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Drüberfliegen, Scherz machen, Zwischenstand, weiter im Witz: Stefan Raab in seiner Talk-Sendung "Absolute Mehrheit".

© dpa

Raabs "Absolute Mehrheit": Flohzirkus statt Circus Maximus

Moderator oder Kommentator? Da war sich Stefan Raab in der ersten Folge seiner Talk-Sendung offenbar nicht ganz sicher. Die Sendung geriet spaßiger und kurzweiliger als andere Polit-Talks - aber was fehlte, war Substanz. Immerhin: Nebenbei zeigt Raab zumindest, wie journalistisch fundiert eine Anne Will ihre Aufgabe verrichtet.

Wer bei „Günther Jauch“ Platz nimmt, der will Erster sein, der will den meisten Applaus im Studio und bei den Millionen am Bildschirm. Jede Talkshow ist ein Wettstreit der Meinungen. Hier wird Stimmung gemacht, hier wird um Stimmen gekämpft.

Wer bei „Absolute Mehrheit – Meinung muss sich wieder lohnen“ Platz nimmt, der will im Prinzip nichts anderes. Die neue Talkshow bei ProSieben hebt den Wettbewerbscharakter nicht nur heraus, sie kommerzialisiert ihn sogleich. Wer das Publikum im Finale zu wenigstens 50 Prozent überzeugt, der steckt 100 000 Euro ein. Grober Unfug? Fernsehen, das die Demokratie prostituiert? Meinung gab ich – Geld nahm ich? Wo, bitte, bleibt das Hehre?

Stefan Raab kann und muss mit solchen Vorwürfen nichts anfangen. Die Themen seiner Premiere waren Steuergerechtigkeit, Energiewende und Soziale Netzwerke. Allesamt Jauch-tauglich. Dass sich beim ARD-Matador Film und Diskussion abwechseln, ist gelebte und leicht überlebte Tradition.

Raab hat den Spielfaktor, das Thrill-Moment eingeführt. Wo Jauch nach einer Stunde ein Ende und meist kein Ergebnis hat, da will Raab nach anderthalb Stunden einen Höhepunkt als Ergebnis – den Sieger des Abends küren. Bei „Absolute Mehrheit“ war es da zwanzig nach zwölf geworden. Fünf Kandidaten waren angetreten, nach zwei Runden drei Finalteilnehmer übriggeblieben.

Stefan Raab bestellt und kauft nicht Meinungen für Geld, wie Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisiert hatte, Raabs Talkshowspiel ist raffinierter, denn es ist das Publikum, das entscheidet, nach welchen Kriterien auch immer. Für die Teilnehmer aus dem Polit-Milieu ist geradezu lebensgefährlich, nur nach dem Geld zu schielen.

Das Beispiel von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück lässt die Warnschilder grell leuchten. Unterm Strich: Stefan Raabs Sendung belohnt den Meinungskampf, nicht die Meinung. Performance besiegt Profil, Auftrumpfen das Argument.

„Absolute Mehrheit“ steht in der Gefahr, dass Politik plötzlich ganz einfach wird. So einfach wie eine Castingshow. Konsequent entscheiden die Zuschauer per SMS und Telefon, konsequent müssen sie für die Stimmabgabe bezahlen (und können ein Auto gewinnen). Und bei der Bundestagswahl werden sie viel rationaler entscheiden als beim Emo-Shooter von ProSieben. Polittalk und Politik werden nicht gleichgesetzt.

Der anfangs erstaunlich nervöse Stefan Raab musste erkennen, dass die Parteien Maß genommen und ihn nicht über die Maßen ernst genommen haben. Ob Regierung oder Opposition, ins seriös dekorierte Kölner Studio kam nur die zweite, dritte Reihe: Michael Fuchs (Unionsfraktionsvize), Jan van Aken (stellvertretender Parteivorsitzenden der Linken), Thomas Oppermann (SPD-Fraktionsgeschäftsführer), dazu Wolfgang Kubicki (FDP-Chef Schleswig-Holstein) und die Jung-Unternehmerin Verena Delius. Schmidtchen statt Schmidt. Warum sich die „jungen, politisch interessierten, gut gebildeten Meinungsführer“, die laut Raab alle Raab schauen wollen, sich mit damit zufrieden geben wollen, das bleibt des Moderators Geheimnis. 

Der Lästerbubi, der nach eigener Aussage anderswo nur Phrasendrescher sieht und hört, hat gleich noch eine Klatsche bekommen: Auch seine Gäste neigen zum populistisch bewährten Billigsatz. Raab hat das Phrasen-Bingo nicht verhindert, nicht aufgebrochen. Er muss sich zudem entscheiden – Kommentator oder Moderator? Sein Assi am Bühnenrand, der ProSiebenSat-1-Nachrichtenchef Peter Limbourg, verstand seine Aufgabe darin, die Diskussion und den Moderator toll zu finden. Vielleicht dachten Spielführer Raab und Schiri Limbourg, sie würden Löcher in dicke Bretter bohren. Tatsächlich haben sie weitere Löcher in den Redekäse geschossen. Flohzirkus statt Circus Maximus der politischen Showunterhaltung.

Stefan Raab wird es nicht entgangen sein, dass das Moderieren einer politisch gemeinten Talkshow etwas anderes ist als „TV Total“. Der Erstling des Pro-7-Moderators hat nebenbei aufgezeigt, wie professionell, wie gekonnt, wie journalistisch fundiert eine Anne Will oder eine Maybrit Illner ihre Aufgabe verrichten.

Das ist beruhigend: Fernsehen im Format einer politischen Talkshow ist eine echte, eine achtbare Leistung. Stefan Raab hat seine Herausforderung noch nicht bestanden. „Absolute Mehrheit“ ist zu sehr von der Spielanlage beherrscht. Raab sprach oft von einem „sehr komplexen Thema“, komplex sollte es aber nie werden. Drüberfliegen, Scherz machen, Zwischenstand, weiter im Witz. Spaßiger als Jauch, schneller, kurzweiliger, keinesfalls substantieller. Der Talkprofi Kubicki hat schlussendlich gewonnen, mit 42,6 Prozent. Die 100 000 Euro gehen in den Jackpot.

Nun sind Raabs Ehrgeiz, alles zu können und alles besser zu können, gefragt. Stefan Raab ist ein Kampfschwein. No pain, no gain. Das muss seine Devise für die Fortsetzung sein. Denn verdient haben diesen Talk alle: Raab, Politiker, ProSieben, Zuschauer. "Absolute Mehrheit" holte respektable 1,79 Millionen, "Günther Jauch" respektable 5,54 Millionen Zuschauer. die Raab-Show punktete deutlicher beim jungen, die ARD-Sendung deutlicher beim älteren Publikum. In der Summe konnte das Talk-Fernsehen am Sonntag fast 7,5 Millionen Bürger für Politik interessieren. Da muss das Meckern aufhören.  

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