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Mindestens für die U61. An seinem ersten Tag bringt der neue Sender ZDFkultur zur Primetime ein Pop-Konzert mit Rihanna: „Good Girl Gone Bad Live“. Foto: ZDF

© Mario Anzuoni; Reuters

Popkultur und Feuilleton: Gangsta-Rap

Der Digitalsender ZDFkultur soll poppig-innovativ sein. Und was macht 3sat?

Im Studio-Hintergrund fiept, blinkt und zippt es, als hätten sich Viva/MTV verschworen, einen letzten Anschlag auf eingängige Sehgewohnheiten durchzuführen. Vorne gut gelaunte Moderatoren, die aussehen wie die coole Berliner Band „Ja, Panik“ und die Blogger-Messe „re:publica“ empfehlen. Das neue Lena-Video, dazu Gangsta-Rap und auch mal, der tradierte ZDF-Seher soll ja nicht gleich abschalten, Gedichte von UIla Hahn. Aus dem Bildschirm schreit es dem Zuschauer entgegen: Wir sind jung, und ihr seid es sicher auch! Kurzum, ab heute macht das Zweite programmatisch in junger Kultur, mit dem neuen, digitalen Spartensender ZDFkultur, der „Versöhnung zwischen Feuilleton und Popkultur“, wie Intendant Markus Schächter sagt.

Das Ganze verkauft als „Relaunch“ des bisherigen, mit seinen Ibsen-Aufführungen aus den 60er Jahren und 0,1 Prozent Marktanteil glücklosen ZDFtheaterkanals, der ZDFkultur von heute an weichen muss. Aber muss es gleich so bunt, so schrill, so anbiedernd, so jugendszenekulturig sein? „Eine breite Interpretation des Kulturbegriffs ohne Trennung von U und E“, kündigt Koordinator Wolfgang Bergmann an. Man wolle auch ein jüngeres Publikum anlocken, ohne Stammseher zu verschrecken. Dies soll unter anderem mit einer neuen Reihe „Berlin live“ passieren, mit „handgemachter“ Musik von bekannten und Newcomer-Bands aus Berliner Clubs. Für den Sendestart wird Mando Diao angekündigt. Außerdem soll es Übertragungen von großen Festivals wie Roskilde geben.

Ein Pop-und-Rock-Sender. Immerhin, ein guter Ansatz. Anders als bei MTV zuletzt wird auf Moderatoren gesetzt, deren „ganz eigene, subjektiv geprägte Art“ nach erster Ansicht noch der einen oder anderen Verfeinerung – und Abkühlung – bedarf. Dem „veränderten Lebensgefühl“ (ZDF-Pressetext) jedenfalls, dem Rainer Maria Jilg, Lukas Koch, Nina Sonnenberg und Jo Schück bei der Popkultur-Sendung „Der Marker“ bunt hinterher sind, wünscht man sich mehr Lebensnähe.

Mit ZDFkultur unter der zu Ende gehenden Ägide von Intendant Schächter setzt das Zweite die bemerkenswerte Strategie fort, die es vor anderthalb Jahren mit der Gründung von ZDFneo gestartet hat. Digitalkanäle sollen genutzt werden, um ein Publikum zu erreichen, dass das große ZDF (Durchschnittsalter der Zuschauer: 61) längst nicht mehr kennt. ZDFneo hat die 30- bis 50-Jährigen im Visier, ZDFkultur schielt auf die Generation der 20- bis 40-Jährigen; das alles, um bloß nicht mehr der vielleicht allzu dröge Ein-Kanal-Sender zu sein. Da ist es dann auch kein großes Problem, das nur 57 Prozent der TV-Haushalte derzeit digitalisiert sind, ZDFkultur also überhaupt empfangen können.

Mit seiner Strategie zieht das ZDF aber nicht nur Kritik der Privatsender oder derjenigen auf sich, die fragen, wo denn die 18 Millionen Euro für ZDFkultur überhaupt herkommen, ob das Geld reicht, und was denn nun mit den anderen öffentlich-rechtlichen Kultursendern wie 3sat passieren soll. Viele Sendungen bei ZDFkultur sind Übernahmen von profilierten Formaten bei Arte oder 3sat.

Prominentestes Beispiel: Katrin Bauerfeind. Sie soll bei ZDFkultur alle 14 Tage ihr Popkulturmagazin moderieren, das bei 3sat lange Jahre von Friedrich Küppersbuschs Firma probono produziert wurde und „3auerfeind“ hieß. „Im Oktober erhielt ich den Bescheid, man sei vom Produkt so angetan, dass man es auf 14-tägige Erscheinungsweise verdoppeln wolle“, sagt Küppersbusch. „Die ,3’ im Logo sei allerdings auszutauschen, denn die Verstärkung solle der Aufwertung des künftigen ZDFkultur frommen.“ Künftig werde „Bauerfeind“ von 3sat-Mitarbeitern gemacht. Viele Projekte bei 3sat, so Küppersbusch, litten Not, da intern die Mittel für diesen Sender in andere Projekte geleitet würden.

3sat also über kurz oder lang als „Opfer“ für ZDFkultur? Vonseiten der Mitbetreiber ARD oder ORF gibt es Treueschwüre für den 1984 gegründeten Kultursender, der vom ZDF federgeführt wird: „Was 3sat als Kulturprogramm für den deutschen Sprachraum leistet, kann von keinem anderen Fernsehangebot geleistet werden, auch von keinem der neuformatierten Digitalkanäle“, sagt SWR-Programmdirektor Bernhard Nellessen. Die ARD bekenne sich zum Auftrag von 3sat und zu seinem Engagement für das Programm. Für 3sat-Direktor Gottfried Langenstein nehmen sich 3sat und ZDFkultur gegenseitig nichts weg, beides hätte seinen Platz.

Man muss das wohl glauben. Intern wurde schon die Befürchtung geäußert, 3sat werde die nächsten fünf Jahre nicht überleben.

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