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Einen gebrochenen Vater spielte Fabian Hinrichs im „Tatort: Borowski und die heile Welt“ – und wurde für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Foto: NDR/Marion von der Mehden

© NDR/Marion von der Mehden

Porträt: Der Verteidiger

Er studiert Politik, übt Freistöße, reißt seltsame Witze - und war als bester Nebendarsteller für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Ein Treffen mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs.

Für einen kurzen Moment hat Fabian Hinrichs sein Ziel aus den Augen verloren. Er läuft die Graefestraße in Berlin-Kreuzberg entlang, überall flackern die Bildschirme vor den Kneipen, die Luft ist warm und der Himmel blau. „Wir können uns hier hinsetzen“, sagt er an einer Stelle, geht dann aber weiter zum nächsten Etablissement. Im „Zitrone“, einem Eckrestaurant macht er schließlich halt. Es dauert ein wenig, dann haben wir den richtigen Platz gefunden, guter Blick zum Fernseher, aber nicht zu laut für das Gespräch. Fabian Hinrichs ist gern in Bewegung. „Der Mensch“, sagt er, „war schon immer ein Savannen- und Steppenläufer. Ein Bürojob wäre nichts für mich.“

Gerade ist er aus einem Tonstudio gekommen, dort hat er zusammen mit der Schauspielerin Angela Winkler ein Hörspiel für das Museum Ludwig eingespielt. Ein anstrengender Job für den 1,90-Meter-Mann. Enger Raum, die ganze Zeit stehen, keine Gestik. Im Prinzip würde er jetzt lieber spazieren gehen, aber wir sind zum Fußballgucken verabredet. Im Achtelfinale treffen Spanien und Portugal aufeinander, Fabian Hinrichs tippt auf einen Sieg für Spanien. „Das ist schon eine interessante Mannschaft“, sagt er, „die setzen nicht auf Standards sondern wollen immer die Bälle ins Tor tragen.“ Man merkt, hier hat einer Ahnung. Fabian Hinrichs ist Schauspieler mit Vordiplom in Jura, derzeitiger Politikstudent, ehemaliges Fußballvereinsmitglied und Fußballfan. „Der Mensch ist das, was er aus sich macht“, sagt er und das ist so etwas wie seine Lebensformel. Hinrichs ist wie ein Chamäleon – er lebt von Veränderung.

Im Fernsehen hat er einen pädophilen Lehrer („Bloch: Der Kinderfreund“) und einen Ex-Knacki („Tatort: Borowski und die heile Welt“) gespielt. In dem Film „66/67 - Fairplay war gestern“ trat er als Anführer eines Fanclubs von Eintracht Braunschweig auf. Für seine Rolle des ausgeflippten Bankers Frederick Feinermann in „Schwerkraft“ hat er in diesem Jahr beim Filmfestival Max Ophüls den Sonderpreis Schauspiel bekommen. Er ist 35, aber er sieht viel jünger aus. „Das liegt an meinem Milchgesicht“, sagt er, „die Pausbacken habe ich von meiner Mama.“ So fällt er in den Politik-Seminaren, die er neuerdings an der Freien Universität besucht, gar nicht auf. Locker könnte er als Mittzwanziger durchgehen. Er trägt eine blaue kurze Hose, Birkenstocksandalen und ärmelloses Shirt. Ein Stoffbeutel mit Unterlagen rundet die studentische Erscheinung ab. Zu seinem Gesicht mit den tief liegenden Augen könnte noch eine Brille passen. Aber Fabian Hinrichs hat gute Augen.

„Ich lasse es mal richtig krachen“, gibt er seine Bestellung bei der Kellnerin auf, „ich nehme ein großes, stilles Wasser.“ Solche Scherze mag er gerne. Deshalb sollte man vielleicht auch nicht alles ernst nehmen, was Fabian Hinrichs erzählt. Als vor dem Spiel die ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein und ZDF-Fußballexperte Oliver Kahn auf dem Bildschirm erscheinen, sagt er überzeugt: „Die haben was miteinander. Das sehe ich doch, zwischen denen läuft was. Vorstellen möchte ich mir das aber nicht.“

Im letzten Jahr wurde er für den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie „Bester Schauspieler Nebenrolle“ nominiert. In dem „Tatort: Borowski und die heile Welt“ spielte er einen gebrochenen Vater, dessen Schweigen ihn verdächtig macht, seine Tochter umgebracht zu haben. Auf die Frage, wie er von seiner Nominierung erfahren habe, antwortete er damals: „Ich befand mich gerade nackt, Nietzsches ,Ecce Homo’-lesend, auf dem Standstreifen der AVUS Höhe Ausfahrt Kaiserdamm.“ An die Worte erinnern kann er sich nicht mehr. „Das habe ich gesagt?“, fragt er, „ist doch witzig oder?“

Im Spiel Spanien-Portugal steht es nach einer halben Stunde immer noch 0:0. „Die Mannschaften scheinen sich zu neutralisieren“, sagt Fabian Hinrichs, „aber ich denke, ein Tor wird schon noch fallen.“

