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Medien: Operation Grünes Gewölbe

Der „Stern“ glaubte, seinetwegen müsse die Geschichte neu geschrieben werden. Doch er erntete Hohn und Spott. Die Sensation entpuppte sich als größter Presseskandal der Nachkriegsgeschichte. Die Redakteure standen vor einem Scherbenhaufen

VOR 20 JAHREN VERÖFFENTLICHTE DER „STERN“ DIE GEFÄLSCHTEN HITLER-TAGEBÜCHER

Im vergangenen Jahr feierte die deutsche Presse den vierzigsten Jahrestag der so genannten „Spiegel“-Affäre. Der Journalismus bewies damals zum ersten Mal in der Nachkriegszeit, wozu er in einer Demokratie fähig ist. Er entzaubert die Macht, in dem er sie kontrolliert und Machenschaften enthüllt.

In diesem Jahr feiert die deutsche Presse wieder einen Jahrestag. Vor zwanzig Jahren, am 25. April 1983, teilte der „Stern“ mit, die unbekannten Tagebücher von Adolf Hitler entdeckt zu haben. Am 6. Juni 1983 stellte sich heraus: Die Bücher sind gefälscht. Der Journalismus bewies damit, wozu er auch fähig ist, nämlich zu Gier. Die Gier, als erster eine Geschichte zu enthüllen. Eine Gier, die blind machen kann für die Wahrheit.

Der „Stern“ erntete damals Hohn und Spott. Es war der größte Presseskandal der Nachkriegszeit. Man sagt, der „Stern“ habe sich nie wieder davon erholt.

Wie konnte es dazu kommen, dass ein großes Magazin wie der „Stern“ monatelang recherchiert, glaubt, den größten Scoop seiner Geschichte zu landen und stattdessen die größte Blamage seiner Geschichte erlebt?

Alles begann im Jahr 1980. Der „Stern“-Reporter Gerd Heidemann wurde von seinem Ressortleiter beauftragt, der von Heidemann selbst ausfindig gemachten Geschichte über „Hitlers Tagebücher“ nachzugehen. Die Recherche lief unter dem Decknamen „Operation Grünes Gewölbe“. Weder der Gründer und damalige Herausgeber des „Stern“, Henri Nannen, noch die damalige Chefredaktion wurden eingeweiht. Der zuständige Ressortleiter hatte kein Vertrauen in sie. So kam es, dass die Chefredaktion erst etwas von der Recherche nach den Hitler-Tagebüchern erfuhr, als Heidemann im Mai 1981 mit einer anderen Recherche beauftragt werden sollte. Erst da kam heraus, womit Heidemann seit bereits einem Jahr beschäftigt war.

Nun war es nicht so, dass der „Stern“ unüberlegt diese Tagebücher veröffentlichte. Eine ganze Reihe von Gutachten wurden eingeholt. Kam ein Zweifel auf, gab es kurz darauf gleich mehrere neue Gründe, die für die Echtheit der Tagebücher sprachen und die in dieser Sache eingebundenen Redakteure überzeugten.

Thomas Walde, der damalige „Stern“-Ressortchef „Zeitgeschichte“; der Heidemann mit der Recherche beauftragt hatte, sagte vor kurzem im „SZ-Magazin“:

„Solange wir Journalisten Fakten verifizieren, so lange werden wir Lügen aufsitzen. Helfen kann nur das Falsifizieren. Also die Suche nach Hinweisen, Belegen dafür, dass eine angenommene These nicht stimmt. Aber alle Journalisten arbeiten nach dem anderen Muster. Und so verfielen auch wir dem Irrtum, die Tagebücher für den gegenständlichen Beweis dafür zu halten, dass wir zuvor richtig recherchiert hatten.“

Diese Erklärung von Thomas Walde mag ein bisschen auch der Versuch sein, sich rein zu waschen von der Schuld, die er damals auf sich geladen hat – und nicht nur auf sich, sondern auf den „Stern“ und alle, die dort arbeiteten. „Stern“-Journalisten hatten Arbeitsbedingungen, von denen andere nur träumen konnten. Henri Nannen bot seinen Redakteuren allen Luxus, und die Redakteure hielten Nannen im Gegenzug für ihren Gott. Wer beim „Stern“ arbeitete, war etwas Besonderes, manche hielten sich gar für unfehlbar, als personifizierte vierte Gewalt. Und plötzlich standen alle vor diesem Scherbenhaufen, der einmal der „Stern“ war. 9,3 Millionen Mark hatte der Verlag Gruner + Jahr für die gefälschten Hitler-Tagebücher gezahlt. Heidemann, ständig in Geldnöten, weil er auf all zu großem Fuß lebte, steckte als Provision 1,5 Millionen Mark ein, der Rest ging an den Fälscher Konrad Kujau. Allerdings behauptete der inzwischen verstorbene Kujau stets, nur 2,4 Millionen Mark erhalten zu haben. Wer hat die restlichen 5,4 Millionen Mark? Gab es neben Kujau noch einen zweiten Fälscher? Bis heute sind nicht alle Details geklärt.

Hingegen steht fest, dass der fanatische Glaube an die Story, gepaart mit dem Erfolgsdruck der Chefredaktion zu der peinlichen Veröffentlichung führte. Nachdem die „Stern“-Chefredaktion eingeweiht war, dachte sie, das Mittel gefunden zu haben, die kontinuierlich sinkende Auflage zu steigern. Als alles bekannt wurde, war der Ruf des „Stern“ und seiner Redakteure dahin, es wurde viel geweint, einige mussten gehen, andere wollten bei diesem Blatt nicht mehr arbeiten, eine Diskussion um journalistische Ethik entbrannte. Beim „Stern“ herrschte fortan die Angst vor einer nächsten Blamage, ein Chefredakteur nach dem anderen gaben sich die Klinke in die Hand. Für die heutige Generation der „Stern“-Macher sind die Hitler-Tagebücher Geschichte.

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