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Onlinespiele: Das Internet als Droge

"Internetsucht" müsse als Krankheit anerkannt werden, fordert die Drogenbeauftragte Bätzing. Der Begriff führt in die Irre, aber das Phänomen ist nicht zu unterschätzen.

Eigentlich führt der Begriff Internetsucht in die Irre. Auch wenn die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, dazu gerade eine Tagung veranstaltet hat und dort sagte: "Es existiert ein spezielles Suchtrisiko des Internets." Doch es ist nicht das Internet, das süchtig macht, es sind die Spiele dort oder die Chats oder die leichte Ablenkung, die es bietet.

"Wir sollten nicht das Medium beschimpfen", sagt Thomas Hambüchen von der Drogenhilfe Köln, die die Kampagne websucht.info betreibt. "Es gibt in diesem Medium Angebote, die süchtig machen." Leider sei die Materie so komplex, dass sie sich nicht einfach in ein Schlagwort packen lasse. Bei Alkoholsucht sei das einfach, beim Internet nicht. Er verstehe aber, "dass Frau Bätzing ein Schlagwort braucht".

Allein diese Schlagwortsuche zeigt, wie schwierig das Thema ist. Unbestreitbar gibt es Menschen, die im Umgang mit Onlinespielen, mit Chats oder Pornografie süchtiges Verhalten zeigen. Und wie mehrere der Studien beobachten, die bei der Tagung vorgestellt wurden, sind es nicht wenige Abhängige.

In Korea, einem Land mit starker Vernetzung und Digitalisierung, habe das Phänomen bereits "kritische Ausmaße" erreicht, sagte Young Sam Koh, der Leiter des von der Regierung eingerichteten Internet Association Counseling Centers, das landesweit Beratungen und Therapien koordiniert. In seinem Land seien 8,8 Prozent aller Internetnutzer abhängig, sagte Koh. Außerdem seien die Zahlen bei Jugendlichen zwar rückläufig, würden dafür aber bei Grundschulkindern stark steigen.

Der Kriminalismusforscher Christian Pfeiffer sieht auch in Deutschland ein ernstes Problem. Sein Kriminologisches Forschungsinstitut hat 2007 und 2008 Jugendliche hierzulande befragt. Demnach haben 4,3 Prozent der Mädchen und 15,8 Prozent der Jungen bis 18 Jahre ein "exzessives Spielverhalten". 0,3 Prozent beziehungsweise 3,0 Prozent müssten als abhängig gelten.

Die eigentliche Gefahr aber ist nicht das Internet. Was sich dort beobachten lasse, sei eine "Krise der Jungen", sagte Pfeiffer. Das meint nicht die Jugendlichen, das meint, dass Mädchen von den Auswirkungen nicht so stark betroffen sind. "Unter den 15-Jährigen sind 13.000 Jungen unmittelbar abhängig und 22.000 als gefährdet einzustufen". Eine ganze Generation habe ein massives Problem.

"Warum nur Jungs?", fragte der amerikanische Psychiater und Gründer des Center for Internet and Technology, David Greenfield. "Finden sie etwas im Spiel, was sie im Leben nicht finden, was sie aber wirklich brauchen?" Er glaubt, dass es die zu bewältigenden Herausforderungen seien, das dort leicht zu erwerbende Selbstvertrauen, die endlose Stimulation, die Vernetzung mit vielen anderen, auch die Anonymität. Vielleicht fehlten in unserer Gesellschaft heute auch die "Initiationsriten" auf dem Weg zum Erwachsenen.

Drogenberater Hambüchen nennt das Problem "das Mohnfeld im eigenen Kopf". Für ihn sind Spielhersteller wie Blizzard, die World of Warcraft erfanden, schlicht "Dealer", die Jugendliche "anfixen" und zu Süchtigen machen würden.

Gerald Hüther, Neurobiologe von der Uni Göttingen, sagte, wir müssten dafür sorgen, dass unsere Kinder Erfahrungen außerhalb der virtuellen Welten machen könnten. Denn leider hätten wir mit dem Internet zum ersten Mal ein Werkzeug erfunden, mit Hilfe dessen sich unsere Gefühle beeinflussen und unsere Grundbedürfnisse nach Anerkennung und nach Zugehörigkeit befriedigen ließen. "Das Gehirn ist ein selbst regulierendes Organ, es wird so, wie wir es benutzen", sagte Hüther. Vor allem die Dinge veränderten es, "die wir mit Begeisterung benutzen". Daher sei es so schwer, vom Netz zu lassen, und Abstinenz oder Verbote hülfen auch nicht. Kinder würden zu Opfern von Angeboten, die sie nicht geschaffen hätten und die sie nicht ändern könnten. "Das müssen die Erwachsenen tun."

Bätzing forderte deshalb, die Alterseinstufung von Computerspielen müsse geändert werden. Es könne nicht sein, dass das süchtig machende Spiel Nummer eins, World of Warcraft, ab zwölf zugelassen sei. Pfeiffer sagte, "keine Bildschirmgeräte in Kinderzimmern wäre sicher ein Weg".

Alle aber waren sich darin einig, dass Internetsucht, so unbefriedigend der Begriff sein mag, als Krankheit anerkannt werden müsse. Denn nur so sei es beispielsweise Ärzten möglich, überhaupt die entsprechende Diagnose zu stellen und für Hilfe zu sorgen. Dass das Thema inzwischen einige öffentliche Aufmerksamkeit besitzt, sei aber schon ein erster Schritt, um damit umzugehen. Denn, so der Leiter der koreanischen Beratungszentren Koh, je stärker die Aufmerksamkeit, desto geringer sei die Opferzahl. In Korea sei diese von 2006 bis 2008 immerhin um 0,4 Prozentpunkte gesunken.

ZEIT ONLINE

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