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Schawinski

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Roger Schawinski: ''Das Original – nicht den Klon''

Deutsche Serien? Nein danke, sagt das Publikum. Ex-Sat-1-Chef Schawinski zur Krise des Privatfernsehens.

Herr Schawinski, RTL und Sat 1 haben ein Problem. Neue, selbst produzierte Serien überstehen nicht einmal die erste Folge. Sind die verrückt geworden?

Nicht verrückt geworden, sondern nur in Panik geraten. Man könnte es auch Ratlosigkeit nennen. Was früher funktionierte, funktioniert auf einmal nicht mehr. Die deutsche Serie, lange Jahre etwa eine Domäne von Sat 1, schmiert im Augenblick bei allen Sendern ab, wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben. Wenn das Label „Made in Germany“ erkennbar wird, schalten die Leute ab.

Wenn RTL eine Serie wie „Die Anwälte“ nach nur einer Folge absetzt, ist das nicht vollkommen irrational?

Nein, nachvollziehbar. Die Serie lag ein Jahr auf Eis. Das heißt, dass RTL selbst Zweifel am Erfolg hatte, wohl auch aufgrund von Marktforschung. Dann kam die Quote der ersten Folge, und die war völlig ungenügend. Aus Erfahrung weiß man, dass das mehr als ein schlechtes Omen ist. In einer Zeit, in der alle neuen deutschen Serien floppen, ist man so verunsichert, dass man schnell einknickt. Und da Sat 1 zur selben Sendezeit am so wichtigen Donnerstagabend mit einer Mehrfachausstrahlung von „Navy CIS“ eine bessere Quote holte, blieb RTL nicht mehr viel Spielraum.

Was hat RTL falsch gemacht?

Man hätte sich überlegen können, ob man die Serie überhaupt hätte starten sollen. Das Geld ist ja eh weg. Aber wenn man sich einmal dafür entscheidet, weiß man, dass man sich mit einem solchen Ruckzuck-Rausschmiss blamiert.

War der Misserfolg nun vorauszusehen oder nicht?

Die Entscheidung, die Serie zu produzieren, fiel wohl bereits 2005. Da war am Horizont bereits erkennbar, dass solche Serien große Probleme bekommen könnten. Und drei Jahre später ist die TV-Welt nochmals eine ganz andere.

Jetzt haben die Produzenten den Schwarzen Peter.

Bestimmt. In einem Umfeld, wo alle deutsche Serien floppen, werden sich vor allem die privaten Sender zweimal überlegen, ob sie weiterhin im bisherigen Ausmaß deutsche Serien in Auftrag geben sollen. Bei Produktionskosten von 600 000 Euro und mehr pro Folge reden wir bei einer 13-teiligen Serie von knapp acht Millionen Euro. Das ist viel Geld, wenn es sofort abgeschrieben wird, wie es RTL-Chefin Anke Schäferkordt offenbar tun kann. Bei Sat 1 wäre man da zurückhaltender.

Was passiert, wenn es keine deutschen Serien mehr gibt? Das Programm muss doch gefüllt werden.

Es gibt zum Beispiel weiterhin amerikanische Serien. Allerdings wird als Folge des Streiks der Drehbuchautoren in den USA der Nachschub schon bald knapp. Es müssen also schnell neue Formate erfunden werden, um die Lücken zu füllen.

Es geht doch aber auch anders. „Um Himmels Willen“ in der ARD startete ganz schwach und wurde ganz stark. Man muss nur lange durchhalten.

Als „Um Himmels Willen“ gestartet wurde, war der Markt ein ganz anderer, nicht zu vergleichen mit der heutigen Situation. Und ich glaube nicht, dass das Zielpublikum der 14- bis 49-Jährigen mit solchen Serien erreicht wird. Aber um die allein geht es bei den Privaten.

Was hat sich verändert, was ist passiert?

