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Deutschland, einig Teppichland. Wenn irgendwo der rote Belag ausgerollt wird, dann ist die nächste Fernsehpreis-Verleihung nicht fern. Es wird gescherzt und geherzt, Trophäen werden verteilt, vornehm perlt der Champagner. Foto: Rolf Vennenbernd pa/dpa

© picture-alliance/ dpa

Preissturz: Alles außer: Tiernahrung

Die Fernsehpreise sind des Fernsehpreises Tod. Wehe, wenn dann noch das Fernsehen übertragen will. Was noch fehlt, ist ein Preis für die beste Preisverleihung.

Winterzeit ist Preiszeit. Preisverleihungen jedweden Anlasses und Anspruches werden im Rennen um die Zuschauergunst in die winterliche Fernsehlandschaft befördert. Ob Deutscher Fernsehpreis, Deutscher Comedypreis, Deutscher Radiopreis, ob Corine, Bambi, Faust, ob Stuttgarter Besen oder Europäischer Filmpreis, zur Hauptsaison herrscht drangvolle Enge auf der Senderpiste. Die Regeln versteht oftmals kein Mensch, wer das alles gucken soll, weiß niemand, und ob beim Slalom um die Fettnäpfchen der Preis mit dem Fernsehen wedelt oder umgekehrt, darum wird zur Zeit heftig gerungen.

Am Anfang zahlreicher Preisverleihungen stand das Prinzip Kindergeburtstag: Man hat jemand sehr lieb, der einem sehr nahesteht und möchte ihm eine Freude machen. Man lädt Gäste ein, spielt ein paar Spiele und macht ein paar Fotos. Es gibt etwas Leckeres zu essen und zu trinken, alle singen „Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst“ und ab und zu legt der Patenonkel ein wenig Geld zur freien Verwendung auf den Gabentisch.

Der zweite Ausgangspunkt modernen Preiswesens ist das Prinzip Incentive: Man möchte etwas verkaufen, das einem sehr teuer ist und will es bestmöglich positionieren. Man zieht die Spendierhosen an, lädt Multiplikatoren ein, hält Reden auf sich selbst und sein Produkt und den besten Verkäufer, die auf Großbild übertragen werden und lässt jemand für viel Geld singen, im Zweifel die „Weather Girls“.

Ob es sich also um den eher familiär gestrickten Veranstaltertyp wie die Deutsche und Europäische Filmakademie oder das Adolf Grimme Institut oder den merkantil motivierten wie Hubert Burda Media, Springer und die Deutsche Phono-Akademie. Auf die Formel des Veranstaltungsmarketings gebracht gilt für beide Varianten: Entertainment plus Emotion = Event. Und damit sind wir beim Fernsehen und seinem Bedarf an eben genau jenem Vitamin E3. Feiernde Menschen, weinende Menschen, singende Menschen, sponsernde Menschen und das alles möglichst berühmt, berührend als planungssichere Auftragsproduktion. Dem eierlegenden Wollmilch-Incentive kommen der Bambi mit bis zu acht und die Goldene Kamera mit über fünf Millionen Fernsehzuschauern am nächsten. Mit Preisentscheidungen entlang der Verfügbarkeit internationaler Prominenz, der Crosspromotion mit hauseigenen Medien und Dankbarkeit handzahmer Preisträger erwirbt und verteidigt man Primetime-Sendeplätze. So weit, so schlüssig.

Wenn da nicht das verflixte A-Wort wäre. „A“ wie Anspruch. Den Anspruch, den Veranstalter darauf erheben, einen Anspruch haben zu dürfen. Den auf Randständiges, Erfolgloses, Wütendes, Unbekanntes zum Beispiel. Beim Modell Incentive wird das in der Regel mit einem Nachwuchspreis abgearbeitet. Ein junger Mensch ahnt von nichts, darf ungestylt und stotternd als possierliche Zwischeneinlage auf die ansonsten stargespickte Bühne.

