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© NDR

Reporter: Ohne Schere

Der NDR wagt einen Versuch: Reporter berichten über Reporter. Das Publikum erfährt alles hautnah - und das Ergebnis ist verblüffend.

Ob der SPD-Vorsitzende Kurt Beck der richtige Mann am richtigen Ort sei? Finanzminister Peer Steinbrück tätschelt dem Reporter Christoph Lütgert bei dieser Frage jovial auf die Schulter und lässt ihn dann wie einen kleinen Schuljungen stehen. Dieser dreht sich um und beginnt zu schimpfen: „Oh, wie ich dieses generöse Gehabe hasse!“

So viel Offenheit würde sich mancher Betrachter in der „Tagesschau“ wünschen. Doch dort würde die Szene unweigerlich der Schere zum Opfer fallen. Der Beitrag stammt deshalb aus der neuen Sendung „Panorama – die Reporter“, die heute im NDR-Fernsehen Premiere hat. Das Format ist aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Zum einen trägt sie vieles in sich, was das Verhältnis von Medien und Politik in Berlin ausmacht. Und zum anderen zeigt sie einen journalistischen Kontakt, wie er zwar täglich vorkommt, aber den TV-Zuschauer niemals erreicht. Nach dem Interview wird die Teilhabe des Fernsehpublikums in der Regel durch einen harten Schnitt beendet, der Reporter bleibt als Mensch außen vor. Scheitert er mit seinem Vorstoß an einem unwilligen Interviewpartner oder einem verstockten Informanten, wird das Videomaterial als nicht sendefähig eingestuft und dem Zuschauer vorenthalten. Nicht so in dem neuen NDR-Format, das bewusst die Reporter in den Fokus rückt, bei denen es sich um Journalisten aus der Redaktion des Politikmagazins „Panorama“ handelt. Wie gehen sie bei der Recherche vor? Wie erreichen sie ihre Informanten? Wie sammeln sie Fakten? Das Publikum erfährt es hautnah, denn mit der Reportagemannschaft geht ein weiteres Fernsehteam auf die Reise. Dessen Auftrag: Die Kollegen bei der Arbeit filmen. Das Ergebnis ist verblüffend, denn scheinbare Desaster entwickeln sich zu aussagekräftigen Szenen. So wie das Treffen von Christine Adelhardt mit dem Hamburger Ex-Innensenator Ronald Schill in Rio de Janeiro. Sie will von ihm wissen, was er zu einem Video sagt, das ihn, der einst als Richter gern Drogenabhängige zu hohen Gefängnisstrafen verurteilte, beim Koksen zeigt. Er will keinen Kommentar abgeben, bietet der jungen Frau jedoch ein rein privates Treffen ohne Kamera an. Das sind die Momente, von denen das Format lebt. Momente, in denen sich Menschen öffnen, weil sie die Kamera vergessen.

Stephan Wels, Redaktionsleiter bei „Panorama“, setzt dabei gleichermaßen auf die Erfahrung und Natürlichkeit seiner Mitarbeiter. Die Geschichten, die sie recherchieren, entwickeln sich in der Regel aus anonymen Zuschriften. Ob die Fernsehprofis mit ihren Ermittlungen Erfolg haben oder scheitern, bleibt offen. Auch die Niederlage wird gesendet, wenn sie denn einen Aussagewert hat. Dafür wird gewaltiger Aufwand betrieben. Zu einer Recherche zwei Kamerateams auf den Weg zu schicken, ist in Zeiten des Ein-Mann-Videojournalismus mutig und kostenintensiv. Zumal das Prinzip „Work in Progress“ herrscht. Es gibt Ideen, es gibt ein Konzept, aber man will sehen, wie sich das Format entwickelt. Scheitern inklusive. Jan-Rüdiger Vogler

„Panorama – Die Reporter“, 21 Uhr, NDR-Fernsehen

Jan-Rüdiger Vogler

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