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Revolutions-TV: Die Sonne geht auf

Meinungskolumnen und Ad-hoc-TV-Studios: Ein Teil Libyens entdeckt die neue Pressefreiheit.

Noch einmal reckt sich der Oberst. „Fertig“ tönt es von hinten. Die Kamera läuft, steif und mit gepresster Stimme verliest der Mann im Tarnanzug seinen handgeschriebenen Text. Abdulsalam Tahir Haneida Ramadan hat noch nie in seinem Leben vor einer Kamera gestanden. Jetzt ist er extra aus der 400 Kilometer entfernten Wüstenstadt Jalu gekommen, dort, wo sechs der wichtigsten Ölfelder Libyens liegen. Ein braunes Tuch als Hintergrund mit der Monarchie-Fahne der Aufständischen, ein Monitor und vier Schreibtische – viel mehr gibt es nicht in diesem Fernsehstudio. Während unten vor dem Justizpalast von Benghasi die Menge Slogans gegen Muammar Gaddafi skandiert, verkündet oben der hohe Offizier ganz offiziell im Rebellen-Fernsehen, dass seine Einheiten nicht mehr den Befehlen aus Tripolis gehorchen. „Er tötet unsere Leute, er verwandelt unser Land in einen See voller Blut“, sagt der Soldat und weiß, dass er damit seinen Kopf riskiert.

Für den Erfolg der Revolution spielen Medien eine zentrale Rolle. Das wissen die Aufständischen. Irgendwo trieben sie ein Mischpult auf – dank der eroberten Sendetechnik reicht ihr Radio inzwischen bis Tripolis. Das Fernsehen läuft bislang per Internet-Livestream, untergebracht im obersten Stockwerk des Justizpalastes. Um zur Studiotür zu gelangen, muss man ein Stück über das Dach klettern, vorbei an Satellitenschüsseln und unter Kabeln hindurch.

Moderator Zuhair al Barassi, der als Übersetzer für eine tschechische Firma arbeitete, hat hier alles zusammen mit seinem Freund Mohammed Nabus zum Laufen gebracht. Auf der Flucht vor den Kugeln der Gaddafi-Söldner habe man zusammen in einer Nische gekauert und sich so wiedergetroffen, berichten die beiden. Sie kennen sich bereits aus der Grundschule, ihre Eltern waren Nachbarn.

„Wir werden gewinnen oder wir werden sterben“, steht im Kopf der neuen Zeitung „Freies Libyen“ – das Motto des legendären Freiheitshelden Omar Mukhtar, den die italienischen Kolonialherren 1931 in Benghasi hinrichteten. Seit einer Woche erscheint das Acht-Seiten-Blatt in einer Auflage von 5000 Stück, kostenlos gedruckt von einem der örtlichen Geschäftsleute. Muammar Gaddafis Propaganda-Blätter dagegen sind aus der Hauptstadt des Aufstands komplett verschwunden. „Wir sind jetzt die einzige Zeitung. Und wir schreiben ohne Furcht“, sagt Chefredakteur Mohammed Salim Alimnifi, bislang Professor für Kommunikationswissenschaften. Die jüngste Ausgabe berichtet über den neuen Nationalen Rat, zu dem sich neun befreite Städte des Osten zusammengeschlossen haben, über die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln, den Exodus der Ausländer und die Lage in den Krankenhäusern. Auch im Westen des Landes, in Tripolis und Misratha, habe man bereits eigene Mitarbeiter, sagt er.

Dicht gedrängt an zwei Tischen arbeitet ein Dutzend Redakteure. Ihr rußgeschwärztes Büro gehörte zuvor vier Jahrzehnte lang der Staatssicherheit, die jede politische Betätigung brutal unterdrückte. Noch vor zwei Wochen wurde von hier aus alles kontrolliert, jeder, der sich irgendwie politisch betätigte, vorgeladen oder auch gefoltert. „Entweder du kamst nach ein paar Tagen wieder frei oder du verschwandest auf Nimmerwiedersehen“, erzählt einer, der bei dem Sturm auf das Gebäude dabei war. Zehntausende Verhörakten konnten die Aufständischen sicherstellen. Drei Tage lang brannte das riesige Gebäude an der Hafenpromenade. Inzwischen sind die verkohlten Wände im Inneren gepflastert mit Gaddafi-Karikaturen, die verglühten Sicherungskästen mit Stromdrähten überbrückt und zerborstene Scheiben mit Sperrholz zugenagelt. „Zeitungsabteilung“ steht auf einem Papierschild neben dem leeren Türrahmen, und „Bitte Ruhe halten“ auf dem Flur davor. „Diese Revolution ist das Beste, was uns nach 42 Jahren Gaddafi passieren konnte“, sagt Chefredakteur Alimnifi. Und über die erste freie Zeitungskolumne seines Lebens titelte der 43-Jährige „Die Sonne geht auf.“

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