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Bild-Leserreporter

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Promi-Jäger: Vorsicht, Paparazzi!

Mit den Foto-Handys kamen die Leserreporter. Bilanz einer umstrittenen Medienpraxis.

Neulich war Günther Beckstein schwimmen. Der bayerische Innenminister trug eine blaue Badehose, sein Bauch wölbte sich leicht darüber. Mehr als drei Millionen Menschen konnten das am vergangenen Montag sehen – dank Sarah O. Die junge Frau hatte Beckstein in einem Schwimmbad von Bad Reichenhall entdeckt, ließ sich gemeinsam mit ihm per Handy-Kamera ablichten und schickte die Aufnahme zur „Bild“-Zeitung. Seit fast jedes Handy eine eingebaute Mini-Kamera hat, ist solcher Fotojournalismus zum neuen Volkssport geworden. Ein lustiges Schild, ein spektakulärer Unfall, ein süßes Kätzchen oder ein badender Promi – zumindest auf offener Straße kann alles jederzeit von jedermann fotografiert werden. Oft sind die Aufnahmen belanglos. Aber weil sie nicht bezahlt und entwickelt werden müssen, sondern sofort verfügbar sind, wird massenweise losgeknipst – zum Leidwesen vieler Prominenter, dem bevorzugten Objekt der Laienfotografen.

Diese neue Lust am Paparazzi-Dasein machte sich die „Bild“ vor einem Jahr zunutze und rief Leser auf, ihre Fotos einzuschicken. Unter der Handynummer „1414“ erreichen die Boulevardzeitung jeden Tag bis zu 2500 sogenannter „Leserreporter“-Fotos. Per SMS oder E-Mail landen sie in einer extra dafür eingerichteten Redaktion. 500 Euro bekommen die Absender, wenn ihre Aufnahme in der Bundesausgabe erscheint, 100 Euro, wenn sie im Regionalteil steht. Um die 4000 Fotos haben es ins Blatt geschafft. „Unfälle, Überfälle, Katastrophen – die Fotos der Leserreporter dokumentieren oftmals Ereignisse, von denen es gar keine Bilder gäbe, weil Profifotografen nicht rechtzeitig am Ort wären. Daher bereichern solche Fotos die Zeitung“, sagt Kai Diekmann, „Bild“-Chefredakteur.

Allerdings hat die „Bild“ damit keine neue Bewegung ins Leben gerufen. Denn schon immer, wenn ein unerwartetes Ereignis passierte, haben Medien auf Material von Laienfotografen zurückgegriffen. Als in Paris das Schnellflugzeug Concorde abstürzte, die Tsunami-Welle über Südostasien hereinbrach oder Terroristen eine Bombe in der Londoner U-Bahn zündeten. Neu ist jedoch, dass Zeitungen ihre Leser systematisch dazu aufrufen, Bilder einzuschicken. „Wer ein interessantes Foto macht, soll sofort an ,Bild’ denken und es an die 1414 schicken. Das ist unser Ziel“, sagt Nicolaus Fest, Mitglied der „Bild“-Chefredaktion.

Pionier dieser Art Mitmach-Journalismus ist die „Saarbrücker Zeitung“. Seit Anfang 2006 soll jeder Leser, der einen „Großbrand, Megastau oder Banküberfall“ beobachtet, auf seinen Auslöser drücken und das Bild zur Zeitung schicken. Denn bis die Presse von der Feuerwehr benachrichtigt wurde und vor Ort ist, sind die Flammen längst gelöscht. „Für Redaktionen sind solche Bilder deshalb wahre Schätze. Auch, weil Medien um exklusive Aufnahmen und spannende Geschichten konkurrieren“, sagt Klaus Schönbach, Professor für Medienwissenschaft an der Zeppelin-University Friedrichshafen. Gleichzeitig gehen die „Bild“-Macher davon aus, dass sie ihre Leser stärker ans Blatt binden, wenn Leserreporter einen Beitrag zur Zeitung leisten oder zumindest theoretisch die Möglichkeit dazu haben.

