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Vom Tahrir-Platz in Kairo, wo auch am Mittwochabend wieder gegen das Mubarak-Regime demonstriert wurde (Bild), erhalten die Blogger viele Anrufe. Foto: AFP

© AFP

Plattform für Protestler: Cairo calling

Junge Blogger aus Deutschland und den USA stellen Augenzeugenberichte aus Ägypten ins Netz. Wie sie Internetblockaden und Zensur trotzen.

Der Anrufer ist atemlos, wirkt aufgeregt. „Polizisten in Zivil attackieren den Platz von allen Seiten. Sie versuchen uns vom Platz zu vertreiben“, ruft er in sein Handy, im Hintergrund sind Schüsse zu hören. Am anderen Ende der Leitung sitzt Pëll Dalipi und zeichnet das Gespräch auf, nur wenige Minuten später ist es auf der Website Voltairehosting.com/jan25 und per Twitter-Account twitter.com/jan25voices abrufbar.

Seit dem Beginn der Proteste in Ägypten macht Dalipi solche Augenzeugenberichte per Audio-Datei für Menschen in aller Welt übers Internet verfügbar. Der 19-jährige Programmierer und Journalist aus Regensburg betreibt die Seite zusammen mit zwei weiteren Deutschen und einem Amerikaner. Ihr Ziel ist es, mit den Seiten eine Plattform für die freie Meinungsäußerung in Ägypten zu bieten, die vom Regime lange unterbunden worden sei. „Wir wollen helfen, die Stimmen der Ägypter wieder frei verfügbar zu machen“, sagt Dalipi.

Nur zwei Tage nach den ersten großen Demonstrationen am 25. Januar hatte das ägyptische Regime die Zugänge zum Internet und die Handy-Netzwerke gesperrt. Viele Menschen in Ägypten waren nur noch per Festnetz-Telefon zu erreichen. Bei Jan25voices gingen trotzdem weiter Anrufe ein, denn schon vor der Internetblockade hatte das Team die Nummer für Augenzeugenberichte per Twitter verbreitet. „Die Nummer hat sich dann relativ schnell rumgesprochen“, sagt Dalipi.

Inzwischen funktionieren Handys und Internet wieder, Dalipi und sein Team erhalten Anrufe von Augenzeugen aus den unterschiedlichsten Orten: direkt aus einer Demo heraus, von einem Hochhaus, von dem die Anrufer etwas beobachten, oder auch von zu Hause. Fast alle Anrufe seien auf Englisch, einige wenige auf Arabisch, die der 27-jährige Amerikaner John Scott-Railton übersetzt. Die Augenzeugenberichte per Telefon aufzunehmen, sei der einfachste Weg, weil bei Weitem nicht jede Familie in Ägypten einen Internetzugang habe, sagt Dalipi: „So können wir zu mehr Menschen durchdringen.“

Viele der Berichte stammen vom Tahrir-Platz im Zentrum Kairos, wo auch am gestrigen Donnerstag wieder hunderttausende Ägypter das Ende des Regimes von Präsident Hosni Mubarak forderten. Der aus Dalipis Sicht „krasseste“ Anruf war ein Mann, der sah, wie ein Mann verwundet wurde und annahm, er sei gestorben. All das schilderte er schreiend und dann wieder weinend am Telefon.

Wirklich überprüfen könne man die Quellen nicht. „Aber wir können sie einordnen, wenn wir von verschiedenen Menschen dieselben Botschaften bekommen“, sagt Dalipi. Außerdem nutze das Team auch andere Nachrichtenquellen. „Man bekommt dann einen Eindruck, ob die Aussage logisch sein könnte.“ Aber hundertprozentig sagen, ob eine Person recht habe, könne man nicht.

„Wir wollen als Organisation eigentlich neutral bleiben“, sagt Dalipi. Es gehe lediglich darum, eine Technik zur Verfügung zu stellen, damit Menschen ihre Stimme erheben können. Persönlich hoffe er aber, dass die Forderungen der Mehrheit der Menschen auch umgesetzt werden.

Insgesamt 200 Audio-Files haben die vier Betreiber von Jan25voices bereits aufgezeichnet und auf die Videoplattform Audioboo geladen – 40 davon sind in die Website eingebunden und auf Twitter verlinkt. Zwischen 500 und 10 000 Mal wurden die verschiedenen Audio-Dateien inzwischen angehört. Der Twitter-Account hat knapp 8000 Follower. „Wir gehen davon aus, dass vor allem Menschen aus Europa und den USA unsere Audios hören“, sagt Dalipi.

Auch nach dem Ende der Internetblockade erfülle Jan25voices noch seinen Zweck. Beispielsweise, als kürzlich viele Journalisten Ägypten verließen, weil sie von Zivilpolizisten und Mubarak-Anhängern angegriffen wurden. „Eine Zeit lang hatten wir den Eindruck, die Hauptquelle für Al Dschasira zu sein“, sagt Dalipi. Auch wenn ihre Seite nicht immer als Quelle angegeben wurde, erkannten sie ihre Audio-Dateien in den Berichten des arabischen TV-Senders wieder.

Die meisten Anrufer bei Jan25voices seien Unterstützer der Proteste gewesen, doch Einzelne seien auch „neutral“ oder erst vor kurzem auf die Seite der Mubarak-Gegner umgeschwenkt. Viele der Augenzeugen halten ihre Hörer oder Handys in die Luft, wenn sie bei Jan25voices anrufen. Dann seien oft Schreie oder auch Schläge zu vernehmen. „Man kann die Gewalt richtig hören“, sagt Dalipi. Man höre aber auch die „Gewaltigkeit“ der Proteste.

Karin Schädler

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