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Radio in zwei Sprachen: Arabeske aus Kreuzberg

Emotionale Themen werden bei Metropol FM auf Türkisch gesendet, sachliche Themen auf Deutsch. Warum der Radiosender für Deutschtürken so erfolgreich ist.

Die Schicht von Serdar Semizoglus hat um halb sechs in der Früh begonnen. Jetzt, ein paar Stunden später, will der Radiomoderator seinen Hörern einen schönen Start in den Tag wünschen und gute Laune verbreiten. Doch Serdar Semizoglus Magen knurrt und er kann sich einen Kommentar einfach nicht verkneifen: „Sie sitzen sicher gemütlich beim Frühstück, ich hatte bisher noch keine Zeit zu essen“, klagt er, dann spielt er türkische Popsongs, die vordersten Plätze der Charts aus Istanbul. Plötzlich steht eine Hörerin im Studio – mit Croissants für Semizoglus.

Solche Dinge passieren häufiger bei Metropol FM. Der Sender hat viele Fans, über 19 000 sind es bei Facebook. Nicht wenige halten täglich Kontakt. Sie rufen an, schreiben Mails, berichten aus Mannheim oder Stuttgart. „Manche sind für uns fast wie Reporter“, sagt Semizoglus.

Seit über zehn Jahren gibt es Metropol FM. Es ist der einzige Sender für Deutschtürken, das Programm wurde für ihre Bedürfnisse konzipiert. Gesendet wird zweisprachig: emotionale Themen auf Türkisch, sachliche Themen auf Deutsch. Zur vollen Stunde sendet Metropol FM Nachrichten aus Deutschland, danach Neuigkeiten aus Ankara. Rund 450 000 Menschen erreicht Radyo Metropol deutschlandweit. Doch jetzt hat der Sender die Frequenz gewechselt und ist auf 101,9 MHz zu hören. Das Ziel: Neue Hörer zu gewinnen. „Wir rechen mit 50 000“, sagt Tamer Ergün Yikici, Erfinder und Geschäftsführer von Metropol FM. Ein Mann mit Richard-Gere-Frisur. Obwohl es Metropol seit über zehn Jahren gebe, ärgert er sich, konnten bisher viele Hinterhöfe in Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg nicht erreicht werden. Dabei sitzt genau dort die Klientel, die man erreichen will.

In Kreuzberg wird auch das Programm gemacht. Im sechsten Stock eines Kreuzberger Hochhauses liegen die Redaktionsbüros. Junge Redakteure blicken auf Flachbildschirme. Hinter einer großen Fensterfront flötet eine junge Frau mit hüftlangem Haar die Anmoderation ins Mikrofon. Aus dem Nachbarraum dringt ein Sprachmix aus Deutsch und Türkisch. Die türkische Tageszeitung „Hürriyet“ liegt griffbereit, daneben deutsche Boulevard- und Regionalzeitungen. Redaktionsleiter Taner Sentürk blickt durch eine schwarze Hornbrille. Der 43-Jährige verkündet das Thema des Tages. Der Mauerfall hat sich gejährt. „Wie haben die Älteren die Wende erlebt?“, fragt er in die Runde.

Gesendet wird Radyo Metropol nicht nur in der Hauptstadtregion, sondern dazu auch im Rhein-Main-Gebiet und in Südwestdeutschland. Doch in Städten wie Köln oder im Ruhrgebiet, wo überdurchschnittlich viele Deutschtürken leben, kann Metropol FM nur über einen Internetstream gehört werden. Es gibt dort keine freien Frequenzen. Zumindest in Berlin hofft Geschäftsführer Yikici nach dem Frequenzwechsel nun auf Zuwachs.

