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Foto: Arte

© Jacques Morell

Romanverfilmung: Proust sehen statt Proust lesen: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“

Das Prosawerk von Marcel Proust gilt als Epochenwerk. Arte zeigt eine zweiteilige Verfilmung. Das ist feingeistiges Fernsehen für den sensitiven Zuschauer.

Monumentalwerk, Epochenwerk, Jahrhundertwerk. Der Romanzyklus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, geschrieben von Marcel Proust von 1908 bis 1922, trägt alle Insignien jener Literatur, die mehr gefeiert als gelesen wird. Nicht nur für den eiligen Leser ist es eine Herausforderung, der Schilderung des Fallens eines Regentropfens über zahlreiche Seiten zu folgen. Proust hat, wohl noch ehe der Begriff gefunden war, Leben in Echtzeit aufgeschrieben. Aber dafür hat die Belle Epoque, das Paris der Jahrhundertwende um 1990, ihre luzide Betrachtung und komplexe Behandlung erfahren. Dadurch, dass ein Schriftsteller sich seiner Erinnerungen an eine Zeit versichern will, die verloren zu gehen droht.

Nina Companéez hat für ihre Verfilmung aus dem Proust’schen Kosmos die wesentlichen Figuren und Handlungslinien herauspräpariert. Aber ihr 222 Minuten langer Film ist nicht die Kurz-und-Flach-Version: Junger Mann leidet intensiv an sich und seiner Umgebung, kriegt das mit dem Leben und der Liebe nicht hin. Und fängt dann, als fast alles zu spät ist, mit dem Aufschreiben dessen an, was er alles nicht hingekriegt hat.

Der Film startet mit einer Theaterszene. Schauspieler kleiden sich in die Kostüme der Belle Epoque, sie albern herum und gleiten in Handlung, Zeit und Ort hinüber. Der Zuschauer folgt einer Inszenierung, einer subjektiven, auch artifiziellen Erinnerung. Ein junger Mann aus großbürgerlichem Haus, höchstsensibel, kränkelnd, von Empfindungen und Einbildungen gejagt, findet Zugang in die gehobenen, adeligen Kreise. Die zugebrachten Tage, Wochen, Jahre sind von hoher Nichtsnutzigkeit, selbst während des Ersten Weltkriegs bleiben die Gespräche im parfümierten Parlando stecken, wer kennt wen, wer liebt wen, wer wird von wem eingeladen und wer nicht – süße, schwebende Zeit der Belle Epoque. Geld ist wichtig, Stand ist wichtig, Liebe, auch gleichgeschlechtlich, ist wichtig, gleichwohl der Blick auf die Liebe pessimistisch bleibt. Was den Personen wirklich ernst ist, das sind sie selber. Könnte man Egoismus nennen, kann auch der Notwendigkeit geschuldet sein, irgendetwas ernst nehmen zu müssen. Alles in der Verfilmung ist exquisit: das Dekor, die Roben, die Schauspieler, angefangen mit Micha Lescot als junger Mann und Erzähler. Der Film, nicht eben rasant inszeniert, hat den Charakter und die Güte eines Werks, das zwar einem Regentropfen nicht beim Fallen zusieht, wohl aber die Welt wie durch einen Regentropfen betrachtet. Feingeistiges Fernsehen für den sensitiven Zuschauer. Joachim Huber

„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, 20 Uhr 15, Arte

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