zum Hauptinhalt
Die Leitartikler: Was Joachim Fests bevorzugte Haltung als Moderator und Redaktionsleiter von „Panorama“ von 1965 bis 1968 war, wurde von Stefan Aust zwischen 1973 und 1987 fortgesetzt und ist mit der aktuellen Moderatorin Anja Reschke nicht am Ende.

© NDR/Hans-Ernst Müller

"Panorama wird 50": Die Republik verbessern. Mindestens

Eine Fernsehsendung als Indikator für deutsche Zeitgeschichte: das Magazin „Panorama“ wird 50. Doch heute ist es nur noch eine Stimme unter vielen.

Ach, waren das Zeiten! Damals, als die Deutschen vereint waren. Tag für Tag. Abend für Abend. Damals, als diejenigen Außenseiter waren, Deppen und Hinterwäldler, die nicht teilhatten am Gemeinschaftserlebnis, gestiftet vom Fernsehen, das das Erste und das Einzige war. Öffentlich-Rechtlich, ohne lästige private Konkurrenz. Kneipiers klagten lauthals über den Rückzug in wohnliche Stuben und Küchen. Geschleckt und geknabbert wurde beim Flimmern. Ich bitte mir aus: Keine Störung! Unter keinen Umständen. Hast Du gesehen? Natürlich hab ich gesehen! Und? Dem Gemeinschaftserlebnis folgte das Gemeinschaftsgespräch. So nah waren sich die Deutschen selten. Und das blieb auch eine ganze Weile so. Ein Volk, eine Republik, ein Fernsehen.

Das waren Zeiten! Aber: Tempi passati. Heute wollen wir erfahren, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Und das in Echtzeit. Rucki-zucki. Dieser Sack Reis ist zwar ohne Belang. Aber wenn er schon umfällt, dann möchten wir doch gleichsam unmittelbar dabei sein. Dadurch werden wir nicht klüger, aber sehr viel informierter. Wir zappen und netzwerken uns zu Tode. Hast Du gesehen? Gegenfrage heute: Was? Der kollektive Fernsehdeutsche ist zum medialen Allein-Unterhalter mutiert.

Vor diesem Hintergrund wird das politische Fernsehmagazin „Panorama“ 50 Jahre alt. Traditionsreich, ja, das ist es. Ein Solist, vorn an der Rampe, berühmt-berüchtigt, von der Parteien Hass und Gunst umschlungen, Schlagzeilen produzierend, mitbestimmend den Gang der Bonner Republik. Das war „Panorama“. Heute ist das Magazin zurückgezwungen in den publizistischen Chor. Eine Stimme unter vielen. Die Trauer darüber, gepaart mit Selbstbehauptungswillen, nebst dem Erinnern an Highlights ist nachzulesen in dem soeben erschienenen Buch der „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke, einer schnellen Sammlung von Bruchstückchen durch eine Nachgeborene unter dem Titel „Die Unbequemen“. Unterzeile: „Wie Panorama die Republik veränderte“. Wem das Herz voll ist, dem läuft der Mund eben über. Aber so ist das nun mal bei feiernden Schriften.

Dass „Panorama“ ebenso wie die anderen politischen Fernsehmagazine aus dem Mittelpunkt an die Peripherie gerückt ist, ihre Sendungen und deren Wirkung nur noch selten aufregend, anstachelnd, diskursbestimmend sind, kein Muss mehr für Akteure in Politik und Gesellschaft, das hat auch wesentlich mit dem Wechsel von der Bonner zur Berliner Republik zu tun. Ein Schicksal, das die Magazine mit dem „Spiegel“ teilen. Vom übersichtlichen Kleingarten am Rhein auf die unübersichtliche Brache an der Spree: Nicht der Ort macht die Veränderung. Verursacht ist sie durch die mit dem Umzug zusammengefallene Zeitenwende. Als Globalisierung auch den Deutschen an den Hals gekommen. Ach, wie war sie doch schön, die geordnete Ost-West-Welt. Wir hier, die dort. Und die dort gingen uns hier nichts an, oder kaum. Und mit dem Schießen würde schon keiner anfangen. Was bestätigt wurde. Auch Journalisten können sehnsüchtig sein nach dem Biedermeier. Allerdings: Ein paar Knaller dazwischen, die mussten schon sein.

