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© ZDF

Porträt: Der Sentimentale

Woyzeck, Baader, Killer, Krimiserie: Der Schauspieler Frank Giering liebt trotzdem mehr die leisen Töne.

Mitunter hängt das Schicksal eines Menschen von einer einzigen Person ab. Während des Schauspielstudiums wurde Frank Giering plötzlich das Bafög gestrichen. Seine Eltern waren arbeitslos, Zeit zum Jobben hatte er nicht, sein Traumberuf stand auf der Kippe. Er ging zum Sozialamt, dort erklärte man ihm, dass man ihm nicht helfen könne. Nach dem Gespräch saß er ziemlich hilflos im Flur. So fiel er auf. Eine vorbeieilende Mitarbeiterin sprach ihn an: „Was ist los, warum schauen Sie denn so traurig?“ Einige Zeit später verließ er das Amt mit einem Sozialhilfedarlehen, 500 Mark im Monat, rückzahlungspflichtig. „Gottes Fügung“, nennt Frank Giering das, und vermutlich ist es so, dass er hier nicht beim Interview sitzen würde, wenn es diese Frau nicht gegeben hätte. Dank ihrer Unterstützung konnte er ein halbes Jahr später in einer Vorführung an der Filmhochschule Babelsberg den „Woyzeck“ spielen, vor Produzenten, Regisseuren, Kameraleuten. Im Anschluss bekam er ein Rollenangebot für einen Fernsehfilm.

Seit letzten Freitag ist Frank Giering wieder in der ZDF-Serie „Der Kriminalist“ zu sehen, an der Seite von Christian Berkel spielt er den Assistenten Henry Weber, der ein wenig im Schatten seines Vorgesetzten steht, aber auch mal etwas sagen kann, wenn ihm etwas nicht passt. Gegen den drahtigen Hauptkommissar Schumann wirkte Henry Weber eher gemütlich, mit rundem Gesicht und kleinem Bauchansatz. An diesem Morgen wartet ein kleiner, schmaler Mann im Café des Delphi-Filmpalastes in Berlin-Charlottenburg. Er nippt am Espresso. Seine Hände zittern etwas nervös. Frank Giering ist kaum wiederzuerkennen. 20 Kilo hat er abgenommen, nicht für eine Rolle, sondern für sich. „Ich war schon als Kind immer etwas pummelig“, sagt er. „In der letzten Zeit aber, wenn ich einen Film synchronisiert habe, in dem ich mitspielte, konnte ich mich selbst nicht mehr sehen.“ Seine Diät heißt „Verliebt, Liebe, Liebeskummer“ – die drei Phasen aus einer Begegnung mit einer Frau im letzten Jahr.

Ein wenig scheint ihm das Sentimentale ins Gesicht geschrieben zu sein. Weiche Züge, treue, blauen Augen. Selbst die Narbe an seiner linken Braue, die er immer sorgfältig eincremt, ändert an dem Eindruck nichts. Wenn Frank Giering redet, ist er ernst und nachdenklich. Gerade tobte in Berlin die Berlinale, eine gute Möglichkeit für Kontakte. Er blieb zu Hause. Er bezeichnet sich als schüchtern und er hat es lieber, wenn man ihn entdeckt, statt sich zu präsentieren. Er mag traurige Musik, Schwarz-Weiß-Aufnahmen und klassische Klamotten statt schrillem Outfit. Das Verlorene an Giering erinnert irgendwie an die Helden aus dem US-Spielfilm „Denn sie wissen nicht was sie tun“.

Der Regisseur Michael Haneke muss in ihm genau diesen Effekt erkannt haben, als er Giering 1997 im Film „Funny Games“ besetzte. Darin spielte Frank Giering einen höflichen Jungen, der sich mit einem Freund bei einer Familie nur ein paar Eier ausleihen will, dann aber anfängt, die Familie zu quälen. Die Figur des Killer-Peter hat ihn seitdem nie mehr richtig verlassen. „Der Film hatte so eine Wirkung“, erzählt er, „ich lebe heute noch davon. Wie ein Alien von seinem Raumschiff.“ Frank Giering – der Bösewicht? Kein Haudrauf-Typ, sondern ein unscheinbarer, lieber, netter Junge. Man traut ihm nichts zu, und er macht es trotzdem. Ob in „Der Mörder ist unter uns“, „Der Tote in der Mauer“ oder in Aelrun Goettes neuem Film „Keine Angst“: Keiner kann wie Frank Giering das Böse so spielen, dass man dabei nicht an das Gute glauben möchte. Das ist oft irreführend, enttäuschend und brillant zugleich.