Wir erleben seit 2003 die „CSI“-isierung des deutschen Fernsehens. Die amerikanische Serie CSI hat als erste so hohe Maßstäbe gesetzt, dass dagegen jede deutsche Serie, und sei sie noch so aufwendig produziert, wie ein bloßer Abklatsch wirkt. Das gilt ebenfalls für „Navy CIS“ bei Sat 1, „Dr. House“ bei RTL oder „Grey’s Anatomy“ bei Pro Sieben. Das Publikum hat sich an die neuen Standards gewöhnt. Die Leute wollen das Original, nicht den Klon. Das hat auch Sat 1 mit „R.I.S.“ schmerzlich erfahren müssen.

Wenn man dasselbe versucht wie die Amerikaner, funktioniert es nicht. Wenn man etwas anderes versucht, erst recht nicht. Was tun?

Das ist ein Dilemma, aus dem es zurzeit kein Entkommen gibt. Die Amerikaner sind einfach zu stark. Einen Charaktertypen wie „Dr. House“ gibt es in deutschen Serien bisher nicht. Da können Sie so lange suchen, wie Sie wollen. Kai Wiesinger als „Anwalt“ ist sicher ein guter Schauspieler, aber das reicht nun einmal nicht mehr.

Stehen wir an einer Zeitenwende?

Das könnte sein. Den Erfolg der Kochshows zum Beispiel hat in dieser Dimension niemand vorhergesehen. Auch nicht denjenigen der Helphows. Und es wird ja immer noch mehr. Aber was sind die anderen großen Erfolge der jüngsten Zeit bei den Privaten? Das „Dschungelcamp“ von RTL, wegen Imageproblemen eigentlich schon ausgemustert, wurde reanimiert, weil man nicht genug Quotenträchtiges im Köcher hatte. Und siehe da: Die Quote war wunderbar, und der Protest blieb sogar aus. Man hat sich offenbar sogar an das öffentliche Verspeisen von Känguruhoden als abendlichen Kitzel gewöhnt. Auch „DSDS“ ist bereits ein angejahrtes Format, das weiter funktioniert. Viel Neues sehe ich in der Unterhaltung mit Ausnahme von „Schlag den Raab“ bei Pro Sieben nicht.

Das private Fernsehen ist also auf jeden Fall renovierungsbedürftig.

Nicht nur das Private. Wenn die ARD jemanden wie Bruce Darnell einkaufen muss, um ihren dümpelnden Vorabend zu retten, dann offenbart sich da eine dezente kreative Kraft. Wer hätte denn vor drei Jahren gedacht, dass die Ikonen des Privatfernsehens von Pocher bis Darnell allesamt bei den Öffentlich-Rechtlichen landen werden? Niemand!

Alle sind ratlos. Auch der Zuschauer?

Der Zuschauer ist ein rätselhaftes Wesen. Niemand weiß, wie er reagieren wird. Aber unterschätzen Sie mir den Zuschauer nicht. Der Zuschauer weiß ganz genau, was er will und was nicht. Und so geht er auch mit seinem Zauberstab – der Fernbedienung – um. Sehr, sehr zielgerichtet.

Wer ist noch betroffen vom anspruchsvollen Zuschauer? Nur die deutsche Serie?

Ähnliches gilt für Comedy und Sitcoms. Auch die will man mit wenigen Ausnahmen nicht mehr sehen. Das bedeutet zum Beispiel für einen Sender wie Sat 1: Drei Bereiche, die noch vor wenigen Jahren die Erfolgsgaranten für die Primetime waren, sind branchenweit eingebrochen. Das ist eine dramatische Entwicklung, für die man den Sender allerdings nicht wirklich verantwortlich machen kann.

Sie wissen, wie es geht: Wie lässt man eine Serie am elegantesten sterben?

Ich habe „Blackout“, das während meiner Zeit bei Sat 1 bereits bei der ersten Folge floppte, sofort in den späten Abend verschoben. Das war nicht sehr elegant, und ich bin nicht stolz darauf, aber mir blieb keine andere Wahl. Aber wenn Sie eine Serie nach der anderen vorzeitig absetzen, dann untergraben Sie das Vertrauen, das der Zuschauer in sie setzt. Das könnte auf lange Sicht tödlich sein.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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