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Der Titel der Zeitung „Özgür Gündem“ heißt übersetzt „Freie Tagesordnung“. Zu dieser Tagesordnung gehörte in der Vergangenheit aber auch, dass Mitarbeiter des Blattes ständig um ihr Leben bangen mussten.

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Presse-Freiheit: Mit Todesmut

Gefährlicher Job: Die pro-kurdische Zeitung "Özgür Gündem" wagt einen Neuanfang in der Türkei.

Es gab eine Zeit, da gehörte tatsächlich Todesmut dazu, für die Tageszeitung „Özgür Gündem“ in der Türkei zu arbeiten. Nur sieben Tage nach dem ersten Erscheinen des Blattes im Mai 1992 wurde der erste Reporter von „Gündem“ ermordet. Bis die Zeitung zwei Jahre später wegen Nähe zu den kurdischen PKK-Rebellen verboten wurde, starben mehr als 70 Mitarbeiter. Selbst Zeitungsjungen wurden erschossen. Die Mörder kamen vermutlich aus den Reihen der türkischen Sicherheitskräfte, die damals einen schmutzigen Krieg gegen die PKK und deren mutmaßliche Anhänger führten. Nun, 17 Jahre nach ihrem Verbot, ist „Özgür Gündem“ an die Kioske zurückgekehrt.

Wer bei „Özgür Gündem“ (Freie Tagesordnung) den Terror der Sicherheitskräfte überlebte, bekam den Druck der Justiz zu spüren. Mitarbeiter der Zeitung wurden zu insgesamt 147 Jahren Haft verurteilt, dazu gab es Geldstrafen. Bis zum endgültigen Aus wurde „Özgür Gündem“ zwanzig Mal vorübergehend verboten. Kioskbesitzer mit „Özgür Gündem“ im Angebot mussten damit rechnen, dass ihr Stand plötzlich in Flammen aufging.

Und die Politik applaudierte. „Das sind Gewalttäter im Gewand von Journalisten“, sagte der damalige Ministerpräsident Süleyman Demirel. Die vielen Morde kommentierte Demirel abfällig mit den Worten: „Die knallen sich doch gegenseitig ab.“ Erst in Folge der politischen Reformen im Rahmen ihrer EU-Bewerbung macht sich die Türkei heute daran, staatliche Verbrechen der damaligen Zeit aufzuarbeiten. Auch für „Özgür Gündem“ war es ein weiter Weg. Nach dem Verbot wurde das Blatt unter verschiedenen Namen immer wieder neu belebt. „Wir machen seit 21 Jahren Zeitung“, sagte Chefredakteur Hüseyin Aykol, der sich seine Funktion mit der Menschenrechtsaktivistin Eren Keskin teilt, dem türkischen Nachrichtensender NTV.

So schlimm wie früher seien die Bedingungen nicht mehr, sagte Aykol – wobei „Verbesserung“ ein relativer Begriff ist: „In den letzten Jahren ist nur einer unserer Leute umgebracht worden“, sagte Aykol, ohne eine Miene zu verziehen. Rund 30 Mitarbeiter der Zeitung säßen im Gefängnis. Umsonst seien die Opfer jedoch nicht gewesen, meint der Chefredakteur. „Wenn man heute das Wort ,Kurdistan‘ öffentlich aussprechen kann und offen über das Kurdenproblem reden kann, dann hat das sicher mit dem Preis zu tun, den wir bezahlt haben.“ Es freue ihn, wenn heute auch die etablierten Medien die Kurdenfrage freier thematisieren könnten.

„Özgür Gündem“ ist aber nach wie vor anders als andere türkische Medien. Die Berichterstattung der Zeitung kreist um die Kurdenfrage und Ereignisse im Kurdengebiet. „Gündem“ benutzt kurdische Namen für Städte und Dörfer in Südostanatolien und setzt die offiziellen türkischen Bezeichnungen in Klammern dahinter. PKK-Kämpfer werden nicht als Terroristen tituliert, wie das bei Mainstream-Medien üblich ist, sondern als „HPG-Mitglieder“; die kurdische Abkürzung steht für „Volksverteidigungskräfte“. Auf der Fernsehseite stehen Hinweise auf Sendungen des PKK-nahen Satellitensenders „Roj-TV“ an prominenter Stelle. Es wäre deshalb nicht überraschend, wenn „Özgür Gündem“ schon bald neue Scherereien mit den Behörden bekäme. Viel öffentliche Aufmerksamkeit ist „Gündem“ jedenfalls sicher, selbst einen Spielfilm über das Blatt gibt es.

Der Streifen „Press“ von Regisseur Sedat Yilmaz erzählt die Geschichte der „Gündem“-Vertretung in der kurdischen Großstadt Diyarbakir in den dunklen Jahren des Kurdenkrieges in den 1990ern. Bei den Dreharbeiten erlebte das Filmteam, dass die Erinnerung an die Kriegszeiten noch frisch ist, wie Yilmaz jetzt im Fernsehen berichtete. Die Polizei schaute den Filmleuten über die Schulter und suchte am Set ständig nach Exemplaren von „Özgür Gündem“ – um sie beschlagnahmen zu können.

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