1971 wurde Frank Giering in Magdeburg geboren. Seine Eltern arbeiteten dort im Betonwerk, das man nach der Wende abwickelte. Die Tante war im künstlerischen Betrieb des Theaters angestellt und fragte Frank eines Tages, ob er nicht Lust hätte, als Komparse in einem Stück aufzutreten. Da war er 17 Jahre alt und lief auf der Bühne durch eine Nebelwolke. Danach glaubte er, dass ihn die Leute aus der Vorstellung in der Straßenbahn wieder erkennen würden. „Ich hatte so eine Sucht wahrgenommen zu werden“, gesteht er, „die habe ich auch immer noch. Vermutlich ist die auch noch da, wenn ich zu Grabe getragen werde.“ Im Theater fühlte er sich wohl. Es war für ihn wie eine Spielwiese. Vor seinem Auftritt trank er rote Brause, aß Bockwurst und spielte Karten. Er beschloss, Schauspieler zu werden, ohne genau zu wissen was das bedeutet. „Für mich waren Schauspieler immer die, die da abends einfach spielen, tagsüber schlafen oder einkaufen, und abends wieder spielen, um dann in die Kantine zu gehen.“ Den Eignungstest an der Schauspielschule in Bochum hat er sofort bestanden.

Wenn Frank Giering von seiner Vergangenheit erzählt, fällt auf, wie sehr er an ihr festhält. Als die Mauer fiel, war er 18 Jahre alt. Er lebte in seinem Kinderzimmer in Magdeburg, bis er 29 wurde. Seine erste Wohnung ist die, die er zuerst besichtigt hat. Vor zehn Jahren ist er da eingezogen, ein Zimmer, 45 Quadratmeter. Sie liegt am Bahnhof Zoologischer Garten, Züge fahren von dort nach Magdeburg. Regelmäßig besucht er seine Eltern. Man könnte ihn als Muttersöhnchen bezeichnen. Möglicherweise aber auch ist das ein Ausdruck von Dankbarkeit. Oder von Bindung. „Immer, wenn ich in Magdeburg am Bahnhof ankomme, habe ich einen bestimmten Geruch in der Nase. Das ist für mich Heimat.“

Nach einem Jahr Schauspielstudium in Bochum hat er an die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg gewechselt. Dort blieb er bis zu seinem ersten Engagement 1994. Er hat das Studium nie beendet. Auch weil sich seine Vorstellungen dort nicht verwirklichen konnten. „Ich wollte einfach nur spielen, dass es allerdings so ernsthaft zuging, mit Zweit- und Drittlektüre war mir nicht klar gewesen. Immer musste ich mich entwickeln, mein Zentrum suchen, es gab komische Übungen, die ich nicht kapiert habe.“ Einmal sollte er im Pantomimeunterricht den psychologischen Gestus eines Steins aus dem 18. Jahrhundert darstellen. Er hat sich dann hingestellt und es irgendwie versucht. Der Mentor fragte: „Was soll das denn?“

Frank Giering glaubt, dass man Empfinden in der Schauspielerei nicht lernen kann. Man muss den Schmerz, die Melancholie oder die Traurigkeit spüren. Er liebt das leise Geräusch der Kamera, wenn sie auf ihn gerichtet ist, um seine Stimmung einzufangen. Auf diese Weise hat er viele Filme gedreht. „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“, „Absolute Giganten“ oder „Baader“. Der Film „Keine Angst“ wird am 10. März in der ARD gezeigt. Er erzählt eine Romeo-und-Julia-Geschichte der neuen Zeit. Von einer Teenagerliebe im sozialen Brennpunkt des Plattenbaus und von dessen Bewohnern. Thomas, gespielt von Frank Giering, ist einer davon, ein Macho, dem der Boden unter den Füßen fehlt und der mit seiner Angel zwischen den alleinerziehenden Müttern und deren Betten hin- und herwandert. Bier trinkend und nutzlos, wütend und brutal. Für den extrem harmoniesüchtigen Schauspieler ist das wieder eine Herausforderung: Der Stoff hat ihn so sehr mitgenommen, dass er sich den Film bisher noch nicht anschauen konnte. Frank Giering könnte nie eine Fliege töten. Immer, wenn sein Vater mit der Fliegenklatsche kommt, pustet er sie vorher weg.

„Der Kriminalist“, Freitag,

ZDF, 20 Uhr 15

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