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Heiße Zeiten. Als Radiopiraten führten musikbegeisterte junge Männer einst ein abenteuerliches Leben auf See. Hier nachgestellt im Film „Radio Rock Revolution“.

© picture-alliance/ dpa

Outlaws des Äthers: Piraten 1.0

High sein, frei sein, Radio muss dabei sein. Als Freibeuter die Medien kaperten - und untergingen. Manche Band wäre ohne sie nicht oder erst viel später bekannt geworden.

Von Maris Hubschmid

Sie sind jung, rebellisch und freiheitsliebend. Sie kämpfen gegen staatliche Einmischung, fordern ungehinderte Kommunikation ohne Gängelung jedweder Art. Ihre Stimme wird gehört: Die Jugend jubelt ihnen zu, verbreitet ihre Botschaften, macht sie stark. So stark, dass die Älteren gezwungen sind, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Die Rede ist nicht von den Piraten, die in diesem Herbst in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen sind: Wir schreiben das Jahr 1964. Auf einem ehemaligen Feuerschiff vor der britischen Küste hausen Männer im Alter zwischen 18 und 30 unter wenig komfortablen Umständen. Die Räume sind eng, die Luft ist stickig und das Schiff schaukelt heftig. Die Männer haben keine Erfahrung als Matrosen – ihre Berufung ist eine andere. Vom Ozean aus füttern sie eine neue Generation unterhaltungshungriger Europäer. Sie machen Radio, ein freches, Musik dominiertes Programm bis weit nach Mitternacht. Das senden sie auf Frequenzen, die ihnen nicht gehören.

Anders als bei den heutigen Medienpiraten ist ihr Ansinnen kein politisches, eigentlich. Ein eigennütziges bloß: Das Radiomonopol hat zu jener Zeit die BBC. Die sieht Nachrichtensendungen und klassische Musik für ihre Hörer vor. Die Jungs aber wollen ein Radio nach ihrem Geschmack, eines ohne Bildungsauftrag. Also machen sie sich eines – und ihre Altersgenossen sind begeistert. An die 40 Millionen Hörer sollen die Piraten zu Hochzeiten gehabt haben.

Urheberrecht? Sie zahlen keine Abgaben

Zunächst ist da nur „Radio Caroline“, das nach der Tochter des ermordeten amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy benannt ist. Schon bald gesellen sich ähnliche Sender mit Namen wie „Radio Veronica“, „Radio Nordsee International“ und „Wonderful Radio London (BigL)“ dazu. Sie alle funken ohne Lizenz von alten Kähnen auf der Nordsee, die außerhalb des britischen Hoheitsgebietes ankern. Dort, wo ihnen niemand etwas anhaben kann, weil sie das Monopol verletzen und keine Steuern zahlen. Ebenso wenig wie Gema-Abgaben oder etwas Vergleichbares, das den Künstlern zugute käme, deren Lieder sie verbreiten. In dieser Hinsicht halten die Piraten 1.0 von Urheberrechten ebenso wenig wie die selbst ernannten Freibeuter im Hier und Jetzt.

Dennis Manz, der bei „Radio Caroline“ eine Zeit lang als Geschäftsführer („das heißt, Mädchen für alles“) fungierte, beschreibt die Vorgänge an Bord rückblickend so: „Es war pures Hippietum. Man rauchte, was der Boden hergab, und ab und zu nahm man eine kleine Pille.“ Es habe lediglich einer nüchtern genug bleiben müssen, die Technik zu bedienen. „Der Sender war ein komplexes Gerät mit den Ausmaßen einer Schrankwand.“ Alle zwei bis vier Wochen wird die Besatzung ausgetauscht.