Wenn die Leser auf den Fotos selbst zu sehen sind, gibt es für die „Bild“ keine rechtlichen Probleme. Kritisch wird es jedoch dann, wenn auf dem Foto ein Prominenter wie Beckstein zu sehen ist, der sich offensichtlich in einer privaten Situation befindet. Denn seit dem „Caroline“-Urteil von 2004 darf die Presse nur noch eingeschränkt über das Privatleben von Prominenten berichten. Doch sind es gerade diese unverstellten Fotos von Prominenten, die Boulevardblätter wie „Bild“ gerne präsentieren. „Sie sind authentischer und lebensnäher als die gestellten und bestellten ,Abschüsse’ der People-Magazine“, sagt „Bild“-Chef Diekmann.

Während sich Prominente früher nur vor professionellen Promi-Jägern in Acht nehmen mussten, sind sie heute dem knipsenden Bürger schutzlos ausgeliefert, auch wenn Handy-Hersteller in ihren Gebrauchsanweisungen darauf hinweisen, nicht die Privatsphäre und Rechte anderer Menschen zu verletzen. Doch wer Entertainer Harald Schmidt beim Eisessen sieht, Torwart Oliver Kahn beim Einkaufsbummel oder Schauspielerin Veronika Ferres beim Kaffeetrinken, drückt heute oft reflexartig ab – alleine schon, um zu dokumentieren, wie nah er einem Star gekommen ist. „Weil die Leute ihre Handy-Kameras massenweise benutzen, werden prominente Menschen in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt. Viele bewegen sich deshalb in der Öffentlichkeit vorsichtiger als früher“, sagt Medienanwalt Christian Schertz. Vor allem, weil die Bilder nicht nur im privaten Fotoalbum landen oder zum Prahlen im Freundes- und Kollegenkreis verwendet werden, sondern eben oft an die „Bild“ weitergeleitet werden.

Nicht alle Prominenten waren und sind davon begeistert, dass sie und ihr Privatleben sich unerwartet in der Boulevardzeitung wiederfinden. Fußballspieler David Odonkor leitete rechtliche Schritte gegen die „Bild“ ein, nachdem das Boulevardblatt das Foto eines Leserreporters druckte, dass Odonkor beim Urinieren auf einem Parkplatz zeigte. Sein Nationalmannschaftskollege Lukas Podolski wehrte sich gegen eine Aufnahme, die ihn nach der Fußball-Weltmeisterschaft beim Relaxen am Strand zeigte. Und auch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer klagte gegen ein abgedrucktes Leserreporter-Foto. Fischer war während eines Urlaubs in Frankreich fotografiert worden, als er gerade eine Bäckerei verließ. Der Berliner Medienanwalt Schertz hatte die drei Prominenten erfolgreich vertreten. Seiner Ansicht nach sind „Bild“ und andere Medien inzwischen vorsichtiger bei der Veröffentlichung geworden. Und auch die Leserreporter wurden von der Rechtsprechung in ihre Grenzen gewiesen: mit dem neuen Paragraphen 201a Strafgesetzbuch. Dort wird jedem mit Haft von bis zu einem Jahr gedroht, der eine Person gegen deren Willen in der eigenen Wohnung oder einem „gegen Einblick besonders geschützten Raum“ fotografiert.

Um auf der sicheren Seite zu sein, überprüfe die „Bild“-Leserreporter-Redaktion die Authentizität der Fotos, ihre Entstehung und eventuell rechtliche Fragen, sagt die Chefredaktion. Sofern erforderlich, würden Prominente vor der Veröffentlichung um ihr Einverständnis gebeten. So lässt sich Moderator Günther Jauch zwar mit Fans fotografieren, doch gegen die Veröffentlichung von Aufnahmen aus dem Privatbereich wehrt er sich vehement. Politiker geben dagegen oft ihr Einverständnis. So wie Beckstein in Badehose oder Kanzlerin Angela Merkel, die neulich beim Einkaufen im Supermarkt fotografiert wurde. Vermutlich hoffen sie darauf, dass solche Aufnahmen Volksnähe besser demonstrieren, als es jede inszenierte Home-Story könnte.

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