Jetzt aber: Nach der alten Ordnung die neue Unordnung. Die eine Welt drängelt sich auf dem einen Marktplatz. Und unablässig tönen Alarmglocken. Da muss schon kräftig geläutet werden, um hervorzustechen. Das ist das Problem in Redaktionsstuben, generell und bei den Fernsehmagazinen speziell: Wir schlagen unsere Glocke mit Eifer, aber wer hört auf uns? Wo sind sie geblieben, die vielen Millionen, die wir einst auf unserer Seite hatten? Mein Gott, die Quote! Milliönchen genügen nicht. Was tun? Schließlich kann „Panorama“ nicht jeden Tag einen Herrn Maschmeyer aufspießen, den Freund von Christian Wulff und Gerhard Schröder, mit seinen Geschäftspraktiken als Finanzdienstleister. Aber auch in diesem Fall hält sich die Erregung in Grenzen. Denn im Handumdrehen wird eine neue Sau durchs Global Village getrieben. Kahn-Ackermann, so einer, noch dazu exklusiv, der wär's. Den Kahn-Ackermann aber haben leider alle.

Das Wesen der Geschichte ist der Wandel. Und der Wind weht, wie und wo er will, und die Veränderung kommt, wenn sie keiner erwartet. Ein Fernsehmagazin als Indikator für deutsche Zeitgeschichte. Das ist doch was im Wisch und Weg des Journalismus. Am 4. Juni 1961 aus dem Haus des Norddeutschen Rundfunks: „Panorama“ erstmals auf dem Schirm. Panorama: Das Geschaute. Von hoher Warte. Kämpferisch. Schlachten werden von Feldherrenhügeln herab geschlagen. Gewonnen und verloren.

Die Hitlerei war Ausgangspunkt, sie wurde zum Dreh- und Angelpunkt für das Magazin. Mit Altvordern an der Tete und vielen Jungen in der Truppe. Überzeugungsstarke gingen ans Werk: Nichts hatten die Deutschen begriffen. Nichts hatten sie gelernt. Statt Antifaschismus Antikommunismus. Der alte Lack war ab, neuer wurde gepinselt. Gewechselt wurde aber nur die Farbe. Der Lack ist derselbe. Statt „Bürger auf die Barrikaden!“ ließen sich diese Germanen von ihren Eliten am Nasenring durch die Arena führen. Globke, ehedem Referent für Judenfragen im Innenministerium des dritten Reiches, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, nun Staatssekretär bei Adenauer im Kanzleramt. Filbinger, Staatsanwalt und Richter bei der Kriegsmarine, Todesurteil gegen einen Deserteur zwei Monate vor Toresschluss, nun Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ein Rechtfertiger: Was „damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Solche Diskrepanzen waren das Thema für „Panorama“: Offiziell und öffentlich die Hitlerei verdammen, die individuelle Biographie von 1933 bis 1945 aber sorgsam beschweigen. Um die Karriere nicht zu gefährden.

Darauf reagierten die Magazin-Macher in Hamburg rigoros. Sie wollten nicht nur Gewissen haben. Sie wollten Gewissen sein. Und scharfrichten. Über Eltern und Großeltern. Denen die Masken vom Gesicht reißen. Entlarven. Die Biedermeier als Brandstifter. Wohin eine solche Haltung führen kann, wächst sie sich in Fanatismus aus, illustriert der Lebenslauf von Ulrike Meinhof, bei „Panorama“ mit tätig in den sechziger Jahren.

