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Journalist Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) und Opfer-Anwalt Werner Dietrich (Jörg Hartmann, li.).

© Arte/BR

Polit-Krimi: „Der blinde Fleck“ beleuchtet das Oktoberfest-Attentat

„Der blinde Fleck“ erzählt ähnlich wie „Die Unbestechlichen“ vom Kampf des investigativen Journalismus um Aufklärung. Ein bis zwei Nummern kleiner allerdings. München ist nicht Washington.

34 Jahre ist es jetzt her, das Oktoberfest-Attentat von München. 13 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Aber ist dieser in der bundesdeutschen Geschichte schwerste Anschlag mit rechtsextremem Hintergrund überhaupt wirklich aufgeklärt? Der durch die Bombe getötete Student Gundolf Köhler gilt als Täter. Hintermänner wurden nicht gefunden. Allerdings wurden die Ermittlungen derart schlampig geführt, dass selbst der Bayerische Landtag 2011 ein Wiederaufnahmeverfahren der Ermittlungen gefordert hatte. Vor einigen Tagen sind einmal mehr neue Spuren und neue Zeugen aufgetaucht. Konsequenzen hatte das bisher keine. Das Muster kommt einem bekannt vor, und am Ende des Fernsehfilms „Der blinde Fleck“ stellt der Journalist Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) die nicht sehr weit hergeholte Frage, ob nicht auch die NSU-Morde zu verhindern gewesen wären, wenn Polizei und Geheimdienste aus ihren damaligen Fehlern gelernt hätten.

Zunächst zeigt sich die Polizei im Film jedoch sehr zupackend – bei einem Überfallkommando auf Chaussys Wohngemeinschaft. Man vermutet dort Sprengstoff. Es ist die Zeit der Auseinandersetzung mit dem Linksterrorismus der RAF. Und es ist Bundestagswahlkampf. Herausforderer Franz-Josef Strauß (CSU) gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Vom gesellschaftlichen Klima und dem aufgeheizten Kanzlerduell im Jahr 1980 erzählt Regisseur Daniel Harrich bereits im Vorspann mithilfe von schnell montiertem Dokumaterial. Neun Tage vor der Wahl, am 26. September 1980, explodiert dann die Bombe auf dem Oktoberfest. Es stellt sich heraus, dass Gundolf Köhler Mitglied der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann war. Bayern unter Ministerpräsident Strauß hatte deren paramilitärische Übungen als harmlosen Freizeitspaß heruntergespielt. Der Anschlag bringt Strauß im Wahlkampf in Bedrängnis. Und sein Staatsschutzchef Hans Langemann, den Heiner Lauterbach als machtbewussten Geheimdienstler mit Raubtierlächeln spielt, tut alles für eine Einzeltätertheorie. 1984 wird Langemann wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen verurteilt. Allerdings nicht im direkten Zusammenhang mit dem Oktoberfest-Attentat, was im Nachspann leider verschwiegen wird. Dennoch hält sich der packende Polit-Krimi „Der blinde Fleck“ im Kern akribisch an die Fakten. Keine kunstvoll inszenierten Verschwörungstheorien, sondern – sieht man von einigen allzu plakativen Szenen ab – ein zeitgenössisches Lehrstück ohne Schnörkel. Die wichtigsten Protagonisten tragen ihre realen Klarnamen: zum Beispiel Chaussy, der Regisseur Harrich auch als Koautor zur Seite stand, Staatsschutzchef Hans Langemann sowie der Opferanwalt Werner Dietrich. In mehreren Zeitsprüngen, von 1980 bis 2011, folgt das Drehbuch den Recherchen Chaussys und den Winkelzügen Langemanns. Aussagen von Zeugen, die auf Mittäter hinwiesen, wurden ignoriert. Einzelne Journalisten wurden mit gezielten Exklusivinformationen manipuliert. Alle Asservate wurden schließlich vernichtet.

Kuriose Besetzung der Nebenrollen

So erzählt „Der blinde Fleck“ ähnlich wie „Die Unbestechlichen“ vom Kampf des investigativen Journalismus um Aufklärung. Ein bis zwei Nummern kleiner allerdings. München ist nicht Washington, alles geht etwas gemütlicher zu: das heimliche Treffen mit dem Informanten in einem Kleinstadtbahnhof; die Verfolgungsjagd, bei der Chaussys Rennrad dran glauben muss. Dezent wird angedeutet, dass seine hartnäckigen Recherchen beim Bayerischen Rundfunk umstritten waren. Doch weil Chaussy Hörfunkjournalist ist, verleiht das dem Film einen schönen Hauch Radio-Nostalgie.

Benno Fürmann spielt Chaussy als bodenständigen Helden ohne Allüren, der irgendwann um seine Ehe fürchtet. Auffällig und ein bisschen kurios die Besetzung der Nebenrollen, bei der man sich kräftig im „Tatort“-Fundus der ARD bedient hat: Jörg Hartmann ist der Anwalt Dietrich und auch in diesem Film ein Gewinn. Miroslav Nemec hat als Generalbundesanwalt Kurt Rebmann weniger Gelegenheit, zu glänzen. Im Gegensatz zu Udo Wachtveitl, der einen schmierigen Boulevardjournalisten spielt und sich an der Theke mit Chaussy ein gepfeffertes Wortgefecht über journalistische Prinzipien liefert. Stark außerdem der Kurzauftritt von Franziska Lüttgenjohann als Köhlers Schwester. Und mit Nicolette Krebitz als Chaussys Ehefrau Lise sowie August Zirner als Langemanns rechte Hand und Chaussys Informant sind auch diese Rollen vorzüglich besetzt.

„Der blinde Fleck“, Freitag, 20 Uhr 15, Arte

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