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Schauspieler Alexander Khuon leiht Kommissar Polanski im RBB-„Radio-Tatort“ seine Stimme. Der muss in der neuen Folge den Selbstmord seiner Kollegin bewältigen. Foto: RBB

© rbb/Oliver Ziebe

"Radio-Tatort": Ermittler am Mikrofon

Den "Tatort" gibt's nicht nur im Fernsehen zu sehen, sondern auch im Radio zu hören. 50 Folgen sind bereits gelaufen, teilweise hören bis zu einer Million Menschen zu. Jetzt sollen die Kommissarteams neu gemischt werden.

Der Schock könnte nicht größer sein. „Wie hätte ich was merken sollen“, fragt sich der Berliner Oberkommissar Alexander Polanski immer wieder. „Schönes Wochenende, bis Montag“, hatte sich seine Kollegin, Hauptkommissarin Katharina Holz, am Freitag noch ganz normal verabschiedet, nun ist sie tot, hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Der neue „Radio-Tatort“ des RBB mit dem Titel „Touristen“ beginnt mit einer Zäsur. Das eingespielte Kommissarduo gibt es nicht mehr, der junge Hauptkommissar, gesprochen von Schauspieler Alexander Khuon, muss die Fälle nun allein lösen.

„Das war vor allem eine konzeptionelle Entscheidung“, sagt RBB-Hörspielredakteurin Regine Ahrem. „Wenn sich Kommissar Polanski in inneren Monologen mit den Beweggründen für den Selbstmord seiner Kollegin beschäftigt, dann ist dies so nur im Radio möglich. Im Fernsehen geht das nicht“, sagt Ahrem weiter. Dahinter steht die Idee, sich wieder auf die Stärken des Radio-Hörspiels zu besinnen, und sich nicht so sehr am Vorbild des erfolgreichen TV-„Tatorts“ zu orientieren. Das bisherige Ermittlerkonzept wurde von den Machern als zu enges Korsett empfunden.

Im Januar 2008 hatte die ARD die „Radio-Tatorte“ ins Leben gerufen. Im monatlichen Wechsel und mit starker regionaler Ausprägung wurden seither über 50 „Tatort“-Hörspiele ausgestrahlt. Anders als im Fernsehen gibt es keinen einheitlichen Ausstrahlungstag, sondern das Konzept: ein Sender produziert, alle senden im Rahmen ihres Programms.

Die grundsätzliche Konstruktion ist seit den Anfängen geblieben. Die Fälle sollen so beschaffen sein, das sie zum Sendegebiet passen, Mundart ist durchaus erwünscht. Es gibt zudem keine gemeinsamen Kommissare, jeder Sender fährt seine eigene Linie. Trotz dieser Konstanten wird am „Radio-Tatort“ heftig gebastelt, zwar nicht im Grundsatz, dafür umso mehr im Einzelfall, sagt Ekkehard Skoruppa, Hörspielchef des für den „Radio-Tatort“ federführenden SWR. In Hessen wurde ein komplettes Ermittlerduo ausgewechselt und auch der WDR überrascht seine Hörer immer wieder.

Solche Veränderungen brauchen allerdings ihre Zeit, besonders im Verbund der ARD-Sender. Der Vorlauf bei der Entwicklung neuer Stoffe ist lang, auch in Berlin, wo mit Tom Peuckert und Wolfgang Zander zwei Autoren die nächsten Fälle vorbereiten. Zweimal jährlich kommen die ARD-Hörspielredaktionen zusammen, um über die Zukunft des „Tatort“-Formats nachzudenken. Ideen, die hier im Kreis der Kollegen erarbeitet werden, brauchen je nach Ausstrahlungsfrequenz über ein Jahr, bis sie umgesetzt werden.

An den Zahlen gemessen sind die „Radio-Tatorte“ eine Erfolgsgeschichte. Die letzte RBB-Produktion „Dreizehn“ von 2011 kam auf eine Million „Hörernutzer“. In dieser Zahl werden die Radio-Hörer mit den Downloads von der Seite www.radiotatort.ard.de kombiniert. Die Zahlen decken sich mit den ARD-weiten Erhebungen. Demnach kommt die Reihe im Durchschnitt auf eine Million Hörer plus 150 000 bis 200 000 Downloads je Folge. Im Internet können die Krimis jeweils für vier Wochen heruntergeladen werden. Ein Teil der Beiträge ist darüber hinaus kostenlos über den iTunes-Store von Apple oder die Seite www.gratis-hoerspiele.de zu finden. Andere Produktionen erreichen zumeist nur einen Bruchteil dieser Werte. Die ARD-Direktorenkonferenz hat sich darum auch ausdrücklich dafür ausgesprochen, die Reihe fortzusetzen. „Bis Ende 2015 ist der Bestand gesichert“, sagt SWR-Hörspielchef Skoruppa.