1974 wurde Fabian Hinrichs in Hamburg geboren. Mit sechs Jahren trat er in den Turn- und Sportverein Berne ein, der Name eines Hamburger Stadtbezirks. Dort spielte er Fußball, zwei Mal die Woche, am Wochenende Turniere. Er war Verteidiger und rechter Mittelfeldspieler. „Ich war auf der Position ganz glücklich“, erzählt er. „Ich war ja kein Maradona, der sich mit seiner Körpergröße leicht drehen konnte. Mit meinen langen Gliedmaßen hätte ich mich als Stürmer bestimmt ständig verletzt.“ Manchmal schoss er ein Tor. Gab es davon Filmaufnahmen, schaute er sie sich immer wieder an. Sein Vater, dienstältester Polizist Hamburgs, stand oft am Spielfeldrand. Er verhielt sich ruhig, während andere Eltern ihre Kinder anbrüllten. Der Vater des Vorstoppers hatte einmal seinen Sohn so heruntergeputzt, dass ihm die Tränen kamen. Vielleicht kommt daher auch Hinrichs Abneigung, dass jemand ihm sagt, was er zu tun hat. Das ist auch im Job so. „Ich schreie ja auch keinen an oder sage ihm, was er machen soll. Ein guter Partner ist der, der mir nichts vorgibt.“

In dem Regisseur René Pollesch hat er so einen Partner gefunden. Zusammen mit ihm inszenierte er das Theaterstück „Der perfekte Tag“, das vorgestern seine Berlin-Premiere feierte. In dem Stück geht es um die 100 wichtigsten Erfindungen der Menschheit, vom Faustkeil bis zum 3D-Drucker, die Fabian Hinrichs aufzählt und mit seinem Körper zu illustrieren versucht. Am Ende der Vorstellung setzt er mit der Nummer 101 noch eine Erfindung drauf - den „Perfekten Tag“.

„Dieser gehört für mich genauso dazu, weil es ihn ja eigentlich gar nicht gibt“, erklärt er. „Gestern war der Tag für mich zum Beispiel furchtbar, heute ist er besser, aber was macht einen Tag perfekt?“

Elf Jahre lang hat Fabian Hinrichs im Turn- und Sportverein Berne gespielt. Der Fußball hat ihn geprägt. Er hat ein paar Knieoperationen hinter sich, Innenbandrisse und Meniskusverletzungen. Er war oft im Hamburger Volksparkstadion, das Symbol der Raute und die Farben von Blau-Weiß-Schwarz sind ihm vertraut. Die Namen der früheren Spieler des Hamburger Sportvereins kann er immer noch aufzählen. Hat Fußball seinen Willen gestärkt? „Mir hat das ganz gut getan, der Mannschaftssport. Ich denke aber eher, dass man gelernt hat, seinen Willen aufzugeben. Man kann ja im Fußball nicht immer nur an sich denken, sondern auch an seine Mitspieler.“ Das klingt etwas merkwürdig aus dem Mund eines Mannes, der in seiner Schulzeit in einer Theatergruppe mit dem Namen „Die Egozentriker“ mitwirkte. Der im Zug lieber 1. Klasse fährt, damit ihn keiner stört. Schwer zu glauben, dass einer wie Fabian Hinrichs sich unterordnet. Er sagt, dass er mit den meisten Menschen nichts teilen könne. Er sei zwar freundlich, aber auf einer Art „Verwaltungsebene“. Das hört sich streng an, aber so ist er auch sich selbst gegenüber. Als er vor sieben Jahren Pfeiffersches Drüsenfieber bekam, hat er aufgehört zu rauchen. Für ihn, der sich zuvor nachts, wenn er aufwachte, eine anzündete und selbst während der Kinovorführung rausging um zu paffen, muss das eine Herausforderung gewesen sein.

In der zweiten Halbzeit fällt das 1:0 für Spanien. Fabian Hinrichs klatscht laut in die Hände und ruft „Villa“. So heißt der Torschütze. Normalerweise würde er nach so einem Tor jemanden umarmen. Wie Lars, bei dem er samstags immer die Bundesliga-Spiele guckt. Er sagt über sich, dass er ein körperlicher Typ sei. Manchmal übt er im Sommer allein auf den Fußballplatz zwei Stunden lang Freistöße. Dann sucht er sich einen Punkt, den er genau treffen will und probiert verschiedene Techniken aus. Spann, Außenriss, Seitenriss. „Du bist der beste Verteidiger Hamburgs“, hatte ihn früher mal ein Sportbetreuer gelobt. Fabian Hinrichs wusste, dass das nicht stimmte. Aber er hat es gerne gehört.

„Der perfekte Tag“, Volksbühne Open Air, Altes Bahngelände Granitzstraße, Pankow, Sonntag, 21 Uhr, am 9. Juli, 21 Uhr 30

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