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Ich bin noch da. Markus Lanz spielte bei „Wetten, dass..?“ mehrfach auf die Online-Petition gegen seine Talkshow an.

© dpa

Online-Petitionen: Ob Markus Lanz oder der Bildungsplan - mit Klicken ist es nicht getan

Online-Petitionen haben in letzter Zeit für Aufsehen gesorgt - ob es um Markus Lanz ging oder den Bildungsplan in Baden-Württemberg. Doch schnell entsteht eine unkontrollierbare Hetzjagd. Deshalb können Petitionen nur der Einstieg, aber nicht das Ende von politischem Engagement sein, meint Gastautor Günter Metzges.

Die Online-Petitionen gegen Markus Lanz und Justin Bieber sowie für und gegen sexuelle Vielfalt als Thema im Schulunterricht haben eine Debatte über den Sinn und Unsinn von Unterschriftensammlungen im Internet ausgelöst. Die meisten Beiträge gehen dabei von einer fragwürdigen These aus. Sie lautet: Online-Petitionen sind für sich politisch unwirksam und werden von Politikern überhört. Dieses Urteil ist politischen Eliten recht - und es ist ungefähr so absurd wie der Vorwurf, ein Schraubenzieher eigne sich nicht dazu, einen Nagel in die Wand zu schlagen.

Online-Petitionen zeigen, dass Bürgerinnen und Bürger längst nicht so politikverdrossen sind wie häufig angenommen. Mit Unterschriften etwa gegen das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen, für die Energiewende oder gegen die Zulassung von Genmais durch die Europäische Union beziehen sie politisch Stellung. Bürgerinnen und Bürger werden vom reinen Konsumenten politischer Nachrichten zu politischen Beteiligten, zum Citoyen. Sie vernetzen sich mit anderen politisch engagierten Menschen und bei vielen geht das Engagement weit über den ersten Klick hinaus - er ist der Einstieg, nicht das Ende des politischen Engagements.

Seriösen Online-Petitionen geht es um politische Beteiligung und Veränderungen und nicht darum, ob man Prominente mag oder nicht. Die Lanz-Petition war ein Grenzfall. Sie enthält zwei Teile: Der eine Teil fordert höhere journalistische Standards im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Eine Debatte dazu ist legitim und geeignet für eine Online-Petition. Der andere Teil richtet sich diskreditierend direkt gegen die Person: Lanz könne es einfach nicht, er müsse entlassen werden.

Dieser Meinung mag man sein. Sie gehört aber nicht in eine Online-Petition. Denn im Internet entwickelt sich daraus schnell eine nicht mehr kontrollierbare Hetzjagd. Hier müssen Petitionsplattformen Grenzen setzen und Verantwortung übernehmen. Petitionsplattformen sollen Beteiligung ermöglichen, nicht Pranger sein. Open-Petition hat daraus Konsequenzen gezogen und wird künftig keine Petitionen mehr zulassen möchte, die sich gegen Personen richten.

Einigen Online-Appellen ist es gelungen, breite öffentliche Debatten zu entfachen. Die Online-Petitionen zu Acta, zur Wasserprivatisierung in der EU oder zum Freihandelsabkommen mit den USA sind solche Fälle. Sie haben wichtige gesellschaftliche Debatten über Themen angestoßen, für die sich zuvor nur ein kleiner Kreis von Politikern, Fachleuten und Lobbyisten interessiert hatte.

Doch es gibt auch die vielen anderen Petitionen und Petitiönchen. Sie fallen kaum auf. Und sie finden als reine Klick-Aktionen keine mediale oder politische Resonanz - das Engagement der Unterzeichnenden droht in einem schwarzen Loch zu verschwinden. Der Mausklick ist hier das Ende des politischen Engagements. Solche Petitionen sind belanglos bis schädlich.

Günter Metzges ist Politikwissenschaftler, Mitbegründer und geschäftsführender Vorstand des Kampagnennetzwerkes Campact e.V.
Günter Metzges ist Politikwissenschaftler, Mitbegründer und geschäftsführender Vorstand des Kampagnennetzwerkes Campact e.V.

© promo

Doch selbst bei kleinen Teilnehmerzahlen werden Petitionen interessant, die weiter gehen. Solche, bei denen die Teilnehmer eingeladen werden, die gesammelten Unterschriften gemeinsam auch außerhalb des Internets für Politiker sichtbar zu machen. Das dies funktioniert, zeigt auch der Erfolg von Campact. Wir vernetzen online bereits über eine Million Menschen, von denen viele mehr tun, als nur einen Online-Appell zu unterzeichnen: Sie nehmen an kreativen Aktionen teil, laden Freunde zu Filmabenden ein, rufen in Abgeordnetenbüros an oder gehen bei Großdemonstrationen auf die Straße. Petitionsplattformen und Kampagnenorganisationen sollten vor allem nach zwei Kriterien beurteilt werden: Erstens, ob die Anliegen gut recherchiert sind und nicht einfach nur irgendwelche wilden Behauptungen verbreitet werden. Und zweitens, ob sie die Teilnehmer dazu ermuntern, sich auch nach der Unterschrift weiter an der politischen Debatte zu beteiligen.

Wie jedes Werkzeug können auch Online-Appelle missbraucht werden. Man kann damit auch den digitalen Mob organisieren, der gegen Minderheiten hetzt. Hier braucht es Wachsamkeit und die Bereitschaft, solchen Tendenzen frühzeitig entgegen zu treten. Campact hat mit einer Vielfalt-Kampagne auf die Petition gegen den baden-württembergischen Bildungsplan geantwortet. Es konnte gezeigt werden, dass die Position der Bildungsplangegner nur eine Minderheitenmeinung repräsentiert. So ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstutes TNS Emnid im Auftrag von Campact, das 60 Prozent der Baden-Württemberger dem Plan ihrer Landesregierung zustimmen, die Akzeptanz unterschiedlicher Lebens- und Liebesformen in den Schulen zu fördern. Nur 35 Prozent waren dagegen.

Doch trotz der Gefahr des Missbrauchs ist die wachsende Beteiligung an Online-Petitionen eine Gegenbewegung zur allseits beklagten Politikverdrossenheit. Es ist ein Unterschied, ob Bürger den politischen Debatten nur zuhören oder ob Sie selbst Position beziehen und so zum Beteiligten werden. Online-Appelle können unsere Demokratie stärken, wenn sie den Einstiegspunkt und nicht das Ende des Engagements bilden. Mit Klicken allein ist es nicht getan.

Dr. Günter Metzges ist Politikwissenschaftler, Mitbegründer und geschäftsführender Vorstand des Kampagnennetzwerkes Campact e.V., www.campact.de

Günter Metzges

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