Vergangenheit, die nicht vergeht, ein Schoß, der immer noch fruchtbar ist: Das war die Folie, die auf die Gegenwart gelegt wurde. Charakteristisch dafür die Darstellung des gewaltigen Schlags gegen die Pressefreiheit, mit dem die Regierung, Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer im Verein, 1962 den „Spiegel“ in einen „Abgrund von Landesverrat“ stürzen und mundtot machen wollte. Verhaften, durchsuchen, lügen: Diese Muster waren bekannt. Sebastian Haffner, der Emigrant aus Nazi-Deutschland, ständiger Kommentator bei „Panorama“, geißelte: „Wenn die deutsche Öffentlichkeit sich das gefallen lässt, wenn sie nicht nachhaltig auf Aufklärung drängt, dann adieu Pressefreiheit, adieu Rechtsstaat, adieu Demokratie.

Sebastian Haffner, Gert von Paszensky, Eugen Kogon, Joachim Fest, Peter Merseburger: Gesichter, die „Panorama“ das Profil gaben. Sie alle kamen vom Wort, von der Zeitung, der Zeitschrift, dem Hörfunk. Sie vertrauten dem Wort und setzten auf die Wirksamkeit des Arguments. Bilder? Lediglich ein Teppich. Ohne eigenständigen Wert. Sie moderierten nicht, sie sprachen Leitartikel. Sie sagten nicht an, sie sagten aus. In Texten, die nicht nach Sekunden bemessen waren. Und sie führten Interviews, lange, mit Leuten ohne Sprechblasen. Rede, Gegenrede, ungeschnitten. Und nie bekamen ihre Partner zu hören: „Noch eine letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort.“ Man hatte Zeit. Sendezeit. 45 Minuten. Gleich nach der „Tagesschau“

„Wir wollten die Welt verbessern“, sagt Stefan Aust, „Panorama“-Reporter, später „Spiegel“-Chefredakteur. Wenn schon, denn schon. Deutschsein heißt eine Sache um ihrer selbst Willen tun. Missionare an die Front! Und sollten die Fakten nicht mit dem Meinen übereinstimmen, umso schlimmer für die Fakten. Mit solcher Mentalität wird der Journalist ganz schnell zum steril Aufgeregten. Jagdfiebrig. Der Schuss aber kann daneben gehen. Oder einen Falschen treffen. Auch das ist „Panorama“ passiert. Anja Reschke zitiert in ihrem Buch die Affäre um Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Uwe Barschel 1987, als dem Magazin eine Fälschung als Dokument untergeschoben wurde.

Alle Frontkämpfer müssen stets auf der Hut sein. Weil der Gegner nur auf eine Blöße wartet. Um den Angreifer anzugreifen. Weltverbesserer aber sind manchmal blind. Deshalb verblüffte Joachim Fest als Redaktionsleiter die „Panorama“-Truppe bei seinem Antritt. Einer ohne Heilserwartung. Einer ohne den Glauben, der Mensch sei von Haus aus edel, hilfreich und gut. So einer bremste den, wie er es nannte, „pupertären Furor“. Intern. Zugleich aber nahm er die Redakteure in seinen Schutz. Nach draußen. Gegenüber Parteien jeglicher Coleur, die auf Missliebiges einprügeln, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu treffen. Beutemachen: ein andauernder Versuch.

„Wir wollten die Welt verbessern“, sagt Stefan Aust. Na ja. Im Spektrum des vielfältigen Meinens hat aber auch das Einseitige einen Platz. Und das wird, hoffentlich, nicht nur in den nächsten 50 Jahren so bleiben.

Der Autor war Chefredakteur des SFB-Fernsehens und Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios.

„Panorama – Jubiläumsausgabe“, Donnerstag, ARD, 22 Uhr; „Unbequem und unbestechlich – 50 Jahre ,Panorama’“, Donnerstag, NDR, 23 Uhr 15

Jürgen Engert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false