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Fernglas statt Computer. Jonathan Franzen erspäht einen Präriefalken. Foto: Arte

© doc.station

Porträt: Zuflucht vor dem Lärm

„Das würde ich mir als Tattoo stechen lassen." Ein paar Tage an der Seite des nicht gerade medienaffinen amerikanischen Groß-Schriftstellers und Vogelbeobachters Jonathan Franzen.

Es dürfte die Hamburger Filmautorin Marion Kollbach Mühe gekostet haben, den nicht gerade medienaffinen amerikanischen Schriftsteller Jonathan Franzen für dieses filmische Porträt zu gewinnen. Mehrere Tage hat sie ihn auf einer Lesetour in den Staaten anlässlich der Taschenbuchveröffentlichung seines Romans „Freiheit“ begleitet, und gleich zu Beginn, noch in New York City, wo Franzen die Hälfte des Jahres lebt und arbeitet, spöttelt der Autor, wie aufregend es sein müsse, einen Schriftsteller auf dem Weg ins Büro zu filmen. Wie ein Hinweis, auf diese Fragen bitte zu verzichten, klingt später die Aufzählung der Fragen, die er nicht mehr hören kann, unter anderem: Was ist Freiheit? Wie hat sich Amerika nach dem 11.9. 2001 verändert? Alles Fragen, die in „Fünf Tage mit Jonathan Franzen“ nicht gestellt werden. Am Ende konstatiert er: „Sie sind ja sehr freundlich, aber nächstes Mal würde ich es anders machen. Mir sind meine freien, ruhigen Momente einfach zu kostbar.“

Trotzdem ist Franzen im Verlauf des einstündigen Films sehr auskunftsbereit. Da zeigt sich der Titelheld des „Time“-Magazine aus dem August 2010 („The Great American Novelist“) als die „mediale Begabung“, zu der er sich laut seinem deutschen Verleger Alexander Fest entwickelt hat: unterhaltsam, schlagfertig, klug seine Schreibarbeit reflektierend. Oder die Aufgaben eines Romans überhaupt benennend: „Zuflucht vor dem Lärm, Nahrung statt appetithemmender Stimulanzien, Bedeutungsträger in einem Meer von Daten.“

Zudem hat Franzen Kollbach erlaubt, ihn bei seiner zweiten großen Leidenschaft zu begleiten. Der 53-Jährige ist seit 1999, seit dem Tod seiner Mutter, ein passionierter Vogelbeobachter. Während seiner beruflichen Reisen nimmt er sich stets Zeit dafür – und hat deshalb, wie er in dem autobiografischen Buch „Unruhezone“ schreibt, seine 400 nordamerikanischen Vogelarten lange beisammen. Dieses Mal erspäht er einen Präriefalken, eine Einsiedlerdrossel und einen Buschzaunkönig („toller Vogel“). Dem Hinweis, dass die Natur etwas Existentielles habe, sie stärker als wir Menschen sei, begegnet Franzen einmal mehr mit freundlichem Spott: „Sie klingen da sehr deutsch“, sagt er auf Deutsch und erklärt, kein mystisches Verhältnis zur Natur zu haben: „Ich bin ein Bewohner der modernen Welt und lebe gern in Städten.“

Kollbachs Film ist ein ergiebiges Porträt: mit Einschätzungen von Freunden wie den Schriftstellern Jeffrey Eugenides und David Means, mit einem ausverkauften Auftritt Franzens in Denver, wo er sein Publikum trotz Müdigkeit unterhält, oder in Bill Mahers HBO-Politcomedy, wo er sich von seiner politisch-korrekten Seite zeigt. Und mit Erinnerungen Franzens an seinen Freund David Foster Wallace, der sich 2008 das Leben nahm, sowie an seinen Vater, der 1995 starb und für den das Schreiben nur im Fall einer „Time“-Titelgeschichte lohnte.

Franzen macht dann selbst noch das Home-Story-Spielchen mit (auch wenn es nur sein Büro ist), zeigt seinen Schreibsessel und Erinnerungsstücke: eine Schaufel seines Vaters, einen Tennisschläger von David Foster Wallace und das letzte Autonummernschild der Eltern mit dem Missouri-Motto: „Show-Me-State“. Ein gutes Motto, wie Jonathan Franzen findet, „das würde ich mir als Tattoo stechen lassen“. Ein typischer Franzen-Witz, vielleicht sein Kommentar zu Porträts wie diesen.

„Fünf Tage mit Jonathan Franzen“,

22 Uhr 10, Arte

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