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Vorbei ist auch daneben: Das Gespräch zwischen Markus Lanz und Sahra Wagenknecht am 16. Januar ist ein Musterbeispiel asymmetrischer Kommunikation.

© Tsp

Proteste gegen ZDF-Moderator: „Lanz steht für Flachland-Entertainment“

Woher kommt die große Wut gegen den ZDF-Moderator im Netz? Medienforscher Bernhard Pörksen über Rücktrittsforderungen gegen Markus Lanz, Shitstorms und warum das ZDF schlechtes Krisenmanagement betreibt.

Herr Pörksen, mehr als 61 000 Menschen fordern per Petition den Rauswurf von Markus Lanz nach seinem missglückten Talk mit Sahra Wagenknecht, auch nach seinen „Wetten, dass?“-Auftritten wird immer heftig im Netz über Lanz gelästert – dabei gibt es so viele schlechte Moderationsleistungen im deutschen TV. Warum zieht ausgerechnet dieser Mann einen solchen Shitstorm auf sich?
Lanz ist zur prominenten Symbolfigur geworden. Er steht für ein Flachland-Entertainment, das man eher bei den Privaten erwarten würde und nicht bezahlen will. Aus meiner Sicht ist die Anti-Lanz-Petition eigentlich ein doppelter Protest.

Inwiefern?
Zum einen wird deutlich, dass die Debatte über Rundfunkgebühren keineswegs abgeschlossen ist und es eine gesellschaftliche Unzufriedenheit gibt, die nun am konkreten Fall aufflackert. Zum anderen ist der Unmut Ausdruck einer allgemeinen Inszenierungs- und Medienverdrossenheit. In der Wut auf den gebeutelten, gewiss erschütterten Moderator wird eine Art Inszenierungsekel greifbar: Mit einem derart schlecht geschauspielerten Politik-Interesse, einem so fröhlich-kenntnisfreien Fragestil und einer so offensichtlichen Gier nach Aufmerksamkeit möchte man sich nicht konfrontiert sehen.

Fast so viel wie über Lanz wird bei Twitter und Co. gerade über RTL-„Dschungelcamp“-Kandidatin Larissa hergezogen. Dienen solche Lästereien den Zuschauern als eine Art Katalysator?
Gewiss, es ist ganz leicht geworden, sich ohne größere intellektuelle Unkosten über andere zu erheben, ungehemmt und barrierefrei die eigenen Aggressionen öffentlich zu machen. Aber diese risikolose Distinktion ist für mich hier gar nicht der entscheidende Punkt.

Bernhard Pörksen, 44, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Bernhard Pörksen, 44, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

© Promo

Was ist dann ausschlaggebend?
Deutlich wird am Beispiel einer so plötzlich aufflackernden Erregung, dass wir uns im Übergang von der Mediendemokratie zur Empörungsdemokratie des digitalen Zeitalters befinden: Es sind nicht mehr allein mächtige Leitmedien, die Themen setzen, sondern erboste Einzelne, die ein Publikum finden und ein Agendasetting von unten betreiben. Das Publikum selbst ist zu einem mächtigen Player geworden, besitzt selbst die Instrumente, um ohne größeren Aufwand auf Sendung zu gehen. Auf diese neuen Empörungsverhältnisse müssen wir uns einstellen.

Ist es immer ein bestimmter Typ, der dieser Art von Shitstorm zum Opfer fällt?
Nein, das kann man nicht sagen. Aber am Anfang eines Shitstorms steht immer eine echte oder angebliche Normverletzung, die – sofort verständlich – eine größere Zahl von Menschen umtreibt. Das ist manchmal produktiv, manchmal entsetzlich grausam und stets aufschlussreich, weil hier das moralische Nervenkostüm kleinerer oder größerer Gruppen unmittelbar sichtbar wird. Man kann sich vielleicht in dieser Gesellschaft nicht mehr unmittelbar positiv darauf einigen, was gelten soll. Aber man diskutiert in Form der Abgrenzung und des öffentlichen Wutschreis, was man für unangemessen und verachtenswert hält.

Und wie passt Lanz da rein?
Er verkörpert als Person ein Programm: Letztlich geht es bei der Debatte um seinen Moderationsstil um eine fragwürdige, gebührenfinanzierte Annäherung von öffentlich-rechtlichem und privatem Fernsehen und um einen Affekt gegen die Gesellschaft des Spektakels. Ohne diese „symbolische Aufladung“ seiner Person gäbe es nicht diese Aggression.

Können diejenigen, die wie Lanz im Shitstorm stehen, aktiv den Prozess stoppen oder drehen?
Nein, in der Empörungsdemokratie der Gegenwart ist ein wie immer geartetes Krisenmanagement unendlich schwer geworden – unabhängig von allen Rezepten und teuren Kontrollversprechen einer florierenden Beraterbranche, die ihre Zaubersprüche verkauft. Generell gilt: Eigene Aktivität kann eher schädlich sein, patzig-beleidigte, selbstgerecht wirkende oder auch nicht ganz stimmige Reaktionen heizen die Empörung eher noch mal an. Eben dies ist auch im Falle von Markus Lanz passiert.

Das ZDF hat sich zumindest im Krisenmanagement versucht.
Die ZDF-Redaktion gibt ein Statement ab, verteidigt den Moderator und behauptet, Sahra Wagenknecht sei mit der Sendung zufrieden gewesen. Was passiert? Wagenknecht widerspricht sofort auf Twitter und über eine Boulevardzeitung. Die Empörung kocht noch einmal hoch. Und man muss wieder zurückrudern. Das ist ein Miniatur-Beispiel für kontraproduktives Krisenmanagement unter den neuen Geschwindigkeits- und Netzwerkbedingungen: Die Selbstrechtfertigung wird unmittelbar demontiert und muss fast unter Live-Bedingungen korrigiert werden. Und dies alles weithin sichtbar.

Warum gibt es eigentlich so viele Shitstorms, aber so selten das Gegenteil: Macht kollektives Lästern einfach mehr Spaß als Loben?
Es gibt, wenn auch selten, natürlich den Candystorm – manchmal als eine Gegegenbewegung, um eine Attacke abzuschwächen und zu korrigieren, die ungerecht erscheint. Aber sonst artikuliert sich im Netz Lob eher in Form der stillen Akklamation: Man klickt ein berührendes Video an, verlinkt einen großartigen Artikel, empfiehlt Bilder, Postings, Tweets. Lob ist leise, Wut hingegen laut – und verlangt nach einer Minimalbegründung, selbst wenn diese dann als reines Stammtischgeblöke daherkommt. Und natürlich wird unendlich viel gelästert und gebrüllt.

Am Ende steckt aber mehr dahinter?
Man sollte doch – trotz aller Hysterie in der Empörungsdemokratie – nicht übersehen, dass sich im Shitstorm und der Ad-hoc-Skandalisierung auch ein Ringen um Werte offenbart, die man erst deuten lernen muss, um sie dann vielleicht in anderer, weniger zugespitzter Form noch einmal in die öffentliche Debatte einzuspeisen.

Bernhard Pörksen, 44, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Mit ihm sprachen Sonja Álvarez und Joachim Huber.

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