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Medien: "Reue ist im politischen Kampf kein Begriff"

Christian Klar ist 49 und sitzt seit 19 Jahren im Gefängnis, davon lange Zeit in Einzelhaft. Klar, Kind einer Lehrerfamilie, war führender Kopf der terroristischen "Rote Armee Fraktion" (RAF), verurteilt wurde er wegen mehrfachen Mordes.

Christian Klar ist 49 und sitzt seit 19 Jahren im Gefängnis, davon lange Zeit in Einzelhaft. Klar, Kind einer Lehrerfamilie, war führender Kopf der terroristischen "Rote Armee Fraktion" (RAF), verurteilt wurde er wegen mehrfachen Mordes. Er hat bisher keine Reue gezeigt. Günter Gaus hat als erster Journalist mit Klar ein Interview führen können, 45 Minuten, am Mittwoch im ORB zu sehen, aus dem wir einige Passagen dokumentieren. Bilder und Worte widersprachen einander zum Teil. Zu sehen war ein augenscheinlich gebrochener, beinahe gebrechlicher Mann mit deutlichen Kommunikations- und Konzentrationsschwierigkeiten. Wir drucken das Gespräch aus dem gleichen Grund, aus dem Gaus es geführt hat - weil Klar ein Teil der bundesdeutschen Geschichte ist, den zu verstehen man sich immer noch schwer tut. Das gesamte Interview wird am 23. Dezember auf Sat 1 wiederholt.

Können Sie noch Glück definieren?

Das wäre zu theoretisch.

Worauf setzen Sie Ihre Hoffnung?

Natürlich, dass Menschen sich nicht mit Unterdrückung und Demütigung abfinden. Jedes Erlebnis, wo Menschen aufstehen und in diese reaktionäre Normalität Bewegung reinbringen. Es sind ja vor Monaten in Genua interessante Ereignisse gewesen.

Sie meinen die Globalisierungsgegner. Mögen Sie etwas über Ihre Eltern sagen, Herr Klar?

Fünf Kinder. Wir sind von den Eltern aus in der Bildung aufgewachsen, alle Möglichkeiten sind mitgegeben worden. Schule, und was da so drin ist. Meine Mutter - eine sehr frei eingestellte Frau ... Ich erinnere mich an viele Kämpfe von ihr mit Nachbarn, weil sie ihre Kinder nicht prügelt, die zu fünft natürlich viel durcheinander gebracht haben. Ich höre von meinen Geschwistern ab und zu. Ich habe das Gefühl der Zuneigung, aber gleichzeitig ist nie viel zusammen gelaufen. Irgendwas ist bei mir anders gewesen. Deswegen bin ich wohl fortgegangen.

Was ist die stärkste Antriebskraft für Sie gewesen, diesen Schritt in die Gewalt hinein zu tun?

Ich denke, die Erfahrung von einer kollektiven Lebensweise. Das ist was ganz Neues gewesen. Es sind persönliche Erfahrungen gewesen. Also, dass kommunistische Vorstellungen nicht aus den Büchern stammen, keine Theorie sind. Ein Schulfreund hat mir mal an einem Nachmittag die Arbeiterbewegung erklärt, und ein anderer hat mir das Buch "Der SS-Staat" von Kogon gezeigt...

Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und die anderen der ersten RAF-Generation: Was hat Sie an diesen Menschen angezogen?

Als Personen habe ich sie erst später genauer wahrgenommen. Am Anfang war das Interesse mehr für die Organisation. Für das Konzept, wo zu einem Zeitpunkt die Hefte rumgegangen sind und durch Zeitungslektüre und auch eigene Ideen.

Welche Hefte?

Ich weiß jetzt nicht mehr, welche.

Haben Sie meinesgleichen verachtet?

