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Auf Recherche. n-tv-Reporter Constantin Schreiber interviewt eine Frau in einem Flüchtlingslager im Libanon.

© n-tv

Porträt von Constantin Schreiber: Der Shooting-Star

Reporter, Bestsellerautor, Grimme-Preisträger: Constantin Schreibers Wege zum Erfolg. Jetzt freut sich der Journalist aber erst einmal auf etwas, was er 14 Jahre lang nicht gemacht hat.

Manchmal kann Constantin Schreiber selbst kaum glauben, was in den vergangenen 18 Monaten alles passiert ist. In dieser Zeit wurde aus einem talentierten Journalisten, der als einer von vielen die Nachrichten auf n-tv moderiert, einer der Shootingstars der Fernsehbranche – und außerdem Bestsellerautor, Kolumnist, Talkshowgast, Gründer eines Menschenrechtspreises und nicht zuletzt Grimme-Preisträger.

Zudem wurde der 37-Jährige auch zum ersten Mal Vater. „Ja, die letzten eineinhalb Jahre waren ganz schön aufregend, aber auch kräfteraubend“, sagt er. Wenig Schlaf, kein Urlaub, pendeln zwischen dem Nachrichtenstudio in Köln und Berlin, wo er seine Sendung „Marhaba“ produziert und seine Familie lebt, Reportagereisen durch die Republik und ins Ausland, Lesereisen. „Das ging manchmal schon an die Grenze dessen, was man leisten und aushalten kann", sagt er und klingt wie jemand, der gerade einen Super-Ironman absolviert hat: ziemlich erschöpft, aber glücklich.

Begonnen hat alles Ende Januar 2015. Da traf er sich mit seiner Verlegerin, um über ein neues Buchprojekt zu sprechen. Damals ging der Fall des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi durch die Medien, der 2012 wegen kritischer Äußerungen in seinem Blog „Freie saudische Liberale“ zu zehn Jahren Gefängnis und tausend Peitschenhieben verurteilt worden war.

Constantin Schreiber, der viele Jahre in Syrien, Libanon und Dubai gelebt und für die libanesische Tageszeitung „Daily Star“ sowie für das ZDF, Arte und die Deutsche Welle gearbeitet hat, spricht perfekt Arabisch. Das spricht er so gut, dass er im ägyptischen Fernsehsender ONtv seit 2012 eine monatliche Wissenschaftssendung moderiert, mit der er im arabischen Raum ein Millionenpublikum erreicht. Und so fragte ihn die Verlegerin, ob er nicht mal herausfinden könne, was dieser Badawi denn eigentlich geschrieben habe, vielleicht könne man daraus ja ein Buch machen?

„Ich mache das Buch mit dir.“

Schreiber begab sich auf Recherche und durchforstete das Internet nach Badawis Texten. Aber außer ein paar knappen Zitaten, die der „Guardian“ abgedruckt hatte, fand er nichts. Die Saudis hatten Badawis Blog komplett gelöscht. Das weckte Schreibers journalistischen Ehrgeiz; über mehrere Ecken nahm er Kontakt zu Badawis Ehefrau Ensaf Haidar auf, die nach der Verhaftung ihres Mannes mit ihren drei kleinen Kindern nach Kanada geflohen war.

Zu jener Zeit hatte sie schon Anfragen von mehreren Verlagen erhalten, die sich für die Geschichte ihres Mannes interessierten. Aber der junge Deutsche war der Einzige, mit dem sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten konnte, das schuf Vertrauen. Nach ein paar Telefonaten sagte sie: „Ich mache das Buch mit dir.“

Unter abenteuerlichen Umständen wurde dann ein Text Badawis aus dem Gefängnis geschmuggelt, der die Grundlage für Schreibers Buch ergab: „1000 Peitschenhiebe. Weil ich sage, was ich denke“. Es war die erste Äußerung Badawis nach drei Jahren, und es war eine Sensation. Als das Buch erschien, stand Schreibers Telefon nicht mehr still. Alle wollten Interviews. Der Text wurde weltweit publiziert, das Buch in Dutzende Sprachen übersetzt und war in mehreren Ländern ein Bestseller.

Die Einnahmen gehen komplett an Badawis Familie, um deren Leben und den Kampf für die Freilassung des Bloggers zu finanzieren. Gemeinsam mit Ensaf Haidar rief Schreiber den Raif Badawi-Preis ins Leben, einen Menschenrechtspreis für couragierte Journalisten, der im November 2015 erstmals an den marokkanischen Journalisten Ali Anouzla vergeben wurde.

Das Buch, sagt er rückblickend, war eines von zwei magischen Momenten dieser letzten 18 Monate, da merkte er, „jetzt passiert was“. Der zweite Moment war, als ihm im Spätsommer 2015 die Idee zu „Marhaba“ kam, einer kurzen, fünfminütigen Videoreihe, die zuerst nur online zu sehen war. In den Clips, die er im Alleingang produziert, erklärt er Neuankömmlingen aus dem arabischen Raum in ihrer Muttersprache, wie Deutschland so „funktioniert“.

Dass man sich hier auf der Straße küsst, dass Homosexualität nicht verboten ist, Frauen dieselben Rechte haben wie Männer und Deutsche gerne Hunde halten. Die Sendung hatte in den sozialen Netzwerken – vor allem auf Facebook – einen derart großen Erfolg, dass n-tv sie bald ins reguläre Programm aufnahm. Krönung war im März 2016 die Auszeichnung mit dem Grimme-Preis in der Kategorie Information.

Er würde die Islamisierung Deutschlands vorantreiben

Seit „Marhaba“, das Schreiber zu dem Buch „Marhaba, Flüchtling!“ verarbeitet hat, gilt er als Experte für alles Arabische: In der „FAZ“ analysiert er regelmäßig Reaktionen arabischer Medien, er hat eine Kolumne auf Zeit online. Aber „Marhaba“ setzte Schreiber auch einem Shitstorm und persönlichen Bedrohungen aus: Er würde die Islamisierung Deutschlands vorantreiben.

„Die haben meine Sendung nicht verstanden oder haben sie wahrscheinlich noch nie gesehen“, sagt er achselzuckend. „Wenn ich Deutschland islamisieren wollte, würde ich doch den Deutschen auf Deutsch den Islam erklären, aber ich mache das Gegenteil. Ich versuche, den Neuankömmlingen zu erklären, was wir von ihnen erwarten.“

Seit Anfang Juni hat er auf n-tv eine neue Sendung, die sogar seinen Namen trägt: „Schreiber vor Ort“. Darin geht er „aktuellen Themen und brisanten Problemstellungen auf den Grund, die Bürger und Politiker gleichermaßen beschäftigen“, heißt es in einer n-tv-Mitteilung. Von September an sind zu wichtigen Themen, Anlässen und Ereignissen in loser Folge neue Episoden geplant. Auch wenn der Sendeplatz mit Donnerstag um 17 Uhr 10 besser sein könnte, ist es für Schreiber eine Chance, aus der Flüchtlingsecke herauszukommen und zu zeigen, dass er auch etwas anderes kann – und etwas anderes will.

Für die letzte Ausgabe vor der Sommerpause konnte Schreiber Regierungssprecher Steffen Seibert gewinnen, mit dem er am Freitag ab 13 Uhr 15 online über neue Regeln für das Ankommen in Deutschland spricht. Danach macht er erst einmal Urlaub, vier Wochen am Stück, „das hatte ich seit Ende meines Studiums vor 14 Jahren nicht“.

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