doch“. „Ich bin so nicht“, wehrt sich Mathilde. Und wählt die Resignation. Verzicht.

Das wäre also der Film zur Rentendebatte, etwas, das man als selbstverständlich erzählen könnte, ein wirklich altersloses Thema. Und folgt dann doch einer verflixten Fernsehdramaturgie. Natürlich steigen Mathilde und Carlo, die sich in der Oper kennen lernten, in Wien im „Hotel Opera“ ab, natürlich muss es „La Traviata“ sein, er hat die CD schon gekauft, bevor sie auch nur ein Wort miteinander gewechselt haben, die beiden flirten wie Teenager, er schmeißt nachts Steinchen ans Fenster, sie gibt ihn als Zeitungsboten aus, und natürlich passiert genau an dem Tag, an dem sie sich füreinander entschieden haben, ein dramatischer Umschwung, und alles sieht wieder anders aus. Man hätte gern gewusst, wie sich Mathilde und Carlo entschieden hätten, wenn es keine todkranke Frau gegeben hätte und keinen eisernen Drehbuchwillen, der sie im Moment des Glücks auseinander treibt. Aber es darf doch nicht sein, was (noch) nicht sein kann.

„Mathilde liebt“, ARD, 20 Uhr 15

Christina Tilmann

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