Doch die Leidenschaft, mit der die einzelnen ARD-Sender ihre „Radio-Tatorte“ unterstützen, ist nicht überall gleich groß. Kleineren Sendern fällt es schwerer, sich für dieses Format dauerhaft zu begeistern, wenn ein „Radio-Tatort“ ein Viertel des gesamten Hörspieletats verschlingt. Hinzu kommt, dass die Krimireihe Sendeplätze belegt, die dann für andere, experimentellere Hörspiele fehlen. „Für den RBB gilt das glücklicherweise nicht, wir haben durch den ,Radio-Tatort‘ sogar einen zusätzlichen Sendeplatz bekommen“, freut sich RBB-Redakteurin Regine Ahrem.

„Nicht alles reißt einen vom Hocker“, gibt Skoruppa zu, wie in allen Serien sei vieles „anständiger Durchschnitt“, einiges wie die letzten Fälle des Bayerischen Rundfunks oder vom WDR seien herausragend gewesen. Die schrägen Ermittlertypen, die im Kommissariat von Hamm aufeinander treffen, haben einen ganz eigenen Reiz, wenngleich das Ende der letzten WDR-Produktion „Nicht einmal Mord“ etwas verwirrend war.

Eine echte Panne hatte es im Januar gegeben, als der SWR eine Folge „Mordlauf“ von 2008 wiederholen musste, weil zwei in Auftrag gegebene Produktionen nicht rechtzeitig fertig geworden sind. Bei der Folge „Tödliche Kunst“ im September von Autor Fred Breinersdorfer („Sophie Scholl“) wird nichts dazwischen kommen, sagt Ekkehard Skoruppa. Der Kunstraub eines Otto-Dix-Bildes zu Zeiten der Nazis wird in diesem Hörspiel nicht das einzige Verbrechen bleiben.

Im neuen RBB-„Radio-Tatort“ von Tom Peuckert, dem fünften aus Berlin, muss Kommissar Polanski (Alexander Khuon) den Mord an einem Amerikaner aufklären, der in einem billigen Hotelzimmer erschossen wurde. Der Mann war Privatdetektiv und ehemaliger Nazi-Jäger. Ein sehr altes Foto mit mehreren Personen darauf und ein jüdisches Touristenpaar spielen wichtige Rollen. Polanski macht indes der Freitod von Katharina Holz (Eva Kryll) schwer zu schaffen, auch wenn er psyschologische Hilfe ablehnt. Ein Boulevard-Journalist wittert hinter dem Selbstmord Mobbing und bedrängt Polanski, ihn mit Interna zu versorgen. Im Gegenzug bietet er Hintergrundwissen zum toten Amerikaner an. Viele Themen, viele Personen und viele Handlungsstränge für ein einstündiges Hörspiel, aber dennoch ein atmosphärisch dichter Krimi in bester Hörspieltradition (Regie: Nikolai von Koslowski).

„Die neue Konstellation lässt uns viel mehr Freiheiten“, begrüßt Alexander Khuon die Änderungen an der RBB-Produktion. An die Stelle des festen Ermittlerduos seien neue Partnerschaften beispielsweise mit Assistent Lehmann (Shorty Scheumann) oder mit Journalist Stötzner (Arved Birnbaum) getreten. Der besondere Reiz dieses „Tatorts“ ist für ihn jedoch das jüdische Touristenpaar (Ernst Jacobi und Judy Winter). So bekannt wie die TV-Kommissare ist Khuon zwar noch nicht durch die Hörspiele geworden, aber auch ihn fragen immer mehr Menschen: „Das bist doch du in dem ,Radio-Tatort‘?“

„Radio-Tatort: Touristen“, Montag, 22 Uhr 04 im RBB-Kulturradio, am Dienstag um 20 Uhr 04 auf Radioeins. Im Internet und www.radiotatort.ard.de.

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