Yikici war 25 Jahre alt, als er aus Istanbul nach Berlin zog, um Betriebswirtschaft zu studieren. Während eines Marktforschungsprojekts untersuchte er, wie Deutschtürken Medien nutzten. Heraus kam, dass sie fast ausschließlich türkische Medien konsumieren. Deshalb, so zeigte Yikicis Analyse, würden sich viele Deutschtürken von politischen Entscheidungsprozessen in Deutschland nicht betroffen fühlen. „Das deutsche Medienangebot spricht sie aus unterschiedlichen Gründen nicht an“, sagt er. Das fange bei der Musik an und höre bei den Veranstaltungshinweisen auf. „Hinzu kommt, dass sie die deutschen Nachrichten oft aus sprachlichen Gründen oder fehlenden Vorkenntnissen über die Themen nicht nachvollziehen können.“

Abgesehen von der Entfremdung, die sich da vollzogen habe, sei eine nicht zu unterschätzende Zielgruppe außer Acht gelassen worden, befand Yikici. So sah das auch die Gesellschafterin, die Moira Rundfunk GmbH, und investierte. „Metropol FM ist ein erfolgreiches Radio und schreibt seit Jahren schwarze Zahlen“, sagt der Geschäftsführer. Einen Mangel an Werbekunden gibt es nicht. Vom deutschen Autohersteller bis zur türkischen Supermarktkette sind viele zahlungskräftige Unternehmen vertreten.

Yikici ködert die Deutschtürken mit türkischer Popmusik. Und Arabeske – was mit deutscher Volksmusik verglichen werden kann. „Türken wünschen sich mehr Unterhaltung als die Deutschen, sie ticken eher wie Spanier oder Italiener“, sagt er. Die erste Zeit sendete Metropol FM nur auf Türkisch, sukzessive wurde der deutsche Anteil erhöht. Heute ist mehr als ein Viertel des Programms auf Deutsch.

Redaktionsleiter Taner Sentürk ist beim zweiten Topthema des Tages. Es gibt Änderungen bei der KFZ-Versicherung. Das interessiert die Deutschtürken. Angedacht ist ein Interview mit einem Fachmann. „Der O-Ton des Experten muss mehrmals unterbrochen werden“, sagt Sentürk. Allein das Wort „KFZ-Steuer“, Sentürk seufzt. Das sei schwer ins Türkische zu übersetzen, es bedarf einer Erläuterung – alltägliche Hürden, die die Programmmacher von Metropol überwinden müssen.

Im Sender erzählt man gerne die Geschichte vom Grünen Punkt. Während Deutsche ganz selbstverständlich den Müll trennten, rätselte der ein oder andere Deutschtürke, warum die Tonnen im Hof verschiedene Farben trugen. Um solche Dinge unterhaltsam zu vermitteln, bedient man sich bei Metropol FM des Schattenspiels. Eine Erzählform, beliebt in der Türkei und beliebt bei den Deutschtürken. Der Intellektuelle trifft auf den Bauern und erklärt ihm die Welt. Bei Metropol FM erklärt der integrierte Türke dem nicht integrierten Türken, was es mit dem Grünen Punkt auf sich hat.

Integrationsdebatten gibt es täglich, nicht erst seit Sarrazin, obwohl der viele Wochen Topthema war. Es gab massenhaft Anrufe. Auch solche, die dem ehemaligen Finanzsenator Recht gaben. Neu ist die Sendung „Dönerstag“, die ein jüngeres Publikum erreichen will. Dort reden Paare oder Freunde, von denen einer ein deutscher Bio-Fan, der andere Deutschtürke ist, über ihre täglichen Herausforderungen im gemeinsamen Alltag.

Yikicis Suche nach Mitarbeitern war mühsam. Als er einen Moderator einstellen wollte, musste er gleich mehrere hundert Deutschtürken casten. Fast niemand erfüllte die sprachlichen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt. Die Deutschkenntnisse waren unzureichend, die Türkischkenntnisse ebenso. „Am schlimmsten war es, dass es den Bewerbern gar nicht bewusst war“, sagt Yikici.

Serdar Semizoglus beherrscht dagegen Türkisch und Deutsch. Er freut sich, dass ihm die Hörerin ein Croissant vorbeigebracht hat – ein Gebäck, dessen Name in beiden Sprachen bekannt ist.

Ina Brzoska

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