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"Pegida"-Gründerin bei "Günther Jauch": Wir müssen reden

Die Diskussion bei "Günther Jauch" mit "Pegida"-Sprecherin Kathrin Oertel hat sich gelohnt. Man konnte beobachten, wie ein Dialog in Gang kommt. Es wurde miteinander, nicht mehr nur übereinander geredet.

Seit Wochen redet die Politik, reden die Medien über "Pegida", aber bislang scheiterten alle Versuche, auch mit "Pegida" zu reden, an deren Verweigerungshaltung. Weder mit der so genannten Lügenpresse noch mit den – ebenfalls so genannten – Systemparteien wollte man etwas zu tun haben bei den Initiatoren der Dresdner Kundgebungen. Waren die wirklich so ahnungslos, so sehr aus dem ehemaligen „Tal der Ahnungslosen“, wie es Heinrich August Winkler gerade konstatierte,  dass sie überhaupt nicht mitbekommen hatten, wie sich die Welt in den letzten 30 oder 40 Jahren verändert hat? Und hatte ihnen tatsächlich niemand gesagt, dass ihr Vokabular direkt von den Nazis entlehnt ist? Günther Jauch hat es jedenfalls geschafft, aus dem Gespräch über- oder besser gegeneinander ein Gespräch miteinander zu machen, als er in seine Sonntagabendsendung Kathrin Oertel einlud, Sprecherin und Mitbegründerin der Dresdner "Pegida"-Veranstaltungen. 

Es war klug, ihr die Chance einer einleitenden Selbstpräsentation zu geben. Man kann darüber streiten, ob ihre Kernthese überhaupt stimmt, dass „das Volk“ nicht mehr von der Politik wahrgenommen würde, wenn sich genau dieses Volk zu 50 Prozent nicht mehr an Wahlen beteiligt, sich also selbst nicht mehr wahr nimmt. Aber der wiederholte Beifall im Publikum zeigte, dass Oertel mit dieser Meinung nicht alleine stand.

Den Mut, sich mit Oertel und "Pegida" auseinander zu setzen, hatten Wolfgang Thierse, langjähriger sozialdemokratischer Bundestagspräsident, der junge Christdemokrat Jens Spahn, Alexander Gauland von der AfD und Frank Richter, der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung. Vor allem  Richter war eine gute Besetzung. Von ihm wusste man aus einem Deutschlandfunk-Interview, dass er in Dresden „einen tief greifenden Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Institutionen“ festgestellt hatte und dringend zur Kommunikation riet. Deshalb veranstaltet er auch regelmäßige Gesprächsrunden, an denen, so viel sei vorweg genommen, Christdemokrat Spahn künftig teilzunehmen versprach.

Auch Thierse, ziemlich sauer ob des "Pegida"-Missbrauchs des Mottos „Wir sind das Volk“, diagnostizierte einen Mangel an Erklärung der komplexen Welt der Globalisierung durch die offizielle Politik. Die abwesende Kanzlerin kassierte ziemlich einhellige Kritik für ihr unverhülltes Votum aus der Neujahrsansprache, die "Pegida"-Leute stünden für Hass und Vorurteile, und die Bürger sollten „da“ nicht hingehen.

Ein wenig isoliert wirkte Alexander Gauland, fast ein wenig aus der Jetzt-Zeit genommen. Er war der einzige, der in seiner Stellungnahme zum Verbot der Polizei für die montägliche "Pegida"-Kundgebung nicht nur Verständnis zeigte, sondern daraus den Schluss zog, dies sei der Beginn der Islamisierung Dresdens. Er fand auch die Stimmung bei der letzten Demo, die er beobachtet hatte, „nicht so schlimm“. Dass er aber nicht nur der Biedermann als Brandstifter ist, sondern auch ein guter Beobachter, zeigt eine bissige Bemerkung von ihm zu Jens Spahn zum Aufkommen der AfD: „Wir sind die Folge ihres politischen Versagens“.

Insgesamt eine Sendung mit einer überdurchschnittlichen Quote von 5,57 Millionen Zuschauern, die sich gelohnt hat, weil man beobachten konnte, wie ein Dialog in Gang kommt. Manchem "Pegida"-Sympathisanten aus dem Publikum möchte man freilich nicht im Dunkeln begegnen.

Gerd Appenzeller

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