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Reisereportage: Laufen und singen und tanzen

Klaus Bednarz reist durch Karelien und findet jede Menge Optimismus. Der Journalist wird fürs Fernsehen weiter unterwegs sein - beim nächsten Mal in Polen.

Wälder und Seen, Tundra und Eiswüste, pittoreske Holzkirchen, wuchtige Klöster, ehemalige Schlachtfelder und versteckte Gräber – all das ist Karelien, ein bisher weißer Fleck auf der Weltkarte deutscher Reporter. Klaus Bednarz hat mit dem Grenzgebiet von Russland und Finnland für seinen traditionellen Jahresend-Reisebericht tatsächlich Neuland betreten. Das spricht schon mal für den ARD-Zweiteiler „Karelien – Das Kreuz des Nordens“. „Jene geheimnisvolle und fast vergessene Landschaft im Norden Europas“, wie Klaus Bednarz Karelien in seiner unverwechselbaren Diktion nennt, erscheint uns ferner als Sibirien, das bereits häufiger abgefilmt wurde. Und vermutlich haben sich schon mehr deutsche Touristen in den Rocky Mountains aufgehalten, wohin 2006 die letzte Reise des 65-jährigen Bednarz geführt hatte, als am östlichsten Punkt der EU, dem Virmajärvi-See. Apachen und Sioux-Indianer sind allen ein Begriff, aber wer kennt schon Karelier, Saamen und Wepsen, Minderheitenkulturen am Rande der Europäischen Union?

Es gibt also etwas zu entdecken in diesem letzten Film, den Bednarz vor seiner Pensionierung im Juni 2007 begonnen hatte. Zum Beispiel die Christi-Verklärungskirche von Kishi mit ihren 22 Kuppeln aus Espenholz, in der kein einziger Nagel steckt. Oder das Kloster Solowki, in dem schon die Zaren politische Gefangene einkerkern und von Mönchen bewachen ließen. Später wurden hunderttausende Gulag-Häftlinge auf die Solowki-Inseln gebracht. „Mit eiserner Hand jagen wir die Menschheit zum Glück“, stand auf der Tafel über dem Lagertor. Die zurückgekehrten orthodoxen Mönche wollen die Vergangenheit lieber ruhen lassen, vor allem die Beteiligung ihres Klosters an den Verbrechen der Zarenzeit. Bednarz sucht und stößt immer wieder auf die Spuren der Vergangenheit: Er trifft Angehörige von Stalin-Opfern, die auf den Massengräbern mitten im Wald ihr Essen auspacken, um es traditionell mit den Toten zu teilen. Menschen aus 62 Nationen sind hier begraben. Auch die Gräber deutscher Kriegsgefangener und verschleppter Frauen aus Ostpreußen besucht Bednarz. Im Zweiten Weltkrieg kämpften hier Finnen und Russen um die Vorherrschaft, fiel die deutsche Wehrmacht auf sowjetisches Gebiet ein.

Das ist nun über 60 Jahre her, und Bednarz’ langjähriger Kameramann Maxim Tarasjugin feiert das Glück des Friedens auf seine Weise – mit berückend schönen Bildern von einer zur Ruhe gekommenen Landschaft. Das hat etwas Meditatives, zumal der Film meist im gemächlichen Tempo einer Schifffahrt durch das wasserreiche Karelien gleitet (Schnitt: Elke Christ). Und obwohl Bednarz arme Bauern und besorgte Umweltschützer trifft, obwohl die Jugend die Dörfer verlässt und die alten Kulturen zu verschwinden drohen, bleibt die Tonlage seiner Gespräche überwiegend optimistisch. „Man muss laufen und singen und tanzen“, sagt die 79-jährige Helena Reikina. Und das tut die „letzte Runensängerin“ aus Karelien dann auch auf ihrer kleinen Holzveranda, übers ganze Gesicht lachend.

Karelien markiert nicht das Ende der Fernsehkarriere von Klaus Bednarz, der als Korrespondent in Warschau (1971 bis 1977) und Moskau (bis 1982), als gestrenger „Monitor“-Leiter (von 1983 bis 2001) und „Tagesthemen“-Kommentator eines der prägenden Gesichter des ARD-Fernsehens war. Er wird vorerst weiter auf Reisen gehen, beim nächsten Mal nach Polen. Fürs Publikum ist das, nimmt man den Karelien-Film zum Maßstab, eine gute Nachricht.

„Das Kreuz des Nordens – Reise durch Karelien“, ARD, heute und 1. Januar, jeweils 21 Uhr 45

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