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Medien: Pauline bewegt

„Das Leuchten der Sterne“: Eine Familiengeschichte aus einer anderen Welt

Mit dem Stehen und Gehen will es bei der zehnjährigen Pauline Koller nicht so richtig klappen. Während die anderen behinderten Kinder kleine Erfolgserlebnisse feiern, wackelt Pauline in den Armen ihrer Mutter bedenklich hin und her. Wie ihr denn die Mutter-Kind-Therapie gefallen habe, wird sie später vom Vater gefragt. „Schön – dass es vorbei ist“, sagt sie. Die pfiffige Pauline, seit der Geburt behindert, kann ihre Bewegungen nicht kontrollieren. Auch das Sprechen fällt ihr schwer. Aber sie ist geistig fit, fährt mit dem Rollstuhl in die Schule, spielt Schach und hält ihre Eltern nicht nur im Film gewaltig auf Trab. Denn der drei Jahre ältere Patrick (Moritz Beilharz) und die erwachsene Hanna (Corinna Beilharz) sind auch im wirklichen Leben Bruder und Mutter von Pauline (Marlene Beilharz). Vor drei Jahren waren sie bereits in dem Grimmepreis-nominierten Film „Engelchen flieg“ zu sehen. Nun gibt es ein zweites ARD-Movie um die Familie Beilharz alias Koller, wieder geschrieben von Drehbuch-Autor Werner Thal, Paulines Vater.

Eine Fortsetzung ist „Das Leuchten der Sterne“ dennoch nicht. Eher eine Art Déjà-vu-Erlebnis: Wie im ersten Film setzt der Mann den brüchigen Familienfrieden durch eine Affäre aufs Spiel. Der Maler Michael Koller, diesmal erfreulicher Weise gespielt von Michael Fitz statt Uwe Ochsenknecht, fühlt sich zu der flippigen Rocksängerin Nina Neuner (Ellen ten Damme) hingezogen, die ihren behinderten Sohn Anselm (Thomas Mayer) alleine aufzieht. Lange Zeit wird hier ein ganz normales Beziehungsdrama gespielt, allerdings eins unter besonderen Vorzeichen. Zu Beginn bricht Michael unter der Last Paulines mit einem Hexenschuss zusammen. Auch Hanna klagt über Rückenbeschwerden und treibt nun die Idee eines Umzugs in eine behindertengerechte Wohnung voran, was Michael gar nicht schmeckt. Die Stimmung ist gereizt, die außergewöhnlichen Belastungen durch das Zusammenleben mit Pauline setzen den Kollers zu. Hanna, eine Schauspielerin, findet kaum Engagements, die ihrem knappen Zeitbudget entsprechen.

Filme, in denen Behinderte mitspielen, laufen leicht Gefahr, den Alltag vor lauter Menschenfreundlichkeit zu verklären. Hier wird dagegen auf unspektakuläre Weise ein Stück aus der Wirklichkeit inszeniert. Die Lebensfreude, die bei Paulines fröhlichem Geburtstagsfest mit anderen Kindern im Rollstuhl zum Ausdruck kommt, wirkt nicht gekünstelt, artet nicht in Rührseligkeit aus. Schließlich gibt es auch die andere Seite der Medaille: Wenn Hanna mit ihrer Freundin mal ausgehen möchte, geht das prompt schief. Praktische Probleme fließen wie selbstverständlich in Drehbuch und Dialoge ein: Welche Pflegestufe ist notwendig? Welche Leistungen übernimmt die Krankenkasse? Der Autor weiß, wovon er schreibt. Auf dieser soliden Basis wird eine allgemeingültige Geschichte erzählt. Sie handelt von Betrug und Eifersucht, von dem Wunsch nach Selbstverwirklichung, von Begierden und Ängsten – und vom Tod. Als eines der behinderten Kinder stirbt, wirft das die Mutter vollkommen aus der Bahn. Obwohl es bereits viel länger lebte, als es die Ärzte für möglich gehalten hatten. Oder gerade deshalb.

Beide Filme mit der Familie Beilharz hat Regisseur Adolf Winkelmann geradlinig und mit Gespür für den authentischen Gehalt inszeniert. „Engelchen flieg“ bedeutete 2004 nach zehn Jahren Pause eine Rückkehr zum Fernsehen für den Dortmunder, dessen schräge Heimatfilme aus dem Ruhrpott („Die Abfahrer“, „Jede Menge Kohle“) Kult wurden und der später für die Thriller „Der letzte Kurier“ und „Der Leibwächter“ Grimmepreise erhielt. Nun hat er sich gewissermaßen zu einem Spezialisten für Filme mit Behinderten-Themen entwickelt. Der umstrittene Film „Eine einzige Tablette“ liegt allerdings seit einem Jahr wegen eines Rechtsstreits über die Darstellung des Contergan-Skandals auf Eis.

In „Das Leuchten der Sterne“ wollte er „eine Familiengeschichte aus einer anderen Welt erzählen“, sagt Winkelmann. Trotz riesiger gesellschaftlicher Fortschritte würden Behinderte immer noch in einer Parallelgesellschaft mit eigenen Schulen leben. Auch die Kollers stoßen in ihrer neuen Wohnung, die eigentlich als Arztpraxis gedacht war, auf Ablehnung bei den Nachbarn und den etwas klischeehaft geratenen, unsympathischen Herren von der Hausverwaltung. So etwas schweißt die Familie zusammen, und die kindliche Solidarität, mit der sich der 13-jährige Patrick für seine behinderte Schwester einsetzt, gehört zu den berührendsten Szenen dieses Films.

„Das Leuchten der Sterne“, 20 Uhr 15, ARD

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