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Quellenfrage. Dieses dpa-Foto vom 9. Februar zeigt die Prozession für getötete Aufständische in der syrischen Stadt Idlib. Die Agentur verweist darauf, dass ihr das Foto zugespielt wurde und sie daher das exakte Datum und die exakte Quelle nicht bestätigen kann. Foto: dpa

© dpa

Quellenfrage: Bilder aus der Parallelwelt

Erst Ägypten, nun Syrien – ARD und ZDF kommen ohne die Fotos und Videos aus Youtube, Facebook und Twitter nicht aus. Für das Fernsehen ist die "Arabellion" eine besondere Herausforderung.

In einer Diktatur wie Syrien ist das saubere Fernsehbild verdächtig. Wer dort mit einer großen Fernsehkamera filmt, wer ein Stativ aufbaut, wer also ungestört arbeiten kann, der transportiert die Weltsicht des Establishments. Der kritische Blick des Oppositionellen kann nur heimlich festgehalten werden, meist in Form von unscharfen, verwackelten Handyvideos mit schiefem Horizont.

In Ländern, wo die Pressefreiheit mehr als ein Lippenbekenntnis ist, hat man sich längst daran gewöhnt, Videos von miserabler Qualität zu sehen. Sie stammen von Facebook oder Youtube und werden via Twitter verbreitet. Immer öfter tauchen sie zwischen professionellem Filmmaterial in Nachrichtensendungen auf. Hochkonjunktur haben sie seit dem Beginn der Arabischen Revolution. Nicht umsonst bekamen die Aufstände im Westen den Beinamen „Facebook-Revolution“.

Für das Fernsehen war diese Revolution eine besondere Herausforderung. Es gab so viele Bilder und so wenig Information, nicht selten zweifelte man die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle an. Es sind Probleme, wie sie Ralf Zimmermann von Siefart in den vergangenen Monaten oft erlebt hat. Er ist Chef vom Dienst der ZDF-Nachrichtenredaktion und damit unter anderem für die „heute“-Sendungen und das „Mittagsmagazin“ zuständig. Er entscheidet, ob ein Video gesendet wird oder nicht.

Videos wie das aus Ägypten, wo die nichtoffiziöse Berichterstattung unter Mubarak ähnlich schlecht lief, wie dieser Tage in Syrien: Ein Mann geht über die Straße, etwas knallt, der Mann stürzt und bleibt liegen. Offenbar wurde er erschossen. Es sind Bilder, die Nachrichten machen. Das ZDF brachte sie trotzdem nicht. Keiner wusste, wer der Mann war, ob auf ihn geschossen wurde, ob er tot war, wer geschossen hatte. „Wir konnten nicht ausschließen, dass es eine Inszenierung war“, sagt Zimmermann von Siefart, „also haben wir es nicht gebracht.“ Andere Sender zeigten den wenige Sekunden langen Ausschnitt.

Aus journalistischer Sicht sei das Internet ein großer Zugewinn, sagt Zimmermann von Siefart, auch wenn es ihm und seinen Kollegen das Leben schwer mache. „Das Internet bringt uns selbst die abgeschottete Welt der Diktatoren näher.“ Die Redakteure täten alles dafür, die Echtheit der Bilder aus dem Netz festzustellen. Denn sie zu zeigen, ist oft die einzige Möglichkeit eine Nachrichtenlage abzubilden. Gerade wenn es um ein Land wie Syrien geht, wo sich allein das Assad-treue Staatsfernsehen frei bewegen kann. Nur in absoluten Einzelfällen bleibe ein Restzweifel an einer Quelle, sagt Zimmermann von Siefart. Wichtig sei dann, dass der Zuschauer davon erfährt.

Bilder aus Syrien

Wird solches Material ausgestrahlt, steht „Internetvideo“ in der oberen Bildschirmecke. Auch zeigt der Sprechertext im Konjunktiv an, dass die Redaktion das Material anders behandelt als das von einer renommierten Nachrichtenagentur. Obwohl selbst das jederzeit kritisch betrachtet würde. „Der Kontrollblick ist bei uns Fernsehleuten immer eingebaut", sagt Zimmermann von Siefart.

Auch bei der ARD wird jedes Video, das ausgestrahlt werden soll, genau geprüft. Michael Wegener, Chef der Bildrecherche bei ARD Aktuell, bezeichnet die Prüfung als Indizienprozess in vier Schritten. Was sagt die Redaktion? Wer ist die Quelle? Was sagen die Experten? Was sagt die Technik? Im ersten Schritt suchen die Redakteure nach Meldungen, die sich mit der Quelle decken, oder die ihr widersprechen. Außerdem ist detektivisches Gespür gefragt, um herauszubekommen, wann ein Video entstanden sein könnte.

Die Redakteure schauen auf Wetterlage, Kleidung, Tages- und Jahreszeit. Im zweiten Schritt versucht die Redaktion Kontakt zum Urheber des Videos oder Fotos zu bekommen. Dies geschehe fast immer über die Plattform, über die das Material lanciert wurde, also wieder über Facebook, Youtube oder Twitter. Dann werden die Sequenzen einem Experten vorgelegt, Arabist oder Exil-Syrer, der auf die Architektur achtet, auf Uniformen oder darauf, ob das Arabisch der Menschen einen syrischen Akzent hat. Schritt vier komme nur zum Einsatz, wenn unverändert Zweifel bestünden. In der technischen Prüfung werden Fotos und Videostandbilder darauf abgeklopft, ob sie Anzeichen für eine spätere Bildbearbeitung aufweisen.

Schon vor der „Arabellion“ hatte die ARD entschieden, die systematische Bildrecherche auf Quellen aus dem Internet auszudehnen. Zu diesem Zweck entstand im April 2011 das Content Center in Hamburg. Dort haben die Kollegen für Länder wie Syrien eine Liste mit vertrauenswürdigen Quellen aufgestellt, die über das Internet abrufbar sind. So gelingt es immer besser, Nachrichten aus Ländern zu zeigen, in denen das Regime keine Korrespondenten zulässt.

Gerade das Fernsehen ist auf Bilder angewiesen. Denn, sagt Michael Wegener, man könne nicht über den Konflikt in Homs berichten, der Hochburg der Regimegegner, während man Bilder einer Pro-Assad-Demonstration vom syrischen Staatsfernsehen zeige. Jeder Fernsehmacher weiß, dass Bilder stärker wirken als Text. Im Umkehrschluss heißt das: Keine Bilder, keine Nachricht.

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