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Freitag

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Presse: Von Blüten und Bloggern

Jakob Augstein bringt die Wochenzeitung "Freitag" neu heraus – und will Leser zu Autoren machen.

In seinem Garten in Zehlendorf zupft Jakob Augstein gerne Unkraut, setzt neue Pflanzen und Blumen, pflegt und hegt sie, bis sie in voller Blüte stehen. „Ein guter Gärtner ist geduldig“, sagt Augstein. Und hingebungsvoll. Beides muss der Sohn des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein jetzt so sehr sein wie selten zuvor, wenn er sich einem eher kränkelnden Gewächs in der deutschen Presselandschaft widmet: dem „Freitag“, der 1990 als linke Ost-West-Zeitung kurz nach der Wiedervereinigung aus der DDR-Kulturzeitung „Sonntag“ und der westdeutschen „Volkszeitung“ entstand. Einige Male war das Blatt kurz davor, eingestellt zu werden. Zwar wurde es durch Eigentümerwechsel gerettet, doch die Schulden stiegen weiter. Zuletzt verkaufte die Zeitung wöchentlich nur noch knapp 12 500 Exemplare.

Augstein will den „Freitag“ jetzt wieder zum Blühen bringen. Hatte sein Vater mit dem „Spiegel“ das publizistische Leitmedium des Landes gegründet, setzt Jakob Augstein nun als Verleger der Wochenzeitung seinen eigenen publizistischen Akzent – keinen kleinen: Der „Freitag“ soll „das Meinungsmedium“ sein, so steht es zumindest groß im Titel. Wenn die Zeitung ab diesem Donnerstag in ihrer neuer Form zum ersten Mal erscheint, wird sich zeigen, ob das gelingt. Um überhaupt zu überleben, muss der „Freitag“ sehr viel stärker als zuvor auffallen. Deshalb hat Augstein die Zeitung, nachdem er sie im Mai 2008 kaufte, kräftig umgekrempelt. Philip Grassmann, vorher Journalist im Berliner Büro der „Süddeutschen Zeitung“, wurde Chefredakteur. Die zehnköpfige Redaktion, die in Berlin inzwischen am Hegelplatz in einem renovierten Dachgeschoss gleich um die Ecke von Angela Merkels Privatwohnung sitzt, wurde um 20 Journalisten aufgestockt.

Sie alle arbeiten an einer Zeitung, wie es sie in der deutschen Presselandschaft bisher noch nicht gegeben haben soll. Leser sollen ihre Meinung nicht nur auf der Internetseite www.freitag.de und in Leserbriefen äußern, sondern können auch als Autoren im Blatt tätig werden. Leser, Blogger und Redaktion bewerten die Beiträge auf der Internetseite. Die besten finden ihren Weg in die Printausgabe – und werden dafür sogar, allerdings mit einem Zeilenhonorar von deutlich unter einem Euro, bezahlt. „Der ,Freitag’ wird damit zu einem Medium, das Print und Online vollständig integriert“, sagt Augstein. Dadurch soll nicht nur die Leser-Blatt-Bindung gefördert werden, sondern auch die Qualität der Zeitung.

Dass die meisten Leser aber eine Zeitung gerade deshalb kaufen, weil diese die Informationsflut für sie bündelt, indem sie Nachrichten auswählt und im Weltgeschehen einordnet, sieht Augstein nicht als Hindernis für sein neues Konzept. Auch glaubt der Verleger nicht, dass sich im leserinternen Wettbewerb am Ende eher Krawallmacher durchsetzen werden. Augstein hofft auf einen sachlichen und interessierten Austausch von Argumenten. „Der ,Freitag’ wird ja nicht zum Schwarzen Brett. Die Redaktion behält die Oberhand, wir treten aber in einen sehr viel stärkeren Meinungsaustausch mit unseren Lesern als zuvor.“

Damit es nicht zur Verwechslung kommt, sind die Beiträge farbig gekennzeichnet: Blau steht für Redaktion, Rot für Inhalte, die aus dem Netz kommen. Nicht immer von Lesern, auch Blogger haben künftig einen festen Platz im „Freitag“. Vorbild ist der „Guardian“, der ebenfalls Print und Online eng verzahnt. Augstein hat mit dem britischen Blatt eine Kooperation abgeschlossen und übernimmt Texte daraus. Aus drei Büchern – Politik, Kultur und Alltag – setzt sich der „Freitag“ künftig zusammen, in der ersten Ausgabe gibt es beispielsweise ein Plädoyer für mehr Inflation und ein Interview mit Oscar-Gewinnerin Tilda Swinton. Regelmäßig werden bekannte Autoren Gastbeiträge im „Freitag“ schreiben.

Mit dieser Mischung soll eine „kritische, provokante, politische Zeitung jenseits des Mainstreams“ entstehen, sagt Augstein. Die Bezeichnung „links“ lässt er weg, obwohl sie seit der Gründung eng mit dem „Freitag“ verbunden ist. Es ist selbstverständlich für Augstein, dass der „Freitag“ gesellschaftskritisch ist und sich vor allem mit sozialen Fragen beschäftigt.

Augstein selbst hat lange Jahre als Journalist gearbeitet, erst bei der „Süddeutschen Zeitung“, später bei der „Zeit“. Zwischendurch kümmerte er sich um die Stiftung seines Vaters und kaufte den Verlag Rogner & Bernhard. Mit dem „Freitag“ ist er jetzt das erste Mal Herausgeber und Verleger und darüber „sehr glücklich“. Ob er etwas in herausgeberischer und journalistischer Hinsicht von seinem 2002 verstorbenen Vater gelernt hat, darüber spricht Jakob Augstein nicht. Mit dem „Spiegel“ ist er heute aber noch immer eng verbunden. In der Gesellschafterversammlung vertritt er die Erbengemeinschaft, die mit 24 Prozent Minderheitsgesellschafter am Verlag ist. „Für mich ist das ein Job“, sagt Augstein nüchtern. Dadurch habe er allerdings früh gelernt, wie ein Verlag funktioniert, von Papierkosten bis hin zum Personalwesen.

Ende 2007 und Anfang 2008 musste Augstein jedoch öfter als üblich nach Hamburg reisen, die Nachfolgersuche für Chefredakteur Stefan Aust verlief turbulent. Damals hätte Augstein kaum Zeit für den Neustart des „Freitag“ gehabt. Inzwischen ist die neue „Spiegel“-Doppelspitze mit Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo auf den Tag genau ein Jahr im Amt, in der Hamburger Brandstwiete scheint wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Augstein kann sich auf sein eigenes Blatt konzentrieren. Und auf seine Gartenkolumne, die er im „Freitag“ alle zwei Wochen schreiben wird.

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