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Rudi Michel

© dpa

Radiolegende: Wembley ’66: „Tor! Oh, ist das bitter“ – Rudi Michel ist tot

1966 moderierte Rudi Michel das legendäre Fußball-WM-Finale zwischen England und Deutschland im Radio. Unvergessen ist seine Beschreibung des umstrittenen "Wembley-Tors". Am Montag dieser Woche ist Rudi Michel im Alter von 87 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.

In den letzten Jahren wirkte Rudi Michel, der große Sportreporter, wie aus der Zeit gefallen. Dass die starke Ökonomisierung des Sports auch eine Revolution in den Sportmedien mit sich brachte konnte er nur mit Sarkasmus ertragen. Seine Generation an Sportjournalisten, erklärte er nach der WM 2006, sei „einfach zu dumm“ gewesen. „Ich habe geglaubt, ich wäre ein Informant. Ein Sozius des Bildes. Die Nummer eins war das Bild, das wir nicht zu überlagern hatten. So haben wir uns jedenfalls gesehen. Heute sind Entertainer an den Mikrofonen, die gern in Archiven stöbern und dabei allzu oft die Hauptsache, das Spiel in seinem Ablauf zu bewerten, vergessen.“

Ein Urteil, das Züge von Kulturpessimismus trug. Andererseits war Michel geradezu berufen für eine solche Kritik. Gehörte er doch zu den wenigen gelernten Radioreportern, die in den 50er und 60er Jahren den Sprung ins neue Fernsehen schafften. Großen Radiokollegen wie Herbert Zimmermann, die es gewohnt waren, mächtige Sprachbilder zu kreieren, gelang es damals nicht, sich zurückzunehmen und die Bilder nur zu kommentieren. Michel konnte das. Manchmal sagte er sekundenlang gar nichts. Eine Tugend, die heute weitgehend verloren gegangen ist im Sportfernsehen.

So war es kein Zufall, dass Michel auch jenes legendäre WM-Finale von 1966 kommentierte, mit dem er Rundfunkgeschichte schrieb. Die ausnehmende Zurückhaltung, mit der er das umstrittene „Wembley-Tor“ beschrieb („Hei! Nicht im Tor! Kein Tor! Oder doch? Jetzt, was entscheidet der Linienrichter? … Tor! … Oh, ist das bitter“), hatte auch damit zu tun, was man heute Political Correctness nennt. Ein aggressiver Sportjournalismus gegenüber den Engländern verbot sich damals einfach. Bei Michel kam noch etwas anderes hinzu. Er verehrte den englischen Sport und seine Werte.

Michels Hingabe zum Fußball erklärte sich aus seiner Heimat: Er wurde am 2. August 1921 in Kaiserslautern geboren und verfolgte hautnah den Aufstieg Fritz Walters und weiterer Heroen wie Ottmar Walter, Horst Eckel, Werner Liebrich oder Werner Kohlmeyer. Nach einer Banklehre volontierte er 1948 beim Südwestfunk, und als er 1954 als jüngster Reporter bei der Fußball-WM in der Schweiz im Einsatz war, hatte er eine steile Karriere hinter sich. Schon damals machte er sich einen Namen als TV-Kommentator, während große Figuren wie Zimmermann, Gerd Krämer und Kurt Brumme die wichtigsten Spiele am Radio reportierten. 1958 kommentierte er im Fernsehen sein erstes WM-Finale, es sollten insgesamt fünf werden (1958, 1962, 1966, 1974, 1982). 1962 wurde er Hauptabteilungsleiter Sport (Fernsehen und Hörfunk) beim SWF und schuf großartige Formate wie das Magazin „Sport unter der Lupe“.

Zu seinen letzten großen Aufgaben zählte, die Geschichte der 1954er-Weltmeister und hier vor allem Fritz Walters zu bewahren. Dass er dabei die Leistungen dieser Wundermannschaft von Bern glorifizierte und sie beispielsweise gegen die Dopingvorwürfe verteidigte, war nicht verwunderlich, da er zu den besten Freunden Fritz Walters gezählt hatte.

Auch diese Verehrung der Sportler und Trainer, die Michel eigen war, wirkte in den letzten Jahren, da sich die Sportjournalisten zunehmend mit Themen wie Korruption, Doping und Kommerz auseinandersetzen müssen, etwas anachronistisch. Wenn Michel seine Wut herausschrie, dann wirkte das wie ein Ruf aus einer anderen, besseren Epoche der Sportgeschichte. Am Montag ist Rudi Michel im Alter von 87 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben. Erik Eggers

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