Nein. Der Bezug ist ja auf die Mächtigen ausgerichtet gewesen, auf ihre Politik und auf andere Bereiche in der Linken, beide Auseinandersetzungen hat es gegeben. Ich wüsste jetzt nicht, wo ich Sie hin tun soll.

Hat Ihnen der Stil der RAF nicht Entsetzen eingeflößt? Ich habe immer gedacht, warum drücken sich diese Leute so verstiegen aus?

Es gab damals ja auch aus der Linken die Kritik an dem Abstrakten in den Erklärungen. Man muss halt sehen, dass ein politisches Konzept, das auf Befreiung aus ist, guten Grund hat, abstrakt zu sein.

Sie ließen sich ohne Gegenwehr festnehmen. Es ist gemutmaßt worden, Sie seien kampfmüde gewesen.

Das ist die Verhöhnung von jemandem, den sie lange gesucht und dann gefasst haben. Wenn man verhaftet wird, geht es einem dreckig. Über Illegalität ist im "taz"-Milieu immer referiert worden, was für ein Druck das sei. Ich habe Illegalität als große Freiheit erlebt. Für uns ist die Illegalität ein Raum gewesen, aus dem man politisch handeln kann. Eine Situation, in der man für alles selber verantwortlich ist.

Sie sind zu fünf Mal lebenslänglich und 15 Jahren Haft verurteilt worden. Sie sind ausdrücklich ausgenommen worden von der üblichen Entlassungsfrist. Hoffen Sie?

Es sind fünf von uns, die noch sitzen. Eva Haule, Brigitte Mohnhaupt, Rolf-Clemens Wagner, Birgit Hogefeld und ich. Und es sind draußen immer wieder Leute, die aktiv werden, um die Frage in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Regierung behandelt das opportunistisch. Es gibt für sie keinen Grund, sich da zu bewegen.

Sie verstehen sich als politischer Häftling?

Das sollte man, ja. Für einen persönlich bedeutet das keine Auszeichnung. Es ist auch wichtig, weil in der Herrschaft der Regierung spielt es ja gerade eine große Rolle, das abzustreiten. Gerade die Sozialdemokratie hat da immer ein Übersoll gehabt, weil ja gerade in der sozialistischen Richtung neben ihnen nichts existieren darf.

Ist das eine Wahrung von Selbstachtung, Herr Klar? Wichtiger für das Überleben als Anpassung an die gebotenen Normen?

Wenn jemand an die Wand gedrückt wird, muss er kämpfen. Aber ich denke nicht so sehr über Selbstachtung nach. An erster Stelle kommt, dass ich verantwortlich dafür handeln will, dass der Aufbruch, den auch eben die RAF dargestellt hat, weitergetragen wird. Ich fühle mich verantwortlich, da nichts zuzuschütten oder zu denunzieren.

Und Reuegefühle? Sind das für Sie Vorgänge im Kopf, von denen Sie sagen, es geht Euch nichts an?

In dem politischen Raum, vor dem Hintergrund von unserem Kampf, sind das keine Begriffe.

Aber das könnten doch Begriffe sein, die Bedeutung haben. Wegen der Opfer.

Ich überlasse der anderen Seite ihre Gefühle und respektiere die, aber ich mache es mir nicht zu eigen. Gerade hier in den reichen Ländern zählen so viele Menschenleben nichts. Belgrad wird bombardiert, das bedeutet nicht... In vielen Ländern werden Verhältnisse hergestellt, wo Menschenleben nicht mal einen Namen hat.

Ist Religiosität für Sie von Bedeutung?

Spiritualität im Allgemeinen, da habe ich Verständnis für. Aber Religiosität nicht.

Sind Sie im Stande, Pläne zu machen für die Zeit, die vor Ihnen liegt?

Nicht wirklich. Die einzige Vorstellung ist, mit Leuten zusammen zu kommen, mit denen ich Jahre nicht sprechen konnte. Dinge besprechen, die liegen geblieben sind. Ja.

Können Sie noch Glück definieren?

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