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Medien: Pay TV: Sender ohne Seele

In Frankreich will die Moderatorin des Journal du Hard das Handtuch werfen, wie dem linksbürgerlichen Blatt "Libération" zu entnehmen ist. Das Journal du Hard ist eine kurze Rezensionssendung über Neuheiten auf dem Porno-Markt.

In Frankreich will die Moderatorin des Journal du Hard das Handtuch werfen, wie dem linksbürgerlichen Blatt "Libération" zu entnehmen ist. Das Journal du Hard ist eine kurze Rezensionssendung über Neuheiten auf dem Porno-Markt. Mitunter wird in dieser Sendung darüber philosophiert, ob die französische Autorentheorie für das Feld der Hardcore-Produktion Geltung haben kann. Jetzt gibt es bei Canal plus, der Urmutter des europäischen Bezahlfernsehens, konzeptionelle Differenzen über das Journal du Hard.

Canal plus hat dem tristen deutschen Abo-TV "Premiere World" nicht nur das Recht voraus, Pornographisches senden zu dürfen, Canal plus ist eine nationale Kulturinstitution. Kein anderes Medienunternehmen steckt in Frankreich so viel Geld in die Filmproduktion, man ist in Hollywood engagiert, fördert den hochklassigen Dokumentarfilm. Die unverschlüsselt ausgestrahlte Zweistunden-Show "Nulle part ailleurs" (Nirgendwo anders) funktioniert als Wundertüte der Popkultur und hat Moderatorenstars wie Antoine de Caunes oder Daphne Roulier hervorgebracht. Das "Journal du Cinéma" mit Isabelle Giordano ist die einflussreichste Kinosendung Europas.

Dagegen wurde das deutsche Abo-Fernsehen nach einem langen medienpolitischen Irrweg zu einer glanzlosen Verteil- und Marketing-Maschine herabgewirtschaftet, halbwegs attraktiv nur noch für Fußballfans, die sich für die Vorrunde der Champions League begeistern können. Dabei hatte "Premiere" einst dem Canal-plus-Konzept nachgeeifert: aus Produktionen wie "0137" und "Quatsch-Comedy-Club" erwuchs prägendes Personal für die gesamte deutsche TV-Szene. Im unfriedlichen Miteinander der premiere-Gesellschafter Kirch und Bertelsmann kam dann jedes publizistische Konzept für ein ansehnliches Bezahlfernsehen unter die Räder. Wurde zuerst mächtig in Eigenproduktionen investiert, kappte das Management Mitte der 90er Jahre die Mittel für Formatenwicklungen. Unter dem Patronat des Kirch-Konzerns ging es schließlich nur noch darum, die ständig neu auftretenden Kostenlöcher zu stopfen.

Leo Kirch ist ein fähiger Finanzjongleur und Broker für audiovisuelle Rechte, auch eine gewisse Sensibilität für fiktionale Produktion mag man ihm nicht absprechen. Die Welt der Publizistik blieb ihm immer fremd. Ein teures, exklusives Produkt wie das Bezahlfernsehen ist aber ohne publizistische Identität nicht zu denken. Auch ein Abo-Sender muss, gerade im hart umkämpften deutschen Fernseh-Markt, populär-kulturell ausstrahlen, sich über publizistische Köpfe vermitteln. Das Kirch-Management verkauft die Premiere-Welt aber mit dem Charme von Bauerntölpeln. Die einzige Botschaft des Senders an das Publikum heißt: gebt uns Geld, Geld, Geld, damit wir überleben können. Mangels substantieller Programm-Nachrichten profilierte sich der Sender als Feldjägertruppe des Fernsehens: zum Auftakt der Bundesliga-Saison habe man "eine flächendeckende Kontrolle unter Deutschlands Gaststätten durchgeführt" und "1700 Abmahnungen für Gastwirte" verfügt, heißt es stolz in einer Premiere-Pressemitteilung. Die Kneipiers waren angeblich nicht im Besitz des "Gaststätten-Abonnements" für Bundesliga-Übertragungen.

Die Geschichte von Premiere ist eine Geschichte der permanenten Kundenverwirrung: angesichts von digital und analog, d-box und MMBG, DF 1 und Movie World, zahlreichen Zugangs-Codes und Sonderverschlüsselungen ist die Publikums-Mehrheit froh über das technisch schlichte, aber reichhaltige Angebot des frei empfangbaren Kabelfernsehens. Einige Komplikationen des Pay-TV waren wegen der rasanten Technikentwicklung wohl unvermeidlich, das Siechtum des Bezahlfernsehens in Deutschland wurde aber vor allem durch das Management der Medienkonzerne selbst verursacht. Canal plus startete im November 1984 via Antenne als viertes Programm in Frankreich und war schnell im Bewusstsein der französischen Zuschauer. Ein Monopolunternehmen, ein Geschenk Mitterands an publizistische Freunde, aber ein Sender mit Seele. Man kann eher das Journal du Hard ertragen als die gesichtslose Premiere-Welt, die wenig mehr als den Puls von Controllern und Investmentbankern beschleunigt.

Lutz Hachmeister

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