Berlin liebt die Piraten. Doch der Empfang ist schwierig

Auch in Deutschland stoßen die Piraten auf offene Ohren. Dann, wenn die offiziellen Programme sich längst mit den besten Wünschen für eine geruhsame Nacht verabschiedet haben, tanzen Deutschlands Heranwachsende zu experimentellen, psychedelischen Klängen, lernen Ausdrücke wie „Yeah“ und „Cool“ und „Fuck“. Im Norden ist der Empfang tadellos, in Berlin schwieriger. „Meine Schwester und ich hörten Radio London zum ersten Mal, als wir die Ferien bei einem Vetter in Holland verbrachten“, erzählt Hans-Peter Buck, heute 67, der zu jener Zeit mit seiner Familie in Tiergarten wohnte. Fanklubs der Piratensender gibt es bis heute, die Anhänger tauschen alte Radio-Mitschnitte und halten einander über den Verbleib ihrer Helden auf dem Laufenden. „Zurück in Berlin sind wir damals gleich ins nächste Elektrogeschäft rein, um ein Transistorradio zu erstehen“, sagt Buck. Drei Tage darauf kaufen sie wiederum ein neues, immer in der Hoffnung auf besseren Empfang. Doch um den bleibt zu bangen: „Je nachdem, wie der Wind stand, hörten wir Kenny Everett und Tony Blackburn oder wir hörten sie nicht“, sagt Buck.

Everett und Blackburn, Johnnie Walker, Dave Lee Travis oder John Peel: Die DJs und Moderatoren der Piratensender erlangen die Popularität von Popstars. Das Tempo, in dem sie sprechen, ihre Art, einen Titel in die schon gestartete Musik hinein anzumoderieren, all das ist sensationell. Das ist Kunst – und begründet eine neue Radio-Kultur. Charakteristisch dafür auch die Jingles, die ab und an eingespielt werden, und die viele Hörer nachsingen, als seien sie Titel der Hitparade.

Die Regierung kämpft mit allen Mitteln

Die britische Regierung derweil sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, die Seesender trockenzulegen. Und fängt bei der Finanzierung an. Es wird unter Strafe gestellt, bei den Piraten Reklame zu schalten. „Werbespots von Levis oder Philip Morris wurden aber weiterhin ausgestrahlt“, sagt Ex-Pirat Manz. „Nur gab es dann keine greifbaren Verträge mehr darüber, die die Polizei hätte anfechten können.“ Die gewaltsamere Maßnahme folgt 1967: Da erlässt die Regierung den „Marine Broadcasting Offences Act“, der es allen Briten verbietet, an einem Radio abseits der BBC mitzuwirken. Um das Verbot durchzusetzen, schickt Ihre Majestät die Marine los, dass sie die Senderschiffe entern möge. Dies zweifelsohne: ein Akt der Piraterie.

Zu spät erklärt ein Gericht das neue Gesetz für unzulässig, weil es das Recht auf freie Berufswahl beschneidet. Da sind die Piratensender größtenteils versenkt. Viele der Vertriebenen hat die BBC eiligst in Lohn und Brot genommen. Die hat aus dem Erfolg der Piratenprogramme gelernt – und ganze Sendungen adaptiert.

Nachahmer in Deutschland

Einzig die Besatzung von „Radio Caroline“ macht weiter, geht an anderer Stelle vor Anker. Versuche, an die großen Sender anzuknüpfen, gibt es auch in Deutschland noch, auch in Berlin. Mit dem „Sky Channel“ folgt der erste Satelliten-TV-Sender, der vornehmlich Musikvideos sendet und wiederum ein neues Genre schafft.

Doch die großen Zeiten der Piratensender sind da bereits vorbei. Bald werden sowohl das Piratenradio als auch der „Sky Channel“ eingeholt und überholt von dem, was sie in Gang gesetzt haben. Nicht nur, dass die offiziellen Sender sich mehr und mehr anpassen. Radio und Fernsehen werden schließlich für Privatsender geöffnet, und solventere Investoren machen die Visionen der Aufrührer zu Geld.

Untergegangen sind sie also, aber sie haben der Welt einige Schätze hinterlassen: Bands wie Pink Floyd, David Bowie und The Doors sind durch ihr Wirken erst bekannt geworden. Und die Geschichte der Piraten, die damals im Äther wilderten, ist hinreichend dokumentiert. Thomas Gottschalk und Mike Krüger nahmen die Thematik 1981 mit dem Film „Piratensender Powerplay“ auf. 2009 brachte Regisseur Richard Curtis („Vier Hochzeiten und ein Todesfall“, „Notting Hill“) die Komödie „Radio Rock Revolution“ in die Kinos.

Die Geschichte der Piraten, die es jetzt auf das Internet abgesehen haben, hat gerade erst begonnen. Ob einmal ein Film an die von ihnen herbeigeführte „Wunderbare Web Wende“ erinnern wird? Die Segel sind gesetzt. Aber wer kann schon den Wind dirigieren.

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