Beim Modell Kindergeburtstag kann ungleich mehr schiefgehen, wie das Fernsehen ausgerechnet dann feststellen muss, wenn es sich um die eigene Familie handelt, beim Deutschen Fernsehpreis also. Wie Eltern Pubertierender kann und will das Fernsehen nicht verstehen, dass sie mit dem Besten für ihr Kind oft nur das Beste für sich selbst meinen. Wovon also das TV-Format Preisverleihung profitiert, darunter leidet nicht selten der Preisträger, der sich keine drei E für sein A vormachen lassen will. Der also, obwohl er zum Beispiel ein Cutter ist, sich weder, wie vor einigen Jahren geschehen, vom Frisör Udo Walz für den „besten Schnitt“, noch, wie in diesem Jahr, sich gar nicht öffentlich auszeichnen lassen will.

Die Unsichtbaren wollen gesehen werden, die Sichtbaren hingegen oft gar nicht so dringend geehrt werden. Darstellerpreise etwa werden von Agenten und Klienten, nicht immer grundlos, als Besetzungsgift gefürchtet. Und Marcel Reich-Ranickis längst legendäre Ehrenpreis-Zurückweisung hat die Erkenntnis hoffähig gemacht, nach der ein Preis keine Zuwendung sondern eine Zumutung darstellt, wenn das Umfeld nicht stimmt. Der Zuschauer selbst darf in letzter Zeit nur mehr über seine Selber-schuld-wenn-wir’s-kucken-Preise abstimmen, wie gerade beim Deutschen Fernsehpreis über die „Kategorie“ beste tägliche Serie.

Das Paradox ist so hausgemacht wie strukturell: Die Inszenierung vernichtet das zu Inszenierende. Wer mit seinem Preis ins Fernsehen will – und das wollen am Ende ja doch die meisten – wird immer Gegenstand einer doppelten Übertragung, der technischen wie der Übertragung der Senderbedürfnisse auf die Veranstaltung. Der Sender formatiert im Namen des Zuschauers, der Preisverleihungen nur dann anschaut, wenn ihm alles bekannt vorkommt. Thomas Gottschalk moderiert deswegen alle Galas im Zweiten, den Rest moderiert Barbara Schöneberger (im vergangenen Jahr innerhalb weniger Wochen den Echo, den Adolf Grimme Preis und den Deutschen Filmpreis).

Und ewig raunt es: „Oscar“. Keine Besprechung zu keinem Preis, an dem nicht irgendwer die spektakulärste Preisverleihung der Welt im Munde führt, aber auf dem Weg vom Kodak Theatre in Los Angeles zum roten Teppich etwa am Stadttheater Marl bleibt doch eine ganze Menge Glamour auf der Strecke.

Und das muss ja gar nicht einmal schlimm sein. Professionalität hat viele Gesichter. Sie kann und muss auch darin bestehen, gezielt Unprofessionalität zuzulassen, indem sie der Formatierung ausweicht. Dann aber nicht zur Primetime, nicht im Privatfernsehen, vielleicht gar nicht mehr in den alten Medien, ohne roten Teppich, gekaufte Laudatoren, fremd getextete Danksagungen, Dankbarkeit heischende Sponsoren und allmählich ausgehende Ehrenpreisträger. Preisverleihung unplugged, mindestens aber runtergeregelt. Der Rest vom Fest geht den Gang allen Formatfernsehens: Von der Kopie zur Kopie der Kopie in die Erschöpfung mit Ausnahme der Ausnahme.

Längst ist die Preisverleihung ein eigenes Programmgenre und sicher wird es über kurz oder lang beim Deutschen Fernsehpreis eine Preiskategorie für die beste Preisverleihung und die zehn emotionalsten Preismomente mit Sonja Zietlow bei RTL geben. „Upps die Superpannenshow“ widmet sich den Ausfällen. Und zu guter Letzt gönnt man sich dann noch eine eigene Verleihung, den PreisPreis auf Sat 1.

Bloßes Motzen jedenfalls ist nicht weniger wohlfeil als bloßes Mauern. Am Ende zahlt jeder einen Preis, für den Preis, den er aus- und anrichtet, den er annimmt und ausschlägt, den er über- oder unterspielt. Er sollte ihn für bare Münze nehmen, in eigener Währung zahlen und den Oscar in Los Angeles lassen.

Die Autorin ist Inhaberin der Künstler- und Veranstaltungsagentur Barbarella